vierteljahrshefte für zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte
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Die „Technische Nothilfe" 71<br />
fluß dann wieder - auf Grund der alle Gewerkschaften erschütternden wirtschaftlichen<br />
Stabilisierung nach der Ruhr-Krise, aber auch, weil gerade der ADGB<br />
bis zur Mitte der zwanziger Jahre aktiv gegen die radikalen Eindringlinge vorging.<br />
Ansätze zu eigenen kommunistischen Zellenbildungen außerhalb des<br />
ADGB schlugen fehl; bis 1925 blieb es lediglich bei der theoretischen Diskussion.<br />
Ein von Kommunisten angezettelter Streik — ob nun „wild" bzw. „politisch"<br />
oder nicht — mußte schon aus dieser Situation der Schwäche heraus ein fragwürdiges<br />
Manöver sein. Im übrigen entsprach ein rein politisch motivierter Streik<br />
gar nicht den naheliegenden alltäglichen Bedürfnissen der wirklich notleidenden<br />
Arbeiter auf der Linken; zumeist bestimmten wirtschaftliche Faktoren den Entwicklungsgang<br />
auch der sogenannten „wilden" Streiks. Viele, vom Bürgertum<br />
pauschal als „politisch" apostrophierte Ausstandsbewegungen der Linken 207 bezweckten<br />
in Wahrheit lediglich verbesserte Arbeitsbedingungen und höhere<br />
Löhne — auch in den „lebenswichtigen" Betrieben. Das war bezeichnenderweise<br />
selbst während der Ruhr-Revolte unter den Bergarbeitern im April 1919 der<br />
Fall, aber auch beim mitteldeutschen Gemeindearbeiterstreik Ende Oktober<br />
1924 208 . Ganz besonders aber traf dies auf die Landwirtschaft zu. Der Lebensstandard<br />
der Landarbeiter, gerade der des Ostens, war nach dem Ersten Weltkrieg<br />
einer der niedrigsten im Reich 209 . Hinzu kam, daß sich die gewerkschaftlichen<br />
Schutzorganisationen auf dem Lande nur unter Schwierigkeiten durchsetzen<br />
konnten; oft waren sie in irgendeiner Form von den Arbeitgebern abhängig 210 .<br />
Diese beiden Faktoren machen verständlich, warum die Streiks auf dem Lande<br />
tatsächlich häufig „wild", also der Führung der etablierten Gewerkschaften entzogen<br />
und von versprengten Kommunisten oder Anarcho-Syndikalisten geleitet<br />
waren, zugleich, warum in ihnen nicht politische, sondern Lohn-Forderungen<br />
eine vorrangige Rolle spielten 211 .<br />
Öfter als in den Industrieanlagen wurden bei solchen Landarbeiterstreiks die<br />
Notstandsarbeiten von den Streikenden verweigert, so daß die Technische Nothilfe<br />
einen willkommenen Anlaß zum Einschreiten sah 212 . Nicht selten, und namentlich<br />
unter dem Einfluß ihrer radikalsten Rädelsführer, vertraten kommunistische<br />
Streikkommandos den Standpunkt, jede Durchführung von Notstandsar-<br />
207<br />
Vgl. typisch Conrad, S. 233*; Deutsche Wirtschaftszeitung 24 (1927), Sp. 1017.<br />
208<br />
Oertzen, S. 253. Vgl. das Dok. bei Feuerherdt, S. 101.<br />
209<br />
Teno, S. 27; Prot.; 305. RT-Sitzung, 22. 2. 23, S. 9827 f.<br />
210<br />
Dazu Anm. 77.<br />
211 Vgl. die Beispiele in: Prof. Dr. Dade, Zum Landarbeiterstreik, in: Die Woche, 26.7.19,<br />
S. 807-10, insbes. S. 810; Münchener Post, 14.4.22; Otto Lummitzsch, Was lehrt die<br />
dreijährige Tätigkeit der Technischen Nothilfe?, DR 1922, S. 317-19, insbes. S. 318; Die<br />
Rote Fahne, 4.8.22; Frielinghaus, Frage, Sp. 718; Werner T. Angress, Stillborn Revolution.<br />
The Communist Bid for Power in Germany, 1921-1923, Princeton (N. J.) 1963,<br />
S. 353 f.; dazu die Einzeldok. im Landesarchiv Schleswig, Reg. Eutin, A Va/30, Org. TN.<br />
212 Vgl. Münchener Post, 14. 4. 22; Lummitzsch, Tätigkeit, S. 318; Die Rote Fahne, 8. 4. 22;<br />
Frielinghaus, Frage, Sp. 718. Dazu das Beispiel aus dem Braunschweigischen in: Verband<br />
Braunschweiger Landwirte e. V. an Staatsministerium, Abtlg. Landwirtschaft, Braunschweig,<br />
29. 7. 20, NSAW, 12 A Neu, 13h/16096.