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Textstrukturen und weibliche Subjektivität in Texten von Leslie ...

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<strong>in</strong>tendierte Authentizität der Texte zur Fiktion werden läßt. 74<br />

E<strong>in</strong> weiteres Problem autobiographischer Texte h<strong>in</strong>sichtlich ihres <strong>weibliche</strong>n Subjektmodells besteht dar<strong>in</strong>, daß<br />

sie nicht nach den Prozessen <strong>und</strong> Problemen der <strong>in</strong>dividuellen Subjektwerdung fragen.<br />

Die Autobiographie mit Authentizitätsvorbehalt erwies sich im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> für fem<strong>in</strong>istisches Schreiben<br />

als e<strong>in</strong> besonderes Problem, weil alle<strong>in</strong> durch die Form e<strong>in</strong> Subjektstatus vorgegeben werden kann, der<br />

ohne die Beweisführung auskommt: Das Ich setzt sich, also ist es. 75<br />

Damit klammerten die Selbstf<strong>in</strong>dungstexte genau jene Aspekte der Subjektwerdung bzw. der <strong>Subjektivität</strong> aus,<br />

die e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> die gesellschaftliche <strong>und</strong> damit auch patriarchale Prägung geschlechtlicher Identität<br />

ermöglichen könnten. 76 Zwar f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> den <strong>Texten</strong> Aussagen zur Sozialisation <strong>von</strong> Individuen, wie<br />

beispielsweise „wir s<strong>in</strong>d abgerichtet“ 77 . Solche Äußerungen führen jedoch nicht dazu, daß sich die Ich-<br />

Erzähler<strong>in</strong> Gedanken über den Verlauf ihrer eigenen Sozialisation zur Frau macht <strong>und</strong> „die Spuren unbewußt<br />

<strong>in</strong>ternalisierter gesellschaftlicher Prägungen des eigenen Ich aufzudecken“ versuchte. 78 Behauptungen dieser Art<br />

werden lediglich wiederholt „e<strong>in</strong>e Ause<strong>in</strong>andersetzung damit, ob <strong>und</strong> wie gesellschaftliche Verhältnisse<br />

<strong>weibliche</strong> Identität geprägt haben <strong>und</strong> noch prägen <strong>und</strong> mit der eigenen Verantwortung für <strong>und</strong> Beteiligung an<br />

Herrschaftsstrukturen <strong>in</strong> unserer Gesellschaft, f<strong>in</strong>det nicht statt.“ 79 Indem die Autor<strong>in</strong>nen darauf verzichten, die<br />

Rolle der sprachlichen <strong>und</strong> der unbewußten Prozesse <strong>in</strong> der Subjektkonstitution zu reflektieren, verstellen sie<br />

sich die Möglichkeit, „patriarchale Muster des eigenen Verhaltens zu erkennen <strong>und</strong> zu überw<strong>in</strong>den“. 80<br />

E<strong>in</strong> weiteres Problem der autobiographischen Selbstf<strong>in</strong>dungstexte besteht dar<strong>in</strong>, daß sie das Dilemma, <strong>in</strong> dem<br />

Frauen sich bef<strong>in</strong>den, wenn sie nicht länger schweigen <strong>und</strong> damit aus der Kultur ausgeschlossen bleiben wollen,<br />

nicht (genügend) reflektieren. Xavière Gauthier beschreibt die Schwierigkeit für Frauen, die schreibend zu<br />

Subjekten werden wollen:<br />

En fait, les femmes sont prises dans une réelle contradiction. Au cours de l’histoire, elles ont toujours été<br />

muettes et c’est sans doute sur la base de ce mutisme que les hommes, eux, ont pu parler et écrire. Si elles<br />

cont<strong>in</strong>uent à se taire, elles restent en dehors des processus historiques. Mais si elles commencent à parler<br />

et à écrire, comme les hommes, elles entrent, soumises et aliénées, dans cette histoire... 81<br />

Gauthier zufolge bef<strong>in</strong>den sich Frauen also <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Zwiespalt, denn e<strong>in</strong>erseits müssen sie das Wort ergreifen,<br />

um e<strong>in</strong>en Status als gesellschaftliche Subjekte zu erhalten, andererseits dürfen sie jedoch nicht so sprechen wie<br />

Männer. Wenn Frauen die Sprache der Männer übernähmen, müßten sie sich zwangsläufig mit den männlichen<br />

Sprachformen identifizieren, da es <strong>in</strong> der (französischen) Sprache unter anderem auch ke<strong>in</strong>e positiv bewerteten<br />

oder zum<strong>in</strong>dest wertneutrale Bezeichnungen für schreibende Frauen gebe: Zu „écriva<strong>in</strong>“ existiere ke<strong>in</strong><br />

Fem<strong>in</strong><strong>in</strong>um <strong>und</strong> die Bezeichnung „poétesse“ als <strong>weibliche</strong> Entsprechung zu „poète“ be<strong>in</strong>halte e<strong>in</strong>e Abwertung. 82<br />

Aber „die Überlegungen, <strong>von</strong> welchem Standort aus zu schreiben sei <strong>und</strong> wie geschrieben werden solle“, haben<br />

<strong>in</strong> der Selbsterfahrungsliteratur nur e<strong>in</strong>e untergeordnete Rolle gespielt, „wichtig war die Aktion des Schreibens<br />

selbst.“ 83 So haben die Autor<strong>in</strong>nen die implizite Geschlechtsmarkierung des den autobiographischen Gattungen<br />

zugr<strong>und</strong>eliegenden autonomen, selbstidentischen Subjekts übersehen. Denn das verme<strong>in</strong>tlich neutrale Subjekt<br />

74 Richter-Schröder (1986), S.154f.<br />

75 Becker (1992), S.80.<br />

76 Vgl. Richter-Schröder (1986), S.153.<br />

77 In Häutungen <strong>von</strong> Verena Stephan, zitiert nach Becker (1992), S.98.<br />

78 Richter-Schröder (1986), S.153.<br />

79 Richter-Schröder (1986), S.146.<br />

80 Richter-Schröder (1986), S.156.<br />

81 „Existe-t-il une écriture de femmes“ (1974), S.96; kursiv <strong>von</strong> Gauthier.<br />

82 Vgl. Gauthier (1974), S.95.<br />

83 Becker (1992), S.80.<br />

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