vierteljahrshefte für zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte
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Adam Stegerwald und die Krise des deutschen Parteiensystems 23<br />
stande sein würde, auf die politische Entwicklung Deutschlands einen unmittelbaren<br />
und dauernden Einfluß auszuüben. „Bin ich richtig orientiert", schrieb<br />
Brüning Ende September 1921 in einem vertraulichem Expose an Stegerwald,<br />
„so bestand die Absicht, bei voller Aufrechterhaltung der Selbständigkeit der drei<br />
Gesamtverbände dahin zu arbeiten, daß eine immer stärkere Gesinnungsgemeinschaft<br />
sich ergibt, aufgrund deren der geschäftsführende Vorstand des Deutschen<br />
Gewerkschaftsbundes in der Lage sein würde, der kommenden Entwicklung vorzuarbeiten<br />
und eine rechtzeitige Einstellung der Gesamtbewegung auf eine einheitliche<br />
Marschroute herbeizuführen." In diesem Sinne schlug Brüning eine<br />
Reihe organisatorischer Maßnahmen vor, die die Entscheidungs- und Machtbefugnisse<br />
der drei großen Gesamtverbände, die den DGB bildeten, zugunsten des<br />
geschäftsführenden Vorstandes des DGB einschränken sollten. Darüber hinaus<br />
regte Brüning die Bildung eines parlamentarischen Aktionskomitees an, das die<br />
parlamentarische Tätigkeit der DGB-Vertreter koordinieren sollte. Als Vorsitzender<br />
dieses Gremiums war Brüning selbst vorgesehen, während Stegerwald —<br />
mit Thiel und Gutsche als seinen Stellvertretern — den Vorsitz des geschäftsführenden<br />
Vorstandes übernehmen sollte 88 .<br />
Brünings Memorandum stellte einen entschlossenen Versuch dar, dem Deutschen<br />
Gewerkschaftsbund jene organisatorische Struktur zu geben, die er und<br />
Stegerwald als unerläßliche Voraussetzung <strong>für</strong> die Verwirklichung des „Essener<br />
Programms" und <strong>für</strong> eine zielbewußte und wirksame Gewerkschaftspolitik ansahen.<br />
In den nächsten Monaten stießen jedoch Brünings Pläne <strong>für</strong> eine Reorganisierung<br />
des DGB bei den Führern der zahlenmäßig stärksten und einflußreichsten<br />
christlichen Gewerkschaften aus den westlichen Teilen Deutschlands<br />
auf so heftigen Widerstand, daß sie schließlich aufgegeben werden mußten, was<br />
Brüning so erzürnte, daß er zum 1. Januar 1922 um seine Entlassung als DGB-<br />
Geschäftsführer bat 89 . Während Bechly und die Führung der dem DGB angeschlossenen<br />
Angestelltengewerkschaften anscheinend bereit waren, den organisatorischen<br />
Vorschlägen Brünings zuzustimmen und <strong>für</strong> sie sogar große finanzielle<br />
Mittel freizumachen, wenn Stegerwald an der Spitze der Bewegung blieb 90 , waren<br />
die maßgeblichen christlichen Gewerkschaftsführer aus dem Westen fest entschlossen,<br />
jeden Eingriff der DGB-Führung in ihre eigenen Entscheidungsbe-<br />
88<br />
Brüning an Stegerwald, 24. September 1921, NL Stegerwald.<br />
89<br />
Brüning an den Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes, 23. November 1921, NL<br />
Stegerwald.<br />
90<br />
Bechly an Stegerwald, 28. September 1921, NL Stegerwald. Als weiteres Anzeichen <strong>für</strong><br />
die breite Unterstützungsbasis, die Stegerwald innerhalb des DHV und seiner angeschlossenen<br />
Angestelltengewerkschaften genoß, vgl. den von Zimmermann verfaßten Bericht<br />
über Stegerwaids Rede auf dem Deutschen Handlungsgehilfen-Tag in Essen, 15. Oktober<br />
1921, in: Deutsche Handels-Wacht, Jg. 28, Nr. 37 (26. Oktober 1921). S. 313-15. Innerhalb<br />
der Zentrumspartei wurden die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Stegerwald<br />
und denjenigen Arbeitnehmerkreisen, die rechts vom Zentrum standen, scharf kritisiert.<br />
Vgl. Stegerwald an Bechly, 3. Oktober 1921, NL Stegerwald.