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Textstrukturen und weibliche Subjektivität in Texten von Leslie ...

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Das unbestimmte Subjekt <strong>in</strong> L’excès-l’us<strong>in</strong>e artikuliert <strong>in</strong> dem Ich-Satz also ke<strong>in</strong>e eigene Wahrnehmung,<br />

sondern bezieht sich auf die Formulierung e<strong>in</strong>es fremden Subjekts. Der Gebrauch dieses geliehenen Ich hebt die<br />

Ent<strong>in</strong>dividualisierung noch stärker hervor.<br />

Trotz der Geschlechtsmarkierung f<strong>in</strong>det ke<strong>in</strong>e Individualisierung statt. Die <strong>weibliche</strong> Markierung des on<br />

verstärkt sogar den E<strong>in</strong>druck der Ent<strong>in</strong>dividualisierung. „L’impersonnalité est d’autant plus impersonnelle<br />

qu’elle est vécue au fém<strong>in</strong><strong>in</strong>“ stellt Blanchot <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Rezension fest. 510 Dies liegt daran, daß die französische<br />

Sprache mit der <strong>weibliche</strong>n Form nur das Besondere bezeichnet, woh<strong>in</strong>gegen mit der männlichen Form sowohl<br />

das ‚allgeme<strong>in</strong> Menschliche‘ als auch das geschlechtsspezifisch Männliche bezeichnet werden kann. 511 Die<br />

<strong>weibliche</strong> Form sche<strong>in</strong>t somit das Individuelle zu suggerieren, <strong>und</strong> daher ist es um so frappierender, daß die<br />

verme<strong>in</strong>tlich <strong>in</strong>dividuellen Figuren nicht als Individuen erkennbar s<strong>in</strong>d, sondern unpersönlich bleiben. Das on<br />

suggeriert also die Ent<strong>in</strong>dividualisierung <strong>weibliche</strong>r Figuren, wobei diese Inszenierung <strong>von</strong><br />

Ent<strong>in</strong>dividualisierung sich nicht auf den Gebrauch des unbestimmten Pronomens beschränkt: In manchen Sätzen<br />

ist selbst noch dieses unbestimmte Subjekt des Satzes zum Verschw<strong>in</strong>den gebracht. In dem subjektlosen Satz:<br />

„Être assise sur une caisse“ (13) bleibt nur die <strong>weibliche</strong> Markierung des Adjektives assise übrig. Alle<strong>in</strong> die<br />

Geschlechtsmarkierung suggeriert die Präsenz e<strong>in</strong>es unsichtbaren Subjekts.<br />

Das unbestimmte Pronomen bezeichnet jedoch nicht nur e<strong>in</strong>zelne oder mehrere Figuren, die e<strong>in</strong>e weiblich<br />

markierte Allgeme<strong>in</strong>heit bilden. Es umfaßt zugleich e<strong>in</strong>e unpersönliche ‚Erzähl<strong>in</strong>stanz‘, die sich schon <strong>in</strong> der<br />

ersten Zeile des Textes bemerkbar macht. Sie spricht die (fiktive) LeserIn an: „L’us<strong>in</strong>e, la grande us<strong>in</strong>e, celle qui<br />

respire pour vous“ 512 <strong>und</strong> ersche<strong>in</strong>t dabei als Erzählstimme, die ke<strong>in</strong>e nom<strong>in</strong>ale oder pronom<strong>in</strong>ale Repräsentation<br />

im Text besitzt. Erst später tritt mit dem unbestimmten Pronomen <strong>in</strong> dem Satz „On est dedans“ (11) e<strong>in</strong> Subjekt<br />

auf, wobei allerd<strong>in</strong>gs nicht klar wird, wen das Pronomen bezeichnet: e<strong>in</strong>e Allgeme<strong>in</strong>heit oder e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zelne<br />

Figur. Die Erzählsituation ist mehrdeutig, d.h. es läßt sich nicht entscheiden, ob <strong>in</strong> dem on die Wahrnehmung<br />

e<strong>in</strong>er anonymen Figur aus ihrer eigenen Perspektive wiedergegeben wird, oder ob e<strong>in</strong>e <strong>von</strong> der anonymen Figur<br />

unterschiedene Rede<strong>in</strong>stanz deren Wahrnehmung erzählt.<br />

2. Entfremdung der <strong>weibliche</strong>n Figuren: On est imbibée, nulle part, flottant au bout<br />

de la chaîne<br />

Bei der folgenden Untersuchung <strong>weibliche</strong>r <strong>Subjektivität</strong> wie sie im unbestimmten Pronomen entworfen ist, lese<br />

ich das on als Ausdruck e<strong>in</strong>er erlebten Wahrnehmung, d.h. so als würde die Darstellung aus der Sicht e<strong>in</strong>er<br />

‚erzählenden‘ Figur erfolgen. Diese Leseweise liegt nahe, weil das on als e<strong>in</strong> verh<strong>in</strong>dertes Ich ersche<strong>in</strong>t. Am<br />

Schluß betrachte ich dann das Problem der Une<strong>in</strong>deutigkeit der Perspektive, d.h. der Verschmelzung <strong>von</strong><br />

erzählter <strong>und</strong> erlebter Wahrnehmung <strong>in</strong> H<strong>in</strong>blick auf se<strong>in</strong>e Konsequenzen für den <strong>weibliche</strong>n Subjektentwurf.<br />

<strong>Subjektivität</strong> verstehe ich <strong>in</strong> Anlehnung an Chris Weedon als „die bewußten <strong>und</strong> unbewußten Gefühle des<br />

Individuums, se<strong>in</strong>e Eigenwahrnehmung <strong>und</strong> die Art, wie es se<strong>in</strong> Verhältnis zur Welt begreift.“ 513 Diese<br />

Def<strong>in</strong>ition muß für L’excès-l’us<strong>in</strong>e abgewandelt werden, da es <strong>in</strong> dem Text ke<strong>in</strong>e identifizierbaren Figuren gibt,<br />

<strong>und</strong> somit ke<strong>in</strong>e Individuen. Die Darstellung <strong>von</strong> <strong>in</strong>dividueller <strong>Subjektivität</strong> ist <strong>in</strong> L’excès-l’us<strong>in</strong>e also nicht zu<br />

erwarten. Dennoch artikuliert sich <strong>in</strong> dem unbestimmten Pronomen e<strong>in</strong>e subjektive Perspektive, e<strong>in</strong>e nicht-<br />

510<br />

Maurice Blanchot: „‘L’excès-l’us<strong>in</strong>e’ ou l’<strong>in</strong>f<strong>in</strong>i morcelé“ (1987), S.35.<br />

511<br />

Vgl. Christ<strong>in</strong>e Bierbach / Renate Ellrich: „Französisch: Sprache <strong>und</strong> Geschlechter“ (1990), S.252 <strong>und</strong> 255.<br />

512<br />

S.11; me<strong>in</strong>e Unterstreichung.<br />

513<br />

Chris Weedon: Wissen <strong>und</strong> Erfahrung. Fem<strong>in</strong>istische Praxis <strong>und</strong> poststrukturalistische Theorie (1990), S.49.<br />

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