Psychotherapeutenjournal 2/2007 (.pdf)
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Nordrhrein-<br />
Westfalen<br />
Bessere Früherkennung<br />
und multiprofessionelle<br />
Netze<br />
Gemeinsame Veranstaltung der<br />
PTK NRW und der KV Nordrhein<br />
In Nordrhein-Westfalen wurden im Jahr<br />
2005 nach polizeilicher Meldung 542 Kinder<br />
misshandelt. Der Kinderschutzbund<br />
schätzt, dass bundesweit rund 300.000 Kinder<br />
vernachlässigt werden. 179 Kinder wurden<br />
2005 in Deutschland getötet. Die Kriminalstatistik<br />
erfasste im selben Jahr rund 3.100<br />
Fälle sexuellen Missbrauchs in NRW. „Gewalt<br />
gegen Kinder ist häufiger, als wir es lange Zeit<br />
wahrhaben wollten“, erklärte Monika Konitzer,<br />
Präsidentin der Psychotherapeutenkammer<br />
NRW, auf der Tagung „Gewalt erkennen –<br />
Kindern eine Perspektive geben“, die am<br />
28. März <strong>2007</strong> mit 380 Teilnehmern im<br />
Düsseldorfer Ärztehaus stattfand.<br />
Die Tagung war eine gemeinsame Veranstaltung<br />
der Kassenärztlichen Vereinigung<br />
Nordrhein und der PTK NRW. „Diese Zusammenarbeit<br />
ist Ausdruck einer neuen<br />
Kooperation der Gesundheitsberufe“, stellte<br />
Monika Konitzer fest. „Viele gesundheitspolitische<br />
Aufgaben lassen sich heute nur<br />
mehr erledigen, wenn die einzelnen Professionen<br />
über ihren Tellerrand hinausschauen,<br />
ihre Kompetenzen kombinieren<br />
und zielorientiert zusammenarbeiten.“<br />
„Neben der Betreuung betroffener Kinder<br />
muss die Prävention und Früherkennung<br />
196<br />
Mitteilungen der Psychotherapeutenkammer<br />
Nordrhein-Westfalen<br />
verbessert werden“, forderte Leonhard<br />
Hansen, Vorsitzender der Vertragsärzte<br />
und Vertragspsychotherapeuten im Rheinland.<br />
Er verlangte, die Frequenz der Früherkennungsuntersuchungen<br />
zu erhöhen.<br />
„Die bisherigen U1- bis U9-Untersuchungen<br />
sind noch erstaunlich lückenhaft“, kritisierte<br />
Monika Konitzer. „Defizite in der<br />
psychischen, emotionalen, psychosozialen<br />
und kognitiven Entwicklung von Kindern<br />
und Jugendlichen werden bisher noch<br />
kaum untersucht.“ Hansen und Konitzer<br />
forderten daher gemeinsam, Screening-<br />
Instrumente, mit denen frühzeitig psychische<br />
Entwicklungsauffälligkeiten erkannt<br />
werden können, in diese Untersuchungen<br />
aufzunehmen. Prof. Klaus Schäfer vom<br />
NRW-Ministerium für Generationen, Familie,<br />
Frauen und Integration betrachtete es<br />
als „den entscheidenden Punkt“ die Kinder<br />
bis zu zwei Jahren besser zu erfassen.<br />
„Später sind rund 96 Prozent der<br />
Kinder im Kindergarten zu erreichen.“<br />
NRW sei das erste Bundesland, in dem<br />
Kinderschutz als Aufgabe der Schule verankert<br />
wurde.<br />
KV-Vorsitzender Hansen plädierte für eine<br />
höhere Verbindlichkeit der Untersuchungen.<br />
„Auch wenn Pflichtuntersuchungen<br />
kein Allheilmittel sind; sie können ein richtiger<br />
Schritt sein, um die Vorsorge konsequent<br />
zu nutzen und eine Gefährdung<br />
des Kindes frühzeitig zu erkennen.“ Dagegen<br />
warnte Psychotherapeutenpräsidentin<br />
Konitzer: „Eine Meldepflicht ist<br />
bürokratisch aufwendiger und ineffektiver<br />
als ihre Befürworter denken. Wer gefährdeten<br />
Familien helfen will, darf außerdem<br />
nicht in die Rolle eines Gesundheits- oder<br />
Erziehungspolizisten geraten.“ Auch Klaus<br />
Schäfer, Abteilungsleiter im Familienministerium,<br />
warnte vor „überbürokratischen<br />
Verfahren“. Das Ministerium<br />
hätte „noch keine rechtliche Lösung“.<br />
„Da sind wir noch dabei.“<br />
Früherkennung allein helfe gefährdeten<br />
Familien jedoch nicht. „Es muss auch klar<br />
sein, was passieren soll, wenn ein Frühwarnsystem<br />
einen Alarm auslöst“, betonte<br />
Monika Konitzer. Dabei seien auch aufsuchende<br />
Hilfen notwendig. „Hausbesuche<br />
bei Risikofamilien und Beratungsangebote<br />
für junge Familien sind wichtig“,<br />
stellte Leonhard Hansen fest. „Dafür müssten<br />
ausreichend personelle Kapazitäten zur<br />
Verfügung gestellt werden.“ Klaus Schäfer<br />
vom Familienministerium hob das Frühwarnsystem<br />
der Stadt Gelsenkirchen hervor,<br />
die Infopakete entwickelt hätte und<br />
zu den Familien ginge. „Die Niedrigschwelligkeit<br />
ist der entscheidende Punkt.“<br />
Gewalt hat viele Ursachen. „Zu den Ursachen<br />
zählt auch, dass diese Eltern als Kinder<br />
häufig selbst Gewalt erfahren haben“,<br />
erklärte die PTK-Präsidentin. Häufig sind<br />
Eltern auch durch Armut, Arbeitslosigkeit,<br />
Krankheit und Perspektivlosigkeit überfordert<br />
und psychisch krank. „Eltern dürfen<br />
deshalb nicht vorschnell zum Sündenbock<br />
gemacht werden“, warnte Monika Konitzer.<br />
„Die Eltern, denen in einem sozialen<br />
Brennpunkt ein ansatzweise normales Familienleben<br />
gelingt, leisten Außerordentliches.<br />
Ein Scheitern an dieser Aufgabe ist<br />
viel wahrscheinlicher.“ Leonhard Hansen<br />
hob hervor, dass die Folgen von elterlicher<br />
Gewalt „schwer zu korrigierende Beeinträchtigungen<br />
der kindlichen Entwicklung<br />
mit oft fatalen Folgen im Erwachsenenalter“<br />
seien. Dazu gehörten Entwick-<br />
<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 2/<strong>2007</strong>