Paul Dräger zu:* Homer, Ilias. Übertragen von Raoul Schrott ...
Paul Dräger zu:* Homer, Ilias. Übertragen von Raoul Schrott ...
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<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
nen [statt ‚wir könnten kein Hochdeutsch’! QED]. [...] Ich bin also<br />
ohne Koketterie immer noch dabei, Deutsch <strong>zu</strong> lernen, d. h. das<br />
ganze Repertoire der Sprache, ihre ganzen Stilregister <strong>zu</strong> beherrschen,<br />
um sie einsetzen <strong>zu</strong> können.“<br />
Das Interview wurde wohl im März 2006 geführt (ausgestrahlt am<br />
13.3.2006, 20.15 Uhr), also <strong>zu</strong> einer Zeit, als <strong>Schrott</strong> an seiner ‚Übertragung’<br />
der <strong>Ilias</strong> saß (erschienen 2008). Tja, dann ... – Was sich hier<br />
herausstellt, stimmt fast schon wieder heiter: Wir haben eine ‚Übertragung’<br />
aus dem <strong>Homer</strong>ischen Altgriechischen ins Neuhochdeutsche vor<br />
uns, deren Verfasser weder das <strong>Homer</strong>ische Altgriechische noch das<br />
Neuhochdeutsche wirklich beherrscht – ein in der neueren Geschichte<br />
der deutschen <strong>Homer</strong>-Überset<strong>zu</strong>ng einzigartiges Kuriosum.<br />
Würde man <strong>Schrott</strong>s ‚Übertragung’ inhaltlich mit den Maßstäben einer<br />
dokumentarischen Überset<strong>zu</strong>ng messen, gäbe es vom Anfang (1,1f.:<br />
„<strong>von</strong> der bitternis sing, göttin - <strong>von</strong> achilleús, dem sohn des peleús /<br />
seinem verfluchten groll“; s. oben S. 14) bis <strong>zu</strong>m Ende (24,801: „der<br />
grabhügel errichtet, kehrten sie nach ilios <strong>zu</strong>rück“: s. unten S. 52 <strong>zu</strong><br />
‚absoluten Partizipien’) nur wenige Verse, die nicht <strong>zu</strong> beanstanden wären;<br />
doch <strong>zu</strong> Bedenken Anlass geben selbst bei einer an Hand <strong>von</strong> Vorlagen<br />
<strong>zu</strong>sammengestückelten ‚Übertragung’ Fälle wie „bei den schiffen<br />
[...] / dann werf ich ihn gleich den hunden und krähen <strong>zu</strong>m fraß vor!“<br />
(2,392f.; <strong>Homer</strong>: ‚bei den Schiffen mit den Krähenschnabel-Bugen<br />
[κορων�σιν; richtig 1,170: „krähenbug meiner schiffe“], / wird es für ihn<br />
darauf nicht / sicher sein, dass er den Hunden und Raubvögeln entflieht’)<br />
bis „so draufgängerisch, so einzelgängerisch wie du bist!“<br />
(21,589; <strong>Homer</strong>: ‚so entsetzlich du bist und ein so kühner Krieger’) oder<br />
„die haare standen ihm <strong>zu</strong> berge und eine gänsehaut / überlief die gichtigen<br />
glieder“ (24,359f.; <strong>Homer</strong>: ‚und aufrecht stellten sich [�σταν] die<br />
Haare an den gelenkigen Gliedern / und er stand [στ�] erstarrt’). Zu<br />
„gänsehaut“ s. oben S. 49!<br />
Die vor allem vulgär- bzw. gossensprachliche, sich bis <strong>zu</strong> den Sprechblasen<br />
des Comic-Stils 79 herablassende Anpassung an heutige Verhältnisse<br />
lässt alles Vergangene nahtlos im Gegenwärtigen aufgehen. Die<br />
Differenz, die Erfahrung der Andersheit (Hölschers ‚nächstes Fremdes’)<br />
80 und damit die Möglichkeit der Horizont-Erweiterung gerade für<br />
79 Z.B. „bäng!“ (21,425); „hü! hott! los im galopp! hopp hopp! beeilt euch doch!<br />
(23,414).<br />
80 „Selbstgespräch über den Humanismus“ (1962/1965), auch in: Uvo Hölscher: Das<br />
nächste Fremde. Von Texten der griechischen Frühzeit und ihrem Reflex in der Mo-<br />
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