Paul Dräger zu:* Homer, Ilias. Übertragen von Raoul Schrott ...
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<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
(4) Es steht aber keine interpunktionelle Lesehilfe hinter V. 1. Also wird<br />
jedem unvoreingenommenen deutschsprachigen Leser das in bestem<br />
Ruhrpott-Slang (‚dem Vadda seine Tauben’) stehende Verständnis nahegelegt:<br />
Die Göttin soll <strong>von</strong> der Bitternis <strong>von</strong> Achilleus seinem verfluchten<br />
Groll singen (‚der Dativ ist dem Genetiv sein Tod’).<br />
Natürlich kann <strong>Schrott</strong> das so nicht gemeint haben. Aber er verhindert<br />
diese Auffassung nicht. Er sieht nicht, wie verständnisbehindernd, ja<br />
sinnvernichtend seine fehlende bzw. Privat-Interpunktion wirkt (s. unten<br />
S. 26 weitere Beispiele). Die Interpunktion ist <strong>von</strong> den Alexandrinern<br />
erfunden worden, um den in der Mündlichkeit durch Phrasierung<br />
vermittelten Sinn auch aus der toten Schriftlichkeit wenigstens approximativ<br />
hör- und verstehbar <strong>zu</strong> machen. Bei <strong>Schrott</strong>, der diese ihre<br />
Funktion entweder nicht versteht oder verachtet, erhält sie dagegen Beliebigkeits-Charakter<br />
und muss so als reine Manieriertheit erscheinen,<br />
die ein ‚Aha!!! Poesie!’ beim ehrfurchtsvollen Leser evozieren soll. Das<br />
Ergebnis ist katastrophal: Die ‚Übertragung’ schon des monumentalen<br />
ersten <strong>Ilias</strong>-Verses ist gänzlich missglückt. Dass sie <strong>Homer</strong> sprachlich<br />
unsäglich verschandelt, ist schon schlimm genug. Viel schlimmer aber<br />
noch: Sie lässt den Leser das vom Dichter gemeinte Thema gar nicht<br />
erst erkennen, <strong>zu</strong>mal das Thema-Wort (µ�νιν, „Groll“), das erste Wort<br />
der europäischen Literatur überhaupt, verflachend seiner Wucht beraubt<br />
wird durch das semantisch inadäquate „bitternis“ 29 (erst in V. 2<br />
folgt nachklappernd das im Original donnerkeilartig herniederfahrende<br />
Anfangswort „groll“; <strong>zu</strong> dessen emotionalem Bedeutungskern s. BK I 2,<br />
S. 12f.); der Eröffnungs-Paukenschlag des Originals – ‚GROLL singe,<br />
Göttin, (den Groll) des Peleus-Sohnes ACHILLEUS!’ – wird zerhackt<br />
(„<strong>von</strong> der bitternis sing, göttin - <strong>von</strong> achilleús, dem sohn des peleús /<br />
seinem verfluchten groll“) und bis <strong>zu</strong>r Unkenntlichkeit entstellt. Im Text<br />
steht kein alltags-griechisches �δ� µοι, � θε�, περ� τ�ς το� ᾿Αχιλλ�ως µ�νιδος,<br />
sondern hier ist ein Gestaltungswille am Werk, der eine bewusste<br />
Erhöhung vom Banalen ins Hochpoetische bewirkt. <strong>Schrott</strong>s ‚Übertragung’<br />
ist nicht nur ein Musterbeispiel für mangelndes Poetizitätsverständnis,<br />
sondern stellt sich auch als mangelnde Fähigkeit dar, einen<br />
Sachverhalt unmittelbar verständlich in der Muttersprache aus<strong>zu</strong>drü-<br />
29 Gemäß Duden, Bd. 8, s.v. homoionym mit ‚Verdrossenheit, Unlust, Unbehagen,<br />
Mißbehagen, Mißmut’; wenig besser der Vorabdruck, Prämissen (wie Anm. 26) S. 202,<br />
wo es mit synonymer Wiederholung des Thema-Wortes heißt: „sing, göttin, vom groll<br />
des achilleus, peleus’ sohn / seinem verfluchten zorn“; vgl. 6,45 das unglaubliche „da<br />
schlang ádrestos die arme um menélaos’ sein knie“ (der Genetiv-Apostroph ist gemäß<br />
<strong>Schrott</strong>s Ruhrpott-Slang ‚die Sorge um Klaus seine Tauben’ falsch; wenn schon<br />
falsch, dann wenigstens richtig falsch!).<br />
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