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Textstrukturen und weibliche Subjektivität in Texten von Leslie ...

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Die Darstellung des Parks erfolgt <strong>in</strong> dem für Kaplan typischen Stil e<strong>in</strong>er impressionistischen Evokation. Dabei<br />

läßt sich die Wahrnehmungsperspektive <strong>von</strong> Figuren <strong>und</strong> Erzähl<strong>in</strong>stanz nicht <strong>von</strong>e<strong>in</strong>ander unterscheiden, weil<br />

beide sich am selben Ort bef<strong>in</strong>den. Insbesondere <strong>in</strong> Inf<strong>in</strong>itivkonstruktionen <strong>und</strong> on-Sätzen ist e<strong>in</strong>e Perspektive<br />

entworfen, die sich sowohl der Erzähl<strong>in</strong>stanz als auch der Figur zuordnen läßt.<br />

Anna traverse le parc.<br />

Traverser le parc, traverser la ville. On entre et on sort du parc facilement. Il n’y a pas de grilles ni de<br />

portes. La nuit, certa<strong>in</strong>s co<strong>in</strong>s sont réputés dangereux. C’est possible. (11)<br />

Die mit dem Inf<strong>in</strong>itivsatz e<strong>in</strong>geleitete Passage kann gelesen werden als Wiedergabe <strong>von</strong> Bewußtse<strong>in</strong>s<strong>in</strong>halten der<br />

Figur oder/<strong>und</strong> ausschließlich als Rede der Erzähl<strong>in</strong>stanz, die Annas Aktivität zum Anlaß für eigene Reflexionen<br />

nimmt. Das Fehlen des Subjekts als UrheberIn der Vorstellungen im Inf<strong>in</strong>itivsatz, sowie die Unbestimmtheit des<br />

Subjekts im on-Satz entwerfen e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e Perspektive, <strong>in</strong> die sich auch die LeserIn e<strong>in</strong>beziehen kann.<br />

Gelegentlich ist die Wahrnehmungsperspektive etwas deutlicher gekennzeichnet, wie im folgenden Abschnitt,<br />

wo Anna e<strong>in</strong>e Gruppe <strong>von</strong> Matrosen betrachtet:<br />

Un groupe de mar<strong>in</strong>s sur un banc. Ils sont très bronzés, bien lourds et fragiles. Occuper une place, et pour<br />

un temps. Anna les regarde. Ouvriers de la mer. (11)<br />

Die schon als Beispiel für e<strong>in</strong>e ungewöhnliche Sichtweise zitierte Passage ist aufgr<strong>und</strong> der Aussage „Anna les<br />

regarde“ der Wahrnehmung Annas zugeordnet. Aber es handelt sich nicht ausschließlich um die Wahrnehmung<br />

der Figur, denn <strong>in</strong> dem Inf<strong>in</strong>itiv („Occuper une place“) kommt wegen des fehlenden Subjekts auch e<strong>in</strong>e<br />

über<strong>in</strong>dividuelle Vorstellung zum Ausdruck.<br />

Solche Vorstellungen oder Gedanken sche<strong>in</strong>en wegen der fehlenden expliziten Zuordnung zu e<strong>in</strong>em Subjekt frei<br />

im Raum zu schweben <strong>und</strong> werden zu e<strong>in</strong>em die Figuren verb<strong>in</strong>denden Element. Ähnlich wie <strong>in</strong> Le crim<strong>in</strong>el<br />

bilden solche Inf<strong>in</strong>itivsätze, die Gedanken, Bewußtse<strong>in</strong>s<strong>in</strong>halte, Vorstellungen wiedergeben ohne sie e<strong>in</strong>em<br />

bestimmten Subjekt zuzuschreiben, e<strong>in</strong>e Art personenübergreifende Materie. Sie werden zu e<strong>in</strong>em Teil der<br />

materiellen Umgebung der Figuren. An e<strong>in</strong>er Stelle wird dies beschrieben:<br />

Les pensées de Chico flottent, larges et présentes comme la nuit, et, c’est certa<strong>in</strong>, on les sent. Elles flottent<br />

entre Mary et Chico, et Julien, et Anna, elles flottent et font tourner, elles rapprochent, elles séparent. (71)<br />

Hier wird die Funktion der Gedanken benannt, ohne daß deren Inhalte beschrieben s<strong>in</strong>d. Zu Beg<strong>in</strong>n des Textes<br />

wird h<strong>in</strong>gegen anhand <strong>von</strong> Annas Gedanken<strong>in</strong>halten e<strong>in</strong>e die Figuren verb<strong>in</strong>dende Atmosphäre geschaffen.<br />

Anna ist die Figur, aus deren Wahrnehmung am häufigsten e<strong>in</strong>e über<strong>in</strong>dividuelle Evokation des Parks entsteht,<br />

<strong>in</strong>sbesondere zu Beg<strong>in</strong>n des Textes, wo <strong>in</strong> den Schauplatz des Geschehens e<strong>in</strong>geführt wird.<br />

Die <strong>weibliche</strong>n Hauptfiguren fungieren für die narrative Instanz als Anknüpfungspunkt für die Konstitution <strong>und</strong><br />

Vermittlung der fiktionalen Welt. Am Anfang des Romans ist e<strong>in</strong>e Erzählsituation entworfen, bei der die<br />

narrative Instanz mit den Figuren zusammen, d.h. <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Perspektive mit den <strong>weibliche</strong>n<br />

Hauptfiguren die fiktionale Welt vorstellt. Diese wird evoziert <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en Weise, die es wie schon <strong>in</strong><br />

den vorangegangenen <strong>Texten</strong> der LeserIn ermöglicht, sich <strong>in</strong> die Konstitution e<strong>in</strong>zubeziehen. Als Gr<strong>und</strong>lage<br />

dieses über<strong>in</strong>dividuellen, das e<strong>in</strong>zelne Subjekt überschreitenden Entwurfs sche<strong>in</strong>t besonders die Figur Anna<br />

geeignet: Mit ