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8 KULTUR JOKER Theater

Die große Kunst, falsch zu singen

„Souvenir“ – Eine schräge Musikkomödie über die exzentrisch-schillernde Florence Foster Jenkins

Wer Lust auf einen höchst

vergnüglichen, liebevoll verrückten

Theaterabend hat,

findet derzeit bei den Schönen

im Freiburger E-Werk die richtige

Adresse. Die Inszenierung

von Stephen Temperleys Stück

„Souvenir“ porträtiert die bislang

wohl einzigartige Persönlichkeit

einer leidenschaftlichen

Sopransolistin, die leider außerstande

war, auch nur einen Ton

richtig zu treffen oder das Metronom

zu halten und dennoch

im New York der ersten Hälfte

des 20. Jahrhunderts rauschende

Erfolge in bestimmten

Society-Kreisen feiern konnte.

Florence Foster Jenkins

(*1868 in Pennsylvania als

Tochter begüterter Eltern) genoss

zunächst eine gründliche

Klavierausbildung und erwarb

sich wohl auch eine gewisse

Fertigkeit, denn sie gab etliche

Konzerte, darunter sogar

Auftritte im Weißen Haus bei

Präsident Rutherford Hayes. Im

Alter von 16 Jahren riss sie von

zuhause aus. Wohl, weil ihre

Eltern eine von ihr angestrebte

Gesangsausbildung nicht finanzieren

wollten. Sie heiratete den

Arzt Frank T. Jenkins, der sie

unglücklicherweise mit Syphilis

ansteckte. Es wird vermutet,

dass die damaligen drastischen

Behandlungsmethoden ihr musikalisches

Gehör nachhaltig

zerstört haben. Nach dem Tod

ihres Vaters wurde sie reiche

Erbin und betätigte sich in verschiedenen

Gesellschaftskreisen

als Mäzenin. Offenbar war

ihr der Gehördefekt nicht klar,

denn sie strebte voller Energie

eine eigene Gesangskarriere an.

Zunächst trat sie auf Benefiz-

Feminismus und Tanz ist

kein Paar, das ohne Widerstände

zusammenkäme. Da

sind nicht nur die Hierarchien,

die es selbstredend auch in der

freien Szene gibt, da ist auch

eine gnadenlose Altersauslese.

Männer haben es da ein bisschen

besser, sie sind im Tanz

in der Minderheit und gegen

die Frauen wird die Schwerkraft

des Körpers ausgelegt.

Für sie ist dann bereits Schluss,

wenn ihre Kolleginnen vom

Schauspiel beginnen sich über

schwindende öffentliche Sichtbarkeit

zu beklagen. Wenn

nun mit Karolin Stächele und

Sabine Noll zwei nicht aktivistische

Feministinnen zur

„Pussy Lounge“ ins Artik

einladen, sollte es interessant

im Theater Die Schönen im E-Werk

Madame Florence Foster Jenkins, gespielt von Kathryn Magestro

Veranstaltungen auf und ihr

dissonanter Gesang sprach sich

bald herum und sie wurde zum

Geheimtipp in Bohemien-Kreisen.

So auch in New York, wo

Madame Flo, wie sie genannt

wurde, jährliche Konzerte im

Ritz-Carlton Hotel jährliche

Konzerte vor ausgewähltem

Publikum veranstaltete.

Und an dieser Stelle setzt das

Stück ein. Der Pianist Cosme

McMoon (Gilead Mishory)

kommt in den 20-er Jahren

nach New York, um dort sein

Glück zu suchen. Er reagiert

auf die Anzeige einer Sängerin,

die einen virtuosen Klavierbegleiter

sucht und stößt

so auf Madame Flo (Kathryn

Magestro). Sie empfängt den

hoffnungsvollen Musiker mit

ihrem Anliegen, „einen Kollegen,

einen Mitstreiter, ja, eine

verwandte Seele“ zu finden.

Sie spricht über ihren Traum

„Mister Mozart zum Leben zu

erwecken“. Darob schon etwas

verdattert, setzt sich Cosme zur

ersten Probe ans Klavier. Die

Arie der Königin der Nacht

aus der „Zauberflöte“ wird

zum Desaster. Cosme äußert

sich vorsichtig über ein „gewisses

Manko an Präzision“,

betont die Unverrückbarkeit

jeder Note und erntet wortgewaltige

Auslassungen über

„Genauigkeitswahn“ und das

Recht des Künstlers auf eigene

Interpretation, denn Musik

käme schließlich von Herzen.

Im Übrigen müsse schleunigst

ein Programm erarbeitet werden,

denn das nächste Wohltätigkeitskonzert

finde in sechs

Wochen statt. Der Pianist stellt

sich die Frage angesichts der

Machen statt warten

„Pussy Lounge“ stellt die Frage nach der Bedeutung des Geschlechts in der Tanzszene

werden, denn hier ist kein

theoretischer Feminismus zu

erwarten, sondern Reflexion

über den ganz normalen Alltag

im künstlerischen Feld.

Nach der letzten großen Produktion

„Naked Love“ sollte es

für die Dagada Dance Company

(künstlerische Leitung:

Karolin Stächele) etwas anderes

sein: kleiner, performativer,

spartenübergreifend und

diskursiv. Und so sitzt man

also im Rund ziemlich nah

am Geschehen. Während das

Publikum im Artik die Plätze

besetzt, stehen die vier Tänzerinnen

und Tänzer beieinander

und unterhalten sich ent spannt.

