SOCIETY 372 /2017
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FRANKREICH<br />
INTERVIEW<br />
„Wir können viel von<br />
Österreich lernen.“<br />
<strong>SOCIETY</strong> hat mit dem Botschafter S.E. François Saint-Paul<br />
über seine bisherigen Erfahrungen im Botschaftsdienst, den<br />
französischen Präsidenten Emmanuel Macron und seine Liebe<br />
zur deutschen Sprache gesprochen.<br />
Vor ihrem Amtsantritt als Botschafter<br />
in Österreich haben<br />
Sie das Amt in Rumänien und<br />
Kroatien inne gehabt. Welche<br />
Erfahrungen haben Sie während<br />
dieser Zeit gemacht. Gibt<br />
es Erlebnisse in dieser Zeit, die Sie besonders geprägt<br />
haben?<br />
Die wichtigste Erfahrung war, dass diese beiden<br />
Länder so unterschiedlich und für einen<br />
Franzosen so weit weg sind. Als Botschafter weiß<br />
man anfangs nicht, welchen Einfluss die Geschichte<br />
des eigenen Landes auf diese Länder und<br />
ihre Menschen ausgeübt hat. Für mich war das<br />
Wichtigste, mir die geschichtliche Beziehung dieser<br />
Länder zu Frankreich in Erinnerung zu rufen.<br />
Können Sie Beispiele für den französischen<br />
Einfluss in Kroatien und Rumänien nennen?<br />
Ein Beispiel wäre Kroatien im 19. Jahrhundert.<br />
Während der Zeit Napoleons war Kroatien<br />
ein Teil der sogenannten „Provinces Illyriennes“<br />
(dt. Illyrische Provinzen). In den heutigen kroatischen<br />
Gebieten gibt es viele Erinnerungen an<br />
die Franzosen. Zum Beispiel am Hafen von Split<br />
gibt es den „Quai des Français“. Von Rumänien<br />
ist Frankreich geographisch weit entfernt, geschichtlich<br />
aber eng verbunden. Als das Land<br />
1888 durch den Berliner Kongress die Unabhängigkeit<br />
erhalten hat, unterstützten die Franzosen<br />
Rumänien auch. Daher ist Französisch in Rumänien<br />
immer noch eine gängige Sprache. Man sagt,<br />
dass 20 Prozent des Vokabulars aus dem Französischen<br />
kommt.<br />
Welche politischen, kulturellen und wirtschaftlichen<br />
Themen haben für Sie, während<br />
ihres diplomatischen Dienstes in Österreich<br />
Priorität?<br />
CURRICULUM<br />
VITAE<br />
S.E. FRANÇOIS SAINT-<br />
PAUL wurde am 3. März<br />
1958 geboren. Er absolvierte<br />
die École Nationale<br />
d’Administration (ENA),<br />
das Institut d’études politiques<br />
(IEP) und schloss<br />
die Licence in Rechtswissenschaften<br />
ab. Zwischen<br />
1985 und 1989 arbeitete<br />
er als Erster und Zweiter<br />
Botschaftssekretär in<br />
Mexiko. Von 1985 bis 1989<br />
war er im Außenministerium<br />
und Staatsamt von Frankreich<br />
tätig. Von 1990 bis<br />
2004 hatte er verschiedene<br />
Ämter auf europäischer<br />
Ebene inne, beispielsweise<br />
als Erster und Zweiter<br />
Botschaftsrat der Ständigen<br />
Vertretung Frankreichs bei<br />
der UNO in Genf (1998-<br />
2002) und anschließend<br />
als Kabinettsdirektor der<br />
Ministerin für europäische<br />
Angelegenheiten (2002-<br />
2004). Von 2004 bis 2009<br />
wurde er als Botschafter<br />
nach Kroatien entsandt.<br />
Von 2014 bis <strong>2017</strong> war er<br />
Botschafter in Rumänien.<br />
Seit <strong>2017</strong> ist er in Österreich<br />
als Botschafter tätig.<br />
Österreich und Frankreich haben sehr gute<br />
Beziehungen, aber ich bin davon überzeugt, dass<br />
wir besonders im europäischen Bereich die Zusammenarbeit<br />
weiter vertiefen sollten. Ein Ziel<br />
meiner Botschaftstätigkeit ist es, Frankreich<br />
mehr in das Bewusstsein der österreichischen<br />
Bevölkerung zu bringen und umgekehrt. Im kulturellen<br />
Sektor funktioniert das schon sehr gut,<br />
aber auf dem politischen und wirtschaftlichen<br />
Gebiet denken die Franzosen immer zuerst an<br />
Deutschland. Sie kennen das Potenzial von Österreich<br />
nicht genug und müssen dieses erst entdecken.<br />
Wir haben viel von Österreich zu lernen,<br />
beispielsweise im Hinblick auf die Reformen im<br />
Bereich Bildung, die wir momentan in Frankreich<br />
versuchen durchzusetzen. In Österreich<br />
funktioniert das System der Hochschulbildung,<br />
der Berufsschule und Lehrlingsausbildung um<br />
einiges besser als in Frankreich.<br />
Deutschland und Frankreich sind in letzter<br />
Zeit ja sehr eng zusammengewachsen. Inkludiert<br />
das in Ihrem Denken auch Österreich, vor<br />
allem hinsichtlich der EU?<br />
Ja, davon bin ich überzeugt. Europa braucht<br />
Österreich aus mehreren Gründen. Das geschichtliche<br />
Erbe Österreichs ist auch das geschichtliche<br />
Erbe Europas. Weiter ist Österreich einer der<br />
Hauptinvestoren in Osteuropa und führt starke<br />
wirtschaftliche Beziehungen mit Tschechien, der<br />
Slowakei und den restlichen osteuropäischen<br />
Ländern. Österreich ist es auch gewohnt Brücken<br />
zu bauen und genau das braucht Europa heute.<br />
Ich würde gerne ein Beispiel für den internationalen<br />
Beitrag Österreichs nennen: Präsident Macron<br />
ist am 23. August nach Salzburg gekommen,<br />
um im Zuge der Salzburger Festspiele die Regierungschefs<br />
von Österreich, Tschechien und der<br />
Slowakei zu treffen. Es war ein produktives<br />
➢<br />
<strong>SOCIETY</strong> 2_<strong>2017</strong> | 33