Psychotherapeutenjournal 2/2007 (.pdf)
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lungsstörungen, die zu schweren seelischen<br />
Schäden und Verhaltensauffälligkeiten<br />
führen können ebenso wie stark<br />
erhöhte Risiken mit Blick auf das Suchtverhalten<br />
und die Kriminalität.<br />
Prof. Dr. Gerhard Lauth, Universität Köln,<br />
berichtete über psychische Auffälligkeiten<br />
bei Kindesmisshandlung und -vernachlässigung.<br />
Er stellte die Folgen von Kindesmisshandlung<br />
dar, die sich u.a. in langjährigen<br />
kognitiven Einbußen als auch in externalisierenden<br />
Verhaltensauffälligkeiten<br />
wie internalisierenden psychischen Störungen<br />
zeigen können. Psychische Auswirkungen,<br />
wie Drogenmissbrauch und Suchtverhalten,<br />
sind bis ins Erwachsenenalter<br />
feststellbar. Zu unterscheiden sind erstens<br />
Indikatoren, die sich auf die Vulnerabilität<br />
des Kindes beziehen, zweitens auf die<br />
Fertigkeiten und Kompetenzen bei den<br />
Eltern und drittens auf die sozialen Umstände.<br />
Als spezifische Risiken für Misshandlung<br />
bezeichnete Gerhard Lauth fehlgeleitetes<br />
Erziehungsverhalten und coersives<br />
(erzwingendes) Verhalten der Eltern.<br />
Dabei gehe es u.a. um unzureichende Erziehungskompetenzen,<br />
chronischen familiären<br />
Stress oder auch die unzureichende<br />
Unterstützung der Eltern in der Erziehung.<br />
Wesentlich für Vernachlässigung ist<br />
dagegen die mangelnde Übernahme der<br />
Elternrolle. Zu beachten sind hier eine fehlende<br />
Bindungsfähigkeit oder emotionale<br />
Beeinträchtigung der Eltern, mangelnde<br />
Entwicklungsfortschritte oder ängstliches,<br />
wenig interaktives Verhalten beim Kind. „Die<br />
mangelnde Imitationsfähigkeit der Kinder<br />
ist übrigens eines der größten Entwicklungsrisiken“,<br />
betonte Gerhard Lauth,<br />
„denn das meiste was Kinder lernen, lernen<br />
sie über Imitation“. Als Möglichkeit, die<br />
Risiken frühzeitig zu erkennen, empfahl er<br />
z.B. Screeningverfahren zu familiärem<br />
Stress. Festgehalten werden sollten auch<br />
Verhaltensauffälligkeiten und Entwicklungsverzögerungen.<br />
Spezielle Frühinterventionen<br />
sollten auf expansive als auch auf<br />
Bindungsstörungen abzielen. Besonders<br />
effektiv seien hier Maßnahmen, die einem<br />
dezidierten Programm folgen.<br />
Jürgen Zimmermann-Höreth, Leiter der<br />
Familienberatung und des Schulpsychologischen<br />
Dienstes der Stadt Köln, schilderte<br />
das Vorgehen in der Beratung und<br />
<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 2/<strong>2007</strong><br />
Unterstützung bei „Häuslicher Gewalt“ in<br />
Köln. Das Netzwerk „Häusliche Gewalt“ in<br />
Köln ist Bestandteil der Jugendhilfe und<br />
wurde von der Stadt initiiert. Übergriffe von<br />
Frauen seien sehr selten und fänden eher<br />
bei pflegebedürftigen Familienmitgliedern<br />
statt. Entscheidend sei es sogar, Frauen<br />
und Kinder weniger unter Druck zu setzen,<br />
damit sie Kontakt zum Jugendamt<br />
halten. „Mir ist aber auch ganz wichtig, den<br />
Vater in der Erziehungsverantwortung zu<br />
halten“, erklärte Jürgen Zimmermann-<br />
Höreth. Auch der Kontakt zu dem aus der<br />
Wohnung verwiesenen Vater müsse geklärt<br />
werden. Eine kindertherapeutische<br />
oder therapeutische Arbeit mit den Eltern<br />
sei denkbar, um in eine längerfristige Behandlung<br />
zu münden.<br />
Kinder psychisch kranker<br />
Eltern<br />
Interview mit Prof. Dr. Michael<br />
Borg-Laufs<br />
Kind psychisch kranker Eltern zu sein, kann<br />
krank machen. Bisher gehört es nicht zur<br />
Routine von Psychotherapeuten und Psychiatern<br />
bei der Behandlung von Erwachsenen<br />
nachzufragen, ob Kinder in der<br />
Familie sind, wie mit ihnen über die Krankheit<br />
des Vaters oder der Mutter gesprochen<br />
wird und ob sie einer psychotherapeutischen<br />
Betreuung oder Behandlung<br />
bedürfen. Prof. Dr. Michael Borg-Laufs von<br />
der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach<br />
engagiert sich seit Jahren für eine<br />
Nordrhein-Westfalen<br />
bessere Versorgung und spezielle Angebote<br />
für Kinder psychisch kranker Eltern<br />
und gehörte maßgeblich zu den Organisatoren<br />
einer Fachtagung am 8.3.<strong>2007</strong> in<br />
Mönchengladbach.<br />
Wie viele Kinder haben psychisch<br />
kranke Eltern?<br />
Die Zahl ist größer, als man denkt. Nach<br />
Schätzungen haben rund 500.000 Kinder<br />
und Jugendliche einen Vater oder<br />
eine Mutter, die an einer schizophrenen<br />
Psychose oder schweren Depression leiden.<br />
Ihr Risiko, misshandelt oder vernachlässigt<br />
zu werden, liegt zwei- bis dreimal<br />
über dem Durchschnitt. Vor allen Dingen<br />
ist aber ihr Risiko, als Erwachsener selbst<br />
psychisch zu erkranken, außerordentlich<br />
erhöht. Rund die Hälfte aller Kinder und<br />
Jugendlichen, die psychisch kranke Eltern<br />
hatten, entwickelt später selbst eine psychische<br />
Störung. Wir haben es also mit<br />
einem sehr ernsten und sehr häufigen<br />
Krankheitsrisiko zu tun, das wesentlich<br />
mehr Beachtung verlangt, als es momentan<br />
bekommt.<br />
Warum erkranken die Kinder?<br />
Die Eltern können aufgrund ihrer psychischen<br />
Erkrankungen nicht so für die Kinder<br />
da sein wie gesunde Eltern. Ein Vater,<br />
der unverständliche Selbstgespräche führt,<br />
ist beängstigend. Eine Mutter, die unter<br />
schweren Depressionen leidet, ist seltener<br />
ansprechbar. Häufig haben die Kinder<br />
auch Schuldgefühle: Sie denken, wenn sie<br />
dies oder jenes besser machen, fleißiger<br />
lernen oder sorgfältiger aufräumen, wäre<br />
die Mama nicht so traurig oder der Vater<br />
nicht so aufbrausend. Sie erkennen häufig<br />
auch, dass der Vater oder die Mutter<br />
krank sind und fühlen sich verantwortlich,<br />
den Therapeuten oder die psychiatrische<br />
Klinik zu verständigen. Mit diesen Loyalitätskonflikten<br />
sind sie aber regelmäßig überfordert.<br />
Kinder psychisch kranker Eltern<br />
erkranken, weil sie nicht bekommen, was<br />
Kinder normalerweise brauchen: feinfühlige<br />
Eltern, die ihre eigenen Bedürfnisse<br />
zugunsten der Bedürfnisse ihrer Kinder<br />
zurückstellen können, die Signale der Kinder<br />
wahrnehmen und angemessen darauf<br />
reagieren, die Gegenseitigkeit herstellen<br />
und eine verlässliche Stütze ihrer Kinder<br />
sind.<br />
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Nordrhrein-<br />
Westfalen