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Günter Reuel<br />

Die Schule zwischen Elfenbeinturm und „Lernorte“-Aktivismus<br />

Es ist erst rund 300 Jahre her, seitdem in Deutschland alle Kinder zur Schule gehen. Vorher<br />

war dies dem Klerikernachwuchs und den Prinzen vorbehalten. Die „Volksschule“ war ein<br />

Stück Demokratisierung, und sie war der ökonomischen Vernunft geschuldet. V o r den Zeiten<br />

der allgemeinen Schulpflicht lernten die Kinder natürlich auch etwas: Sie halfen beim<br />

Gewerbefleiß, schauten den Eltern zu und bekamen Bibelsprüche zu hören. Das geschah zufällig,<br />

unsystematisch und vom didaktischen „Naturtalent“ der Erwachsenen abhängig. Moderne<br />

Gesellschaften aber brauchen eine verlässliche Grundbildung. In Deutschland haben<br />

Kinder ein Recht auf Schule, ja, sie müssen zur Schule gehen (Juristenjargon: „besonderes<br />

Gewaltverhältnis“). Subtiler wird das Problem, wenn es um die Schulform geht. Hier wird<br />

klassenspezifisch sortiert und die Vokabel „Gewalt“ würde als unangemessen empfunden<br />

werden.<br />

Wie immer tendieren bürokratische Systeme zur Selbstgenügsamkeit. Die Schulkritik erfand<br />

die Metapher vom Elfenbeinturm: ein fensterloses Gebäude, das die Wirklichkeit aussperrt.<br />

Viele Schulen würden heute die Rigidität eines solchen Vorwurfs mit Recht zurückweisen.<br />

Aber ein Körnchen Wahrheit lässt sich nicht leugnen. Deshalb muss man eigentlich froh sein,<br />

dass in jüngster Zeit ein Lernorte-Aktivismus zu beobachten ist. Der Begriff des Lernortes ist<br />

eine eigentümliche Konstruktion: Die Schule ist natürlich d e r Lernort schlechthin und<br />

alles außerhalb der Schule ist „Erfahrungsraum“. 1 Lernorte außerhalb der Schule müssen also<br />

etwas Besonderes sein, nicht Schule, aber auch nicht einfach nur Leben. Hilfsschulen, könnte<br />

man sagen, wenn da nicht die unrühmliche Vergangenheit des Begriffs wäre.<br />

In der Schule gibt es viele Fächer, von denen die Schüler meinen, sie seien eigens für die<br />

Schule erfunden worden. Das ist natürlich falsch, denn es gibt kein Schulfach, das nicht ein<br />

lebensweltliches Äquivalent hat. Mathematik entdeckt man beim Landvermesser, beim Bankkaufmann<br />

und beim Statiker. Deutsch wird als Sprache in Zeitungsredaktionen, am Theater<br />

und in Lektorenbüros gepflegt. Geografie spielt in Wetterstationen und Reisebüros eine Rolle,<br />

Chemie im Wasserwerk und in Großküchen.<br />

Erstaunlicher Weise werden diese „Lernorte“ von den gleichnamigen Schulfächern so gut wie<br />

gar nicht aufgesucht.<br />

Dann gibt es da ein Fach Arbeitslehre (nicht überall), das von Anbeginn eine Tür im Elfenbeinturm<br />

war. Kein Schüler hatte jemals Zweifel, dass Arbeitslehre mit dem wirklichen Leben<br />

zu tun hat.<br />

Just dieses Fach aber wird in der Schule überall demontiert und statt seiner werden Lernorte<br />

angedient. Diese Lernorte kann man nicht alle über einen Kamm scheren. Für viele ist aber<br />

kennzeichnend, dass es sich um so genannte „Maßnahmen“ handelt, Beschäftigungsprogramme<br />

auf dem zweiten Arbeitsmarkt. Das Geld kommt immer aus überregionalen Töpfen<br />

und die damit finanzierten Menschen suchen ihre eigene Nachfrage. Bei Mathematik-,<br />

Deutsch- und Englischlehrern haben sie wenig Glück, aber die gerade unter dem Mangel an<br />

1<br />

Hartmut v. Hentig: Schule als Erfahrungsraum, Stuttgart 1973. In dieser frühen Schrift hat Hentig<br />

gezeigt, wie die ineffektive „Belehrungsschule“ durch das Hereinholen von Erfahrungsmöglichkeiten<br />

zur besseren Schule wird. An das Auslagern von Schülern dachte man damals noch nicht.<br />

Forum Arbeitslehre Heft 1 - November 2008 7

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