10.01.2019 Aufrufe

Sprachen (2015)

Kongressband Dreiländerkongress 2015 in Wien

Kongressband Dreiländerkongress 2015 in Wien

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

und fordert zur Unterwerfung auf. Mehr noch: Während Fall 1 ganz auf ein<br />

Handeln zielt, zielt „Gib deine Selbstbestimmung auf“ auf die Person. Das ist<br />

eindeutig Gewalt.<br />

Dieselbe Gewalt hätte der Betroffene allerdings auch gestisch, etwa durch<br />

Anfassen, ausüben können. Unser Thema hier ist die sprachliche Gewalt.<br />

Diese ist in der Darstellungsfunktion zu finden, und sie hat eine positive und<br />

eine negative Form.<br />

In Fall 1 besteht die Gewalt im Schlag, nicht aber in der Darstellungsfunktion<br />

(„Du hast mich angefasst“). Der Satz: „Häng 'mal deine Titten 'n bisschen<br />

höher“ enthält die Sachbotschaft: „Du hast Titten“. Das Wort „Titten“ ist<br />

eine Benennung, die zugleich eine Abwertung transportiert.<br />

Es ist sinnvoll, „Benennung“ und „Bewertung“ zu unterscheiden. Aber voneinander<br />

lösen können wir sie nicht. Was ist mit dem Satz: „Morgen bringe<br />

ich mich um“? Ist er Ankündigung eines Suizids, so ist er ein psychiatrisches<br />

Symptom. Ist er eine Selbstmorddrohung, so ist er eine Erpressung. Ist er<br />

Entschluss zum Freitod, so kann er als Zusicherung eines Aktes hoher Moralität<br />

gelten, und so fort. Von der Benennung hängt ab, was etwas ist. Ebenso<br />

hängt von der Benennung ab, zu welcher Haltung und zu welchen Handlungen<br />

die Anderen aufgerufen sind; zu welchen Handlungen die Anderen berechtigt<br />

sind. Symptomträger sollte ich behandeln, Erpresser muss ich bestrafen,<br />

Helden will ich verehren: Benennungen schaffen Lizenzen, und damit<br />

Handlungsfreiräume.<br />

Die Benennung „Du hast Titten“ räumt dem Sprecher die Erlaubnis ein, die<br />

Angesprochene zu verachten und von ihr Handlungen zu fordern, die er sich<br />

gegenüber einer Respektsperson wie z.B. der Kanzlerin des Landes oder der<br />

eigenen Mutter gegenüber niemals erlauben würde. Die eigene Mutter, so<br />

lange sie respektiert wird, hat keine „Titten“, und die Frau mit „Titten“<br />

braucht von Mann nicht respektiert zu werden. Dies ist die positive Form<br />

sprachlicher Gewalt. Mit dem Wort „Schmerzreiz“ ist es genau so. Schmerzreize,<br />

Lachreize, Juckreize, die sind einfach da, oder sie lassen sich „setzen“<br />

wie ein Glas Wasser auf den Tisch. Nennen wir dieselbe Handlung „weh<br />

80

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!