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Forum Arbeitslehre Heft 1 - November 2008<br />
Aufgelesenes<br />
Wilfried Wulfers fahndet nach Meinungen, die für unsere Leserschaft von<br />
Interesse sein könnten, die aber im Mediendschungel verborgen bleiben.<br />
In dieser Rubrik finden Sie Beiträge, die bereits an anderer Stelle veröffentlich<br />
worden sind. Wir danken den Autoren für die Nachdruckgenehmigungen.<br />
(Redaktion)<br />
Jürgen Lackmann<br />
���<br />
Zur Entstehung des Umweltbegriffs<br />
Nur der jüngste Teil der Begriffsgeschichte ist von Skepsis geprägt: Über die Karriere der<br />
„Umwelt“ und ihrer Bedeutungen<br />
„Nächste Woche ist Jahrmarkt“, schrieb 1821 Johann Wolfgang von Goethe seinem Sohn<br />
August von einer Reise ins Böhmische, „worauf ich mich freue, weil man die Producte der<br />
ganzen Umwelt kennen lernt.“ Zweifellos war das bunte Treiben, auf das sich Goethe damals<br />
freute, noch kein Ökomarkt. Dieses Beispiel symbolisiert, welch grundsätzlichen und folgenschweren<br />
Bedeutungswandel das Wort Umwelt in den zwei vergangenen Jahrhunderten<br />
durchlaufen hat. Worte wie Umweltqualitätsziele, Umweltstandards oder Umweltverträglichkeitsprüfungen<br />
hätten Goethe völlig irritiert. Goethe gebrauchte allerdings nicht als erster das<br />
Wort Umwelt im Deutschen. Bereits im Jahre 1800 hat der dänische, in Hamburg lehrende<br />
Dichter Jens Emmanuel Baggesen (1764 bis 1826) in einer düsteren, gewaltigen Ode das<br />
Wort Umwelt zum ersten Mal in der deutschen Sprache verwendet: „und es verwandelt die<br />
Fluth in Feuer sich / Nebel in Nordlicht / Regen in <strong>Str</strong>ahlenguß / dass von fern erscheint der<br />
Umwelt / ein ätherisches Fest / die Schicksalshölle des Dichters.“<br />
Baggesen war auf der Suche nach einem deutschen Wort für „Milieu“, das im Dänischen auch<br />
heute noch im Sinne von Umwelt gebraucht wird. Der Wörterbuchschreiber Johann Heinrich<br />
Campe ist der Dritte im Bunde, der unabhängig von den beiden anderen das Wort Umwelt im<br />
Jahre 1811 herleitete. Seine Kreativität liegt nicht im Dichterischen, sondern im Sprachpflegerischen<br />
begründet. Goethe, der Baggesen kannte, hat den neuen Begriff Umwelt mehrfach<br />
im sozialen Sinne genutzt und so entscheidend zur Verbreitung des neuen Wortes beigetragen.<br />
Diese drei Beispiele zeigen, dass Anfang des neunzehnten Jahrhunderts die Zeit reif war für<br />
die Einführung eines neuen Begriffes: Umwelt. Dass dieses Wort zu ebendiesem Zeitpunkt<br />
entstand, hängt eng zusammen mit der Entwicklung der Individualität im gesamten europäischen<br />
Kulturraum. Der Umweltbegriff ist letztendlich eine Konstruktion der Aufklärung und<br />
damit der Moderne, indem man dem objektiven Weltbegriff einen subjektiven Umweltbegriff<br />
gegenüberstellte. Die individualisierte Gegenreaktion gegen die Übermacht der „Welt“ als das<br />
Objektive und Allesbestimmende erfolgte zuerst in der Lyrik. Während dies verständlich erscheint,<br />
ist es auch heute noch irritierend, wie ausgerechnet aus der lyrischen Metapher „Umwelt“<br />
nicht nur eine zentrale Kategorie der modernen Ökologie wird, sondern wie in den letzten<br />
drei Jahrzehnten der Begriff Umwelt den wesentlich älteren und umfassenderen Begriff<br />
Natur weitgehend verdrängt hat.<br />
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