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Textstrukturen und weibliche Subjektivität in Texten von Leslie ...

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Konzept e<strong>in</strong>es autonomen, e<strong>in</strong>heitlichen, sich se<strong>in</strong>er selbst bewußten Subjekts, bezeichnet. 527 Die Zersetzung des<br />

e<strong>in</strong>heitlichen Subjekts hatte bereits <strong>in</strong> der literarischen Avantgarde Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts begonnen 528 <strong>und</strong><br />

sich seitdem <strong>in</strong> den <strong>in</strong>novativen literarischen Tendenzen fortgesetzt. 529 In den 50er <strong>und</strong> 60er Jahren des 20.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts erfuhr die Auflösung des traditionellen Subjektbegriffs auf der theoretischen Ebene <strong>in</strong> den Schriften<br />

<strong>von</strong> Lévi-Strauss, Lacan, Kristeva, Althusser, Derrida <strong>und</strong> Foucault e<strong>in</strong>e neue Radikalisierung. 530 Sie griffen<br />

scharf den <strong>in</strong> den 50er Jahren dom<strong>in</strong>anten, <strong>von</strong> Jean-Paul Sartre <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er philosophischen Schrift L’Être et le<br />

Néant 531 vertretenen Entwurf e<strong>in</strong>es autonomen, rationalen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>heitlichen Subjekts an. 532 Dem autonomen,<br />

sich ausschließlich selbst konstituierenden Subjekt setzen sie das andere Extrem, nämlich e<strong>in</strong> vollständig<br />

heteronom konstituiertes Subjekt entgegen; e<strong>in</strong> Subjekt, das <strong>von</strong> Strukturen hervorgebracht wird, die ihm<br />

vorgängig s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> auf die es ke<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluß hat: Sprachsystem, Diskurse, Verwandtschaftsbeziehungen <strong>und</strong><br />

gesellschaftliche Machtgefüge. 533<br />

Tatsächlich sche<strong>in</strong>t Kaplans Entwurf <strong>von</strong> une<strong>in</strong>heitlichen, dezentrierten <strong>und</strong> <strong>in</strong>stabilen Subjekten e<strong>in</strong>e<br />

literarische Umsetzung der subjektkritischen Diskurse zu se<strong>in</strong>, die seit den 60er Jahren <strong>in</strong> verschiedenen Formen<br />

den „Tod des Subjekts“ 534 verkünden. Kaplans Subjektentwurf läßt sich als Demonstration <strong>von</strong> Foucaults<br />

Theorie lesen. Sie führt <strong>in</strong> L’excès-l’us<strong>in</strong>e Figuren vor, die übermächtigen Arbeitsstrukturen unterworfen s<strong>in</strong>d<br />

<strong>und</strong> deren <strong>Subjektivität</strong> <strong>von</strong> diesen Strukturen, auf die sie ke<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluß haben, hervorgebracht wird.<br />

Nun hat die fem<strong>in</strong>istische Forschung jedoch gezeigt, daß es sich bei dem verme<strong>in</strong>tlich autonomen Subjekt, das<br />

<strong>von</strong> den strukturalistischen Theorien demontiert wird, nicht nur um e<strong>in</strong> bürgerlich-humanistisches, sondern auch<br />

um e<strong>in</strong> männliches Subjekt handelt. 535 Der „Diskurs über die Krise des neuzeitlichen Subjekts“ me<strong>in</strong>t also den<br />

Mann. 536 Da ersche<strong>in</strong>t es bemerkenswert, daß Kaplan diese These an <strong>weibliche</strong>n Figuren demonstriert, d.h.<br />

Frauen noch e<strong>in</strong>mal als ‚Nicht-Subjekte‘ <strong>in</strong>szeniert.<br />

Nun hat sich Kaplan ja nicht zum Ziel gesetzt, e<strong>in</strong> neues <strong>weibliche</strong>s Subjekt zu entwerfen; sie wollte die<br />

Zustände <strong>in</strong> Fabriken vermitteln. Wenn der Text also nicht-autonome, handlungsunfähige, vollständig <strong>von</strong> den<br />

Arbeitsstrukturen konstituierte <strong>weibliche</strong> Figuren zeigt, dann betont er die Bedeutung der materiellen<br />

Gr<strong>und</strong>lagen für die Entstehung <strong>von</strong> <strong>Subjektivität</strong>. Er führt vor, wie sich die kapitalistischen<br />

Produktionsverhältnisse auf die Arbeiter<strong>in</strong>nen auswirken. Zu e<strong>in</strong>er solchen, <strong>von</strong> marxistischen Diskursen<br />

527 Vgl. Weedon (1990), S. 49; Sonia Kruks: „Gender and Subjectivity: Simone de Beauvoir and Contemporary<br />

Fem<strong>in</strong>ism“ (1992), S.92f. <strong>und</strong> Ieme Van der Poel: Une révolution de la pensée: maoïsme et fém<strong>in</strong>isme à<br />

travers Tel Quel, Les Temps modernes et Esprit (1992), S.140ff.<br />

528 Z.B. bei Lautréamont <strong>und</strong> Mallarmé; vgl. hierzu Julia Kristeva (1974).<br />

529 Z.B. im Nouveau Roman.<br />

530 Vgl. Margaret Brügmann (1985), S.396f. <strong>und</strong> Ieme Van der Poel (1992), S.140ff. Van der Poel zufolge s<strong>in</strong>d<br />

sowohl Foucault als auch Lacan Erben der literarischen Traditionen. Lacan beispielsweise berufe sich <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er Darlegung des menschlichen Subjekts als zersplittert auf Rimbauds Aussage „je est un autre“; vgl. Van<br />

der Poel (1992), S.141f.<br />

531 Paris (1943); deutsch: Das Se<strong>in</strong> <strong>und</strong> das Nichts (1952).<br />

532 Vgl. Kruks (1992), S.93. Den <strong>von</strong> Kruks <strong>in</strong> diesem Zusammenhang zitierten Autoren Lévi-Strauss <strong>und</strong><br />

Foucault läßt sich noch e<strong>in</strong> Beispiel <strong>von</strong> Lacan h<strong>in</strong>zufügen, der sich 1949 <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Vortrag „Le stade du<br />

miroir comme formateur de la fonction du Je“ ausdrücklich gegen die „philosophie contempora<strong>in</strong>e de l’être<br />

et du néant“ wendet (S.95; mit Begründung S.96).<br />

533 Vgl. Kruks (1992), S.92f.<br />

534 Vgl. Ieme van der Poel (1992), S.141f. Van der Poel bezieht sich auf den Artikel <strong>von</strong> Jerrold Seigel: „La<br />

mort du sujet: orig<strong>in</strong>es d’un thème“ <strong>in</strong>: Le débat 58, 1990, S.160-70.<br />

535 Vgl. Luce Irigaray: Speculum. Spiegel des anderen Geschlechts (1980); dar<strong>in</strong> <strong>in</strong>sbesondere das Kapitel „Jede<br />

Theorie des Subjekts...“, S.169ff.<br />

536 Margot Br<strong>in</strong>k: Ich schreibe, also werde ich. Nichtigkeitserfahrung <strong>und</strong> Selbstschöpfung <strong>in</strong> den Tagebüchern<br />

<strong>von</strong> Marie Bashkirtseff, Marie Lenéru <strong>und</strong> Cather<strong>in</strong>e Pozzi (1998), S.18.<br />

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