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Textstrukturen und weibliche Subjektivität in Texten von Leslie ...

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<strong>und</strong> dies auch noch <strong>in</strong> vollständig ausformulierten Sätzen. Der E<strong>in</strong>druck, daß dieser <strong>und</strong> ähnliche Sätze, die den<br />

Park oder die Stadt beschreiben, 598 nicht den Bewußtse<strong>in</strong>s<strong>in</strong>halt Annas wiedergeben, rührt auch daher, daß der<br />

Figur ke<strong>in</strong>erlei Verben zugeschrieben s<strong>in</strong>d, die <strong>in</strong>nere Vorgänge bezeichnen. Es heißt beispielsweise nicht „Anna<br />

überlegt“ oder „Anna denkt“, so daß die Beschreibungen des Parks als Rede der Erzähl<strong>in</strong>stanz ersche<strong>in</strong>t.<br />

Während der Park <strong>in</strong> Le crim<strong>in</strong>el aus e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Wahrnehmung <strong>von</strong> Rede<strong>in</strong>stanz <strong>und</strong> Figur evoziert<br />

wurde, ersche<strong>in</strong>t der Park <strong>in</strong> Le Pont de Brooklyn eher als Produkt der evozierenden Beschreibung seitens der<br />

narrativen Instanz. Anna ersche<strong>in</strong>t hier weniger als Subjekt der Wahrnehmung, vielmehr ist ihr Spaziergang der<br />

Anknüpfungspunkt für die narrative Instanz zur Beschreibung des Parks <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en unterschiedlichen Aspekten.<br />

Anna erhält hier im Vergleich zu den zuerst e<strong>in</strong>geführten <strong>und</strong> später als Mary, Nathalie <strong>und</strong> Julien vorgestellten<br />

Figuren e<strong>in</strong>e Sonderstellung. Auf die Bedeutung <strong>von</strong> Anna im Zusammenhang mit der Präsentation der<br />

fiktionalen Welt werde ich im Zusammenhang mit dem Entwurf <strong>von</strong> Weiblichkeit zurückkommen. An dieser<br />

Stelle möchte ich festhalten, daß die Erzähl<strong>in</strong>stanz <strong>in</strong> Le Pont de Brooklyn an Sichtbarkeit gewonnen hat, weil<br />

sie sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e größere Distanz zu den Figuren begibt.<br />

Dennoch gibt es auch gerade zu Beg<strong>in</strong>n des Textes, wo der Schauplatz beschrieben wird, die Figuren e<strong>in</strong>geführt<br />

<strong>und</strong> zusammengeführt werden, immer wieder Passagen, <strong>in</strong> denen die Grenzen zwischen Erzähl<strong>in</strong>stanz <strong>und</strong><br />

Figuren aufgelöst werden: Mit dem unbestimmten Pronomen on wird e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Perspektive <strong>von</strong><br />

Erzähl<strong>in</strong>stanz <strong>und</strong> <strong>in</strong>sbesondere der Figur Anna aufgebaut:<br />

Mais grandes allées d’arbres, aussi, co<strong>in</strong>s de buissons. Plans d’eau, hauteurs. On peut s’asseoir sur<br />

l’herbe. Les animaux, les feuilles. (9)<br />

Der on-Satz kann gelesen werden als erzählte oder/<strong>und</strong> erlebte Wiedergabe <strong>von</strong> Annas Gedanken, d.h. als Rede<br />

der Erzähl<strong>in</strong>stanz oder/<strong>und</strong> als Figurenrede. Da das unbestimmte Pronomen potentiell auf mehrere Instanzen<br />

referiert – auf die SprecherIn, die AdressatIn <strong>und</strong> die ProtagonistInnen 599 – bedeutet dies, daß die Erzähl<strong>in</strong>stanz<br />

sprachlich im Text repräsentiert ist. Aufgr<strong>und</strong> ihrer großen Nähe zu der Figur Annas ersche<strong>in</strong>t sie damit zugleich<br />

<strong>in</strong> die Welt der Figuren versetzt, was jedoch nicht heißt, daß sie sich am Geschehen beteiligt. Sie ist zwar <strong>in</strong> der<br />

Welt der Figuren anwesend, ist selbst jedoch ke<strong>in</strong>e Figur. Sie kann <strong>von</strong> den Figuren nicht wahrgenommen<br />

werden, beteiligt sich jedoch an deren Wahrnehmung <strong>und</strong> Beurteilungen als sei sie e<strong>in</strong>e <strong>von</strong> ihnen. Dies möchte<br />

ich an e<strong>in</strong>em exemplarischen Beispiel belegen.<br />

In dem folgenden Ausschnitt bef<strong>in</strong>den sich alle Hauptfiguren zusammen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Café. Die Erzähl<strong>in</strong>stanz<br />

beschreibt nun, welchen E<strong>in</strong>druck Chico hervorruft, als er sich mit Fre<strong>und</strong>en <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Muttersprache unterhält:<br />

Des amis de Chico viennent le chercher, envoyés par le patron du café.<br />

Tout d’un coup on ne comprend plus rien, ils parlent tous en même temps, et Chico avec eux, dans leur<br />

langue.<br />

Chico devient épais, <strong>in</strong>supportable. Comment? Voilà, une impression. Il l’est.<br />

Insolence. Une fatuité. Il joue des cils. En même temps, une gaité. Esprit de groupe. On ne sait pas. (27)<br />

Im folgenden geht es mir vorerst um die Untersuchung des unbestimmten Pronomens. Auf die <strong>in</strong>haltlichen<br />

Aspekte der Darstellung werde ich im zweiten Abschnitt dieses Kapitels zurückkommen.<br />

Das on bezeichnet hier e<strong>in</strong> kollektives Subjekt, das die anwesenden Figuren (außer Chico), e<strong>in</strong>e Allgeme<strong>in</strong>heit<br />

<strong>und</strong> auch die Erzähl<strong>in</strong>stanz selbst umfaßt. Die Erzähl<strong>in</strong>stanz bezieht sich also <strong>in</strong> die Welt der Figuren e<strong>in</strong>, <strong>in</strong>dem<br />

sie vor Ort e<strong>in</strong>e Wahrnehmung beschreibt („on ne comprend plus rien“) <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Me<strong>in</strong>ung formuliert, die mit<br />

den Worten „On ne sait pas“ endet, <strong>in</strong> der ihre eigene Perspektive mit der Figurenperspektive vermischt wird.<br />

598 Weitere Beispiele: „Le parc reçoit tout le monde. Balançoires, familles. Stands de nourriture.“ (10); „La ville.<br />

Elle est si forte. Rencontres et réseaux. Nuages. Présence des marchandises et des corps.“ (10).<br />

599 Vgl. Monika Fludernik: „Erzähltexte mit unüblichem Personalpronom<strong>in</strong>agebrauch: engl. one <strong>und</strong> it, frz. on,<br />

dt. man“ (1995), S.284.<br />

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