Develop³ Systems Engineering 02.2016
Themenschwerpunkte: Methoden, Tools sowie Anwendungen; Köpfe der Wissenschaft: Prof. Reinhard Hüttl, Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech), und Dipl.-Ing. Arno Kühn, Fraunhofer IEM
Themenschwerpunkte: Methoden, Tools sowie Anwendungen; Köpfe der Wissenschaft: Prof. Reinhard Hüttl, Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech), und Dipl.-Ing. Arno Kühn, Fraunhofer IEM
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KÖPFE DER WISSENSCHAFT<br />
MENSCHEN & UNTERNEHMEN<br />
gien wie das Fracking im Hinblick auf die gesellschaftliche Bedeutung,<br />
auf Chancen und Risiken hin untersuchen. Technikwissenschaftler<br />
sind keineswegs Technokraten.<br />
develop 3 : Welche Zwischenergebnisse machen Sie bei den<br />
MINT-Initiativen aus, also beim Bemühen um das Verständnis<br />
junger Menschen bei Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften<br />
und Technik?<br />
Hüttl: Es gibt erste Erfolge. Beispielsweise werden Ingenieursstudiengänge<br />
weiblicher. Doch immer noch halten Klischees junge Menschen<br />
von einer Laufbahn im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich<br />
ab. Und immer noch gibt es Studiengänge mit 50 oder gar 60<br />
Prozent Abbrecherquote. Da muss man schon fragen, was sich in der<br />
Vorbereitung auf den Studiengang, aber auch im Curriculum tun lässt.<br />
Bei acatech gibt es eine Arbeitsgruppe, die das Thema Studienabbruch<br />
angeht. Hier geht es auch um eine Selbstreflexion der in diesem Bereich<br />
aktiven Hochschullehrer. Keine leichte Aufgabe, aber notwendig.<br />
„Ist es von der Gesellschaft her<br />
betrachtet nicht ebenso ein<br />
Durchbruch, wenn Forscher<br />
und Praktiker gemeinsam den<br />
Reifenabrieb signifikant<br />
verringern?“<br />
develop 3 : Hohe Abbrecherquoten in MINT-Studiengängen gibt<br />
es seit Jahrzehnten. Ich bezweifle, dass sich daran in den kommenden<br />
Jahres etwas ändern wird.<br />
Hüttl: Nach dem Motto „Einsicht ist der erste Schritt“ sollte man<br />
diese Arbeit nicht unterschätzen. Wenn sich eine acatech-Arbeitsgruppe<br />
mit führenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern<br />
für Veränderungen ausspricht, wird das gehört werden. Ich kann mir<br />
gut vorstellen, dass auf Basis unserer Vorschläge Initiativen und Pilotprogramme<br />
zur Verbesserung der Studienerfolge entstehen. Doch<br />
bei allen Optimierungen ist klar: Ein Flugzeug muss fliegen, eine Brücke<br />
muss tragen. Da gibt es keine Toleranz. Unter diesem Paradigma<br />
muss die Qualität eines Studiums zwingend gewahrt bleiben.<br />
develop 3 : Die Fraunhofer Gesellschaft zur Förderung der angewandten<br />
Forschung ist ein internationales Vorzeigemodell.<br />
Braucht es mit acatech noch eine weitere Organisation, die in<br />
dasselbe Horn bläst?<br />
Hüttl: Wir betreiben bei acatech keine primäre Forschung wie<br />
Fraunhofer, sondern führen Wissen zusammen und beraten auf dieser<br />
Basis Politik und Gesellschaft. Dafür bringen wir eine große wissenschaftliche<br />
Breite mit und integrieren forschende Unternehmen.<br />
develop 3 : acatech hat 468 Mitglieder – alles Professoren, alles<br />
höchst respektable Persönlichkeiten. Doch reicht eine Professorengruppe,<br />
um die Politik wissenschaftsbasiert zu beraten?<br />
Hüttl: Keine Sorge. In unserem Senat, der aktuell 104 Mitglieder<br />
hat, sind auch andere Kompetenzen vertreten. Und zweitens holen<br />
wir uns für die Arbeitsgruppen den nichtprofessoralen Sachverstand,<br />
den wir brauchen: In den von Wissenschaftlern geleiteten<br />
Gruppen arbeiten je nach Problemstellung auch Vertreter der Wirtschaft,<br />
Verbände, NGOs, Medien, Gewerkschaften mit. Eine unabhängige,<br />
fundierte akademische Basis bleibt jedoch die Voraussetzung<br />
unserer Arbeit, und da sind führende Professoren durchaus im<br />
Vorteil.<br />
develop 3 : Wie aktiv sind die acatech-Mitglieder? Sie haben<br />
doch sicher auch Mitläufer?<br />
Hüttl: acatech ist 2008 aus ursprünglich sieben wissenschaftlichen<br />
Landesakademien entstanden. Wir haben daher eine Reihe von Mitgliedern,<br />
die schon vor Längerem berufen wurden. Bei der Mitgliedschaft<br />
unterscheiden wir zwischen ordentlichen und entpflichteten<br />
ordentlichen Mitgliedern, die älter als 72 Jahre sind. Rund 70 sind<br />
aufgrund ihres Alters entpflichtet. Jedoch führe ich mit jedem Mitglied,<br />
das in die Akademie gewählt wird, ein persönliches Zuwahlgespräch.<br />
Wir besprechen, zu welchen Themen sich die Wissenschaftlerin<br />
oder der Wissenschaftler einbringen wird und was die Mitwirkung<br />
bei acatech bedeutet. Wir sehen uns als Arbeitsakademie,<br />
nicht als Gelehrtengesellschaft. Wer ordentliches Mitglied wird, von<br />
dem erwarten wir dann auch Initiative. Und unsere Mitglieder engagieren<br />
sich: In unserem Energieprojekt ESYS wirken beispielsweise<br />
gut 100 Expertinnen und Experten, die allein 2015 in über 80 Arbeitsgruppentreffen<br />
zusammengetreten sind. Unsere Mitglieder engagieren<br />
sich ohne Honorar. Motivation für die Mitarbeit in unseren<br />
Gremien ist, dass die geleistete Arbeit nicht als Publikation im Regal<br />
verschwindet, sondern dass sie gesellschaftspolitische Wirkung<br />
entfaltet.<br />
develop 3 : Was will acatech in den nächsten Jahren erreichen?<br />
Hüttl: acatech ist die von der Bundesrepublik Deutschland legitimierte<br />
Stimme der Technikwissenschaften im In- und Ausland unter<br />
der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten. Unsere primäre Aufgabe<br />
ist die wissenschaftsbasierte, unabhängige Politikberatung.<br />
Wir organisieren unter anderem den Innovationsdialog der Bundesregierung.<br />
In Zukunft wollen wir uns noch deutlicher in den gesellschaftlichen<br />
Dialog einbringen. Wir wollen, dass Technik und Technologie<br />
zum weiteren Wohlergehen unserer Gesellschaft beitragen.<br />
Und dass die Menschen Technik als integralen Bestandteil unserer<br />
Kultur verstehen.<br />
develop 3 : Prof. Hüttl, vielen Dank für das informative Gespräch.<br />
Bild: bdw<br />
Interview: Wolfgang Hess, Redaktionsdirektor<br />
und Chefredakteur von bild der wissenschaft<br />
(bdw), die wie die develop 3 systems engineering<br />
in der Konradin Mediengruppe erscheint<br />
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