Wer will, bekommt Getränke

und Nüsschen, die von einem

Teewagen aus gereicht werden.

Mit Karolin Stächele, Sabine

Noll, Katharina Ludwig

und Neil Höhener stehen drei

Generationen in der Mitte,

die abhängig von ihrem Alter

und ihrem Geschlecht unterschiedliche

Erfahrungen mit

strukturellen Zurücksetzungen

gemacht haben. Und so lautet

der Untertitel der Produktion

„Oder was machen wir, wenn

man uns machen lässt?“. Ausdrücklich

als Feminstin würde

sich wohl keine bezeichnen,

aber keine und keiner würde

auf eine Einladung zum Machen

warten, sondern sich die

Bühne aneignen. Ganz egal, ob

junge Körper das Schönheitsideal

beherrschen oder man

wieder einmal für alles selbst

verantwortlich ist.

Foto: Die Schönen

gesanglichen Verunstaltung des

„Ave Maria“ von Bach/Gounod

und anderer klassischen Arien

der Opernliteratur nach Irrsinn

und Verblendung. Er fügt sich

aber, zunächst wohl aus Geldmangel,

in sein Schicksal.

Auf dieser Basis entwickelt

sich die eigentümliche Beziehung

der beiden und ihre unglaubliche

Erfolgsgeschichte

über zahlreiche Windungen

und Wendungen bis hin zum

Finale: Dem legendären Konzert

am 25. Oktober 1944 in

der riesigen Carnegie-Hall vor

ausverkauftem Haus. Das Publikum

tobt und lacht bei der

„Juwelenarie“ aus Gounods

Oper „Faust“, und der „Lacharie“

der Adele aus der „Fledermaus“

von Strauß. Es ist aber

ein Auslachen! Dies wird Florence

erst am Schluss bei ihrem

„Pussy Lounge“ ist für Clubs

konzipiert. Djane Zweatlana

gelingt es an den Turntables

eine Atmosphäre zu erzeugen,

die viele während dieser

Corona-Monate vermisst haben

dürften. Nachtleben zielt

auf Gemeinschaft und trotz

Diskursnähe ist dies auch das

eigentliche Ziel dieser Performance:

kollektive Selbstermächtigung.

Und hierfür wird

sie nicht nur gleich umgesetzt,

indem die Tänzerinnen und

Tänzer sich die Bühne mit

großen Schritten und weit

ausholenden Bewegungen erobern.

Subtilität oder gar Eleganz

muss hier nicht sein, dafür

ist Dynamik und die Lust n

der Präsentation unübersehbar.

Der Raum wird aber auch über

über alles geliebten „Ave Maria“

klar. Sie realisiert erstmals

ihre Selbsttäuschung und ihre

Welt bricht zusammen. In diesen

Schlussszenen wird deutlich,

dass bei aller Komik und

Skurrilität dieses Lebenslaufs

darin auch jede Menge Tragik

steckt. Zum Beispiel ein damaliges

Publikumsverhalten, das

sich über Jahre hinweg eine

„Tanzbärin“ unter Vorspiegelung

falscher Tatsachen hielt.

Daniel Küblböck lässt grüßen.

Trotz alledem: Ein Mordsspaß.

Gilead Mishory und Kathryn

Magestro bilden mit großer musikalischer

Virtuosität ein urkomisches

Gespann und arbeiten

die verschiedenen Aggregatszustände

dieser speziellen

Liaison ihrer Bühnenfiguren

subtil heraus. Es ist wohl selten

so schön falsch gesungen worden,

obwohl so manch spitzer

Ton einem bis ins Mark fährt.

Die tolle Performance der beiden

unterstützen einfühlsame

Video-Installationen (Herbert

Wolfgang) unter teilweiser

Verwendung von historischen

Aufnahmen und aufwendige

Kostüme von Norbert Wild und

Leopold Kern, die dem extravaganten

Geschmack der Madame

Flo nachempfunden sind.

Für die Regie dieser schwungvollen

musikalischen Komödie

zeichnen Leopold Kern und

Martin Schurr verantwortlich.

Aufführungen bis 6. November

jeden Freitag und Samstag

je 20Uhr sowie 17./24.10.

jeweils 19 Uhr im Theater Die

Schönen im Freiburger E-

Werk.

Erich Krieger

die Geschichten beansprucht,

die erzählt werden (Texte: Jule

Weber), von den Hoffnungen,

eine künstlerische Karriere

mit einer Familiengründung

verbinden zu können, von dem

Unsichtbar-Werden von Frauen

ab einem Alter, das bei Männern

als interessant gilt und für

Erfahrung steht. Sie berichten

auch von den Problemen, den

Anschluss nicht zu verpassen,

sobald ein Kind da ist. In Clubs

dominieren üblicherweise andere

Geschichten, da ist es

auch eine Selbstermächtigung,

die eigene ausgerechnet hier zu

erzählen.

Weitere Vorstellungen: 13.

bis 15. Oktober, 20 Uhr im

Crash.

Annette Hoffmann

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