vierteljahrshefte für zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte
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88 Elmar Krautkrämer<br />
Zeitpunkt komme, sich nicht da<strong>für</strong> einsetzen, daß Frankreich seine überseeischen<br />
Besitzungen behalte. Das mußte die Vichyregierung an ihrer empfindlichsten<br />
Stelle treffen. Eine gleichzeitig eingetroffene Note des britischen Königs 43 unterschied<br />
sich in Inhalt und Form von Roosevelts Botschaft wie auch von Churchills<br />
früheren verletzenden Äußerungen und bezweckte, die Verhandlungstüre offen<br />
zu halten. Ottawa und Dublin reagierten besonders heftig, und Admiral Esteva<br />
berichtete aus Tunis von einer großen Erregung, ähnlich der zwischen dem 17.<br />
und 24. Juni 44 . In der französischen Bevölkerung zeigte sich Unruhe, zumal die<br />
unmittelbar nach Montoire einsetzende Austreibung der nicht „Volksdeutschen"<br />
Bewohner Elsaß-Lothringens den Eindruck verstärkte, daß der Ausverkauf<br />
Frankreichs begonnen habe. Am 30. Oktober forderte Pétain in einer Rundfunkrede<br />
45 das französische Volk zum Vertrauen in die neue Politik auf, die die<br />
Leiden des Landes verringern, das Schicksal der Gefangenen verbessern, die Bürde<br />
der Besatzungskosten mindern, die Demarkationslinie lockern und die Verwaltung<br />
und Versorgung des Territoriums erleichtern sollte. Der Marschall bekannte<br />
sich zwar zu den Verpflichtungen gegenüber dem Sieger, betonte jedoch,<br />
daß die Zusammenarbeit aufrichtig sein und jeden feindseligen Gedanken ausschließen<br />
müsse. Damit waren der deutschen Seite die wesentlichen Bedingungen<br />
<strong>für</strong> eine Kollaboration genannt. Der Satz, daß Frankreich seine Souveränität<br />
behalten habe, diese es jedoch verpflichte, seinen Boden zu verteidigen, mochte<br />
an die Adressen Berlins wie Londons gerichtet sein. Aber der Passus: „Diese Politik<br />
ist die meine. Die Minister sind nur mir verantwortlich. Allein über mich<br />
wird die Geschichte urteilen!" besagte, daß nicht Laval, sondern der Marschall<br />
selbst die Politik bestimmte. Diese Interpretation wurde auch dem amerikanischen<br />
Geschäftsträger gegeben 46 .<br />
Weniger unter dem Eindruck von Montoire als unter dem der ersten deutschfranzösischen<br />
Konferenz 47 zeigte London ein unerwartetes Entgegenkommen.<br />
Das Foreign Office bot an, der französischen Regierung „verbindliche und formelle<br />
Zusicherungen" zu geben, daß die Einheit des empire nach dem Kriege<br />
wiederhergestellt werde, und zwar einschließlich der gegenwärtig gaullistischen<br />
Territorien. Vichy brauche nicht die in Afrika entstandene Situation anzuerkennen,<br />
sondern sich nur eines Angriffs auf die dissidenten Kolonien zu enthalten.<br />
Ein Angriff gegen de Gaulle würde allerdings fast unvermeidlich zum Kriege<br />
mit England führen 48 . Wenn Vichy nun auf dem Recht bestand, „unter allen<br />
43<br />
Wortlaut in: Le Proces du Maréchal Pétain. Compte rendu sténographique (künftig PP),<br />
Paris 1945, S. 921 f. Die Botschaft ging auf eine Anregung Samuel Hoares zurück, der<br />
auch Woshington eine sanftere Note vorgeschlagen hatte. S. Hoare S. 139 f.; Woodward I<br />
S. 416 f.; Weddel an SSt am 26. Okt. FRUS a. a. O. S. 476.<br />
44<br />
Charles-Roux a. a. O. S. 381.<br />
45<br />
Wortlaut Ph. Pétain, Quatre années, S. 69 ff.<br />
46<br />
Matthews an SSt am 31. Oktober. FRUS a. a. O. S. 478.<br />
47<br />
S. u. S. 91.<br />
48<br />
Weisungen des Foreign Office an S. Hoare vom 7. und 9. November, Woodward I S. 419-<br />
421.