Develop³ Systems Engineering 02.2016
Themenschwerpunkte: Methoden, Tools sowie Anwendungen; Köpfe der Wissenschaft: Prof. Reinhard Hüttl, Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech), und Dipl.-Ing. Arno Kühn, Fraunhofer IEM
Themenschwerpunkte: Methoden, Tools sowie Anwendungen; Köpfe der Wissenschaft: Prof. Reinhard Hüttl, Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech), und Dipl.-Ing. Arno Kühn, Fraunhofer IEM
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INDUSTRIE 4.0<br />
ANWENDUNGEN<br />
Bild: Wittenstein<br />
Dr. Manfred Wittenstein, Vorstand für Technologie<br />
und Innovation bei der Wittenstein AG<br />
„Wir brauchen<br />
einen Produktionsinformatiker,<br />
der die Informations-<br />
und die<br />
Produktionstechnik<br />
näher<br />
zusammen -<br />
bringt.“<br />
Bild: Jim Rakete / DFKI<br />
„Fachkräfte<br />
werden aufgrund<br />
des demografischen<br />
Wandels in<br />
Zukunft wahrscheinlich<br />
länger<br />
arbeiten.“<br />
Prof. Wolfgang Wahlster, Professor für Informatik und CEO des<br />
Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI)<br />
Klar ist nur: Die Grenzen zwischen den Berufsbildern schwinden.<br />
Nach einer Ausbildung zum Instandhalter warten Nachwuchskräfte<br />
heute zum Beispiel nicht nur Maschinen, sondern arbeiten darüber<br />
hinaus mit Robotern und werten für Predictive Maintenance Daten<br />
in Echtzeit aus. Diese Flexibilität bringt nicht jeder mit. Der Kampf<br />
um die besten Köpfe wird sich daher intensivieren.<br />
Neue Berufe oder ein neues Ausbildungssystem sieht der VDMA<br />
indes nicht. Laut der Studie „Industrie 4.0 – Qualifizierung 2025“<br />
werden das Duale Studium und die bestehenden beruflichen Fortbildungssysteme<br />
sogar noch wichtiger werden. Der klassische Meister<br />
wird laut VDMA allerdings an Bedeutung verlieren. An seine<br />
Stelle tritt der fachübergreifend ausgebildete Spezialist mit IT-Erfahrung,<br />
der lebenslang lernt. On-the-Job, im unternehmenseigenen<br />
Trainingszentrum und/oder durch externe Schulungsangebote.<br />
Dr. Manfred Wittenstein, Vorstand für Technologie und Innovation<br />
bei der Wittenstein AG, bringt in der erwähnten IAO-Studie die Meinung<br />
vieler Experten auf den Punkt: „Wir müssen die Informationsund<br />
die Produktionstechnik näher zusammenbringen und diese<br />
Gebiete vereinen, beispielsweise in einer Ausbildung zum Produktionsinformatiker.<br />
Wir brauchen dort keine Informatiker – die werden<br />
nicht die Probleme der Produktion lösen. Wir müssen die Verständigung<br />
zwischen den Einzeldisziplinen weiter verstärken, damit die<br />
Probleme in eine Informatiksprache übersetzt werden können“.<br />
Flexibilität von Maschine und Mensch<br />
Was wird sich direkt an den Arbeitsplätzen ändern? Volatile Märkte,<br />
vernetzte Strukturen und kleinere Losgrößen erfordern nicht nur<br />
Flexibilität in den Prozessen, sondern auch von allen handelnden<br />
Personen. Bereits heute weicht in sechs von zehn Unternehmen<br />
mindestens einmal pro Woche die tatsächliche Arbeitszeit um mehr<br />
als 30 Minuten von der Normarbeitszeit ab. Die Organisation<br />
zukünftiger Arbeitspläne ist mit klassischen Methoden nicht zu<br />
schaffen. Deshalb werden Mitarbeiter im Rahmen von Industrie 4.0<br />
ebenfalls mit modernen Kommunikationstechnologien ausgestattet.<br />
Borg-Warner in Ludwigsburg, Zulieferer der Automobilindustrie für<br />
Komponenten und Systeme für den Antriebsstrang, hat zum Beispiel<br />
firmenweit eine App eingeführt, mit der sich Mitarbeiter über<br />
ihre Smartphones aktiv für außerordentliche Projekteinsätze bewerben<br />
können. Den Zuschlag erhält dann nicht der Schnellste oder wer<br />
gut mit dem Schichtführer kann. Zusätzliche soziale Kriterien wie<br />
bereits absolvierte Überstunden oder auch Kompetenz für den<br />
jeweiligen Auftrag fließen mit ein.<br />
Weitere Hardware wird die Mensch-Maschine-Kommunikation vereinfachen:<br />
Augmented-Assistenzsysteme. Das könnte so aussehen<br />
wie bei VW in Wolfsburg. Dort wird in der Produktionslogistik<br />
bereits eine 3D-Datenbrille genutzt. Der Träger erhält in seinem<br />
Sichtfeld Informationen zu Komponenten, zum Beispiel die Teilenummer.<br />
Die Kamera der Brille dient als Barcode-Scanner. Entnimmt<br />
der Mitarbeiter ein falsches Teil, wird er durch eine rote Einblendung<br />
gewarnt. Mit der Datenbrille hat der Mitarbeiter beide<br />
Hände frei und er wird durch die Kamera visuell unterstützt. So kann<br />
er qualifizierter als bisher eingesetzt werden. Er geht durch die Halle<br />
und sieht sofort, wo sein Auftrag plus die dafür notwendigen Materialien<br />
und Informationen sind.<br />
Die Zukunft der Zukunft<br />
Was bringt Industrie 4.0 dem Menschen im Unternehmen? Die<br />
Prognosen fallen erwartungsgemäß unterschiedlich aus. Manche<br />
Experten sehen in Industrie 4.0 die Lösung des demographischen<br />
Wandels. Professor Wahlster, Experte für künstliche Intelligenz am<br />
DFKI, sagt in der Studie „Produktionsarbeit der Zukunft“ voraus:<br />
„Wir wissen, dass Fachkräfte aufgrund des demografischen Wandels<br />
in Zukunft wahrscheinlich länger arbeiten müssen. Dafür brauchen<br />
wir eine Fähigkeitsunterstützung mithilfe einer neuen Generation<br />
industrieller Assistenzsysteme im physischen, aber auch im<br />
kognitiven Bereich, damit auch ältere Arbeiter ihre immer komplexeren<br />
Aufgaben ohne Gesundheitsbelastungen und mit Freude an der<br />
Arbeit bewältigen können.“ Andere warnen dagegen vor dem<br />
Schreckgespenst des gläsernen Arbeiters unter der Fuchtel der totalen<br />
Datenkontrolle. Die Wahrheit ist wohl nicht so einfach. Industrie<br />
4.0 wird inzwischen durchaus kontrovers diskutiert, die ersten<br />
Roboter wurden schon wieder abgebaut. Zum Beispiel bei Toyota.<br />
Nach mehreren kostspieligen Rückrufaktionen werden dort wieder<br />
verstärkt manuelle Arbeitsplätze eingeführt. Roboter haben es eben<br />
auch nicht immer leicht.<br />
Der Autor: Michael Grupp, Redakteur in Stuttgart,<br />
im Auftrag der Konradin Mediengruppe<br />
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