SOCIETY 372 /2017
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
KULTUR<br />
INTERVIEW<br />
Fotos: Doris KUCERA<br />
nicht für die Katholische Kirche kämpfen wolle,<br />
da für sie alle Religionen gleich seien. So wurden<br />
die Freimaurer in katholischen Ländern wie<br />
Österreich-Ungarn stark beschränkt, da sie als<br />
Gefahr gesehen wurden. Die Freimaurer in protestantischen<br />
Ländern, wie beispielsweise in England,<br />
hatten hingegen keine Probleme. Aus dieser<br />
historischen Epoche kommt auch dieses Gefühl<br />
der Geheimhaltung. Ich liebe den Ausdruck diskret<br />
– wir sind ein diskreter Bund, denn wir sind<br />
nicht auf Facebook, wir schalten keine Inserate,<br />
wir gehen nicht an die Öffentlichkeit. Es gibt uns,<br />
das wissen wir und das genügt uns.<br />
Worum geht es den Freimaurern? Was sind ihre<br />
Grundsätze?<br />
Die ursprünglichen Grundsätze der Freimaurerei<br />
sind: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit<br />
und Toleranz. Diese Begriffe wirken in der heutigen<br />
Zeit etwas sperrig – der Begriff der Brüderlichkeit<br />
kann mit Solidarität gleichgesetzt<br />
werden, Freiheit mit Demokratie, Gleichheit mit<br />
dem Begriff Menschenrechte und Humanität mit<br />
Menschlichkeit. Wir sehen uns regelmäßig einmal<br />
in der Woche zur selben Uhrzeit. Bei diesen<br />
Zusammenkünften diskutieren wir die verschiedenen<br />
Meinungen, die in der Loge bestehen und<br />
es geht uns darum zu erkennen, dass der eigene<br />
Blick doch nicht immer das Maß aller Dinge ist.<br />
Es soll das Bewusstsein geschaffen werden, dass<br />
es – neben der eigenen Überzeugung – noch andere<br />
Einschätzungen gibt. Wir haben ein wöchentliches<br />
Ritual, in welchem es vorerst ums<br />
Innehalten geht, um dann die nötige Ruhe zu<br />
haben, um über tiefgreifende Themen zu diskutieren.<br />
Ich muss eine Zensur zu dem Leben da<br />
draußen schaffen. Jede funktionierende Familie<br />
hat ihre Rituale – das Ritual prägt und schafft<br />
Gemeinsamkeit. Das Ritual besteht aus Goethe-<br />
Texte, die unglaublich impactstark sind – es ist<br />
möglich, immer wieder neue inhaltliche Aspekte<br />
zu finden. Neben dem Lesen der Texte, muss man<br />
aber auch das Kerzenlicht und die Atmosphäre<br />
als Ganzheit erleben. In einem Aspekt fallen wir<br />
sozusagen ein bisschen aus dem zeitgenössischen<br />
Rahmen: Wir glauben, dass Zeit und Entschleunigung<br />
eine ganz wichtige Funktion haben und<br />
wollen Dinge langsam angehen.<br />
Wie wird man ein Freimaurer?<br />
Man entwickelt Interesse, sobald man etwas<br />
von der Freimaurerei hört. Es ist die persönliche<br />
Geisteshaltung – es geht darum, Dinge vom Gedanken<br />
der Menschlichkeit aus anzugehen. Das<br />
heißt nicht, dass wir weltfremd sind, oder ein<br />
Armutsgelübde ablegen. Das heißt nicht, dass<br />
wir eine Religion sein wollen, oder eine bessere<br />
Kirche. Die Freimaurerei richtet sich an den Einzelnen,<br />
sie sollte aus jedem Einzelnen das Gute,<br />
das bereits in ihm steckt, hervorholen. Nach dem<br />
Motto: „Werde der, der du sein könntest.“ Die persönliche<br />
Entwicklung steht im Vordergrund. Der<br />
klassische Weg ist der, dass man angesprochen<br />
»Die Geschichte<br />
zeigt, dass<br />
reine Männerlogen<br />
und reine<br />
Frauenlogen<br />
funktionieren,<br />
gemischte<br />
Logen nicht.<br />
«<br />
CURRICULUM<br />
VITAE<br />
GEORG SEMLER kommt aus<br />
der Textilbranche und ist im<br />
Vorstand der Rudolfinerhaus<br />
Privatklinik. Seit 2014<br />
ist er Großmeister der österreichischen<br />
Großloge.<br />
KONTAKT<br />
GROSSLOGE VON<br />
ÖSTERREICH<br />
www.freimaurerei.at<br />
wird, oder das Gefühl hat, dieser Mensch könnte<br />
etwas mit der Freimaurerei zu tun haben und<br />
ihn selbst anspricht. Der zweite Weg ist sehr einfach:<br />
Wir haben eine Website über die man uns<br />
auch kontaktieren kann – es entsteht dann ein<br />
interaktiver Dialog und wir sind stolz darauf,<br />
dass wir auch maximal 24 Stunden später alle<br />
E-Mails beantworten. So beginnt ein Kommunikationsprozess<br />
– man könnte es fast wie in einer<br />
Beziehung sehen: Es ist ein Prozess des sich Kennenlernens:<br />
Wo passt´s, wo hackt´s und wie geht<br />
man damit um. Die Bindung sollte aber für ein<br />
ganzes Leben eingegangen werden. In aller Regel<br />
bleiben die Herren bei uns, es treten nicht einmal<br />
drei Prozent wieder aus.<br />
Was geschieht, wenn bekannt wird, dass sich ein<br />
Mitglied nicht an die Grundsätze hält?<br />
Freimaurer geloben sich an die Gesetze des<br />
Landes zu halten, in dem sie leben. Jede Art von<br />
Rechtsbruch und strafbarem Verhalten ist natürlich<br />
verpönt – das ist aber eine Untergrenze an<br />
Standards, die wir anlegen. Darüber hinaus geht<br />
es auch um moralisches Verhalten und grundsätzliche<br />
Einstellungen. Was ich gerne zu sagen<br />
pflege, ist, dass Freimaurerei kein Verein, sondern<br />
eine innere Haltung ist. Es gibt bei den Freimaurern<br />
so eine Art Schwarmintelligenz. Das<br />
Mitglied bekommt zunächst den sozialen Druck<br />
zu spüren. Im Endeffekt kann sich die Loge natürlich<br />
auch von Mitgliedern trennen – das ist ein<br />
standardisiertes Verfahren.<br />
Warum werden in die Großloge von Österreich<br />
nur Männer aufgenommen?<br />
Freimaurerei hat mit persönlicher Öffnung<br />
zu tun. Die erste Aufgabe für jeden Neuling ist<br />
folgende: „Erkenne dich selbst – schau, wo deine<br />
persönlichen Fallstricke liegen, über die du im<br />
Leben immer wieder stolperst. Welchem Mechanismus<br />
hast du dich unterworfen, der dich stetig<br />
behindert?“ Ich glaube, dass man sich hinsichtlich<br />
dieser persönlichen Öffnung vor gleichgeschlechtlichen<br />
Mitgliedern leichter tut. Das hat<br />
nichts mit Ausgrenzung des anderen Geschlechts<br />
zu tun. Ein Öffnungsprozess funktioniert so einfach<br />
besser. Es gibt in Österreich auch die weibliche<br />
Freimaurerei. Es existieren drei Logensysteme:<br />
reine Männerlogen, reine Frauenlogen und<br />
gemischte Logen. Außerdem gibt es den englischen<br />
und den französischen Strang. In Frankreich<br />
waren von Beginn an Frauen dabei. Wir leiten<br />
uns von der englischen Loge ab, respektieren<br />
aber den französischen Strang genauso. Ich habe<br />
kein Problem mit Frauenlogen. Das einzige, was<br />
den Engländern wichtig ist, ist der geschützte<br />
Raum der Loge, der auch in unserem Verständnis<br />
den Logenmitgliedern, und das sind nur Männer,<br />
vorbehalten ist. Die Frauenlogen in Österreich<br />
nehmen dasselbe Recht für sich in Anspruch. Interessant<br />
ist auch, dass die Geschichte zeigt, dass<br />
reine Männerlogen und reine Frauenlogen<br />
funktionieren, gemischte Logen nicht. •<br />
<strong>SOCIETY</strong> 2_<strong>2017</strong> | 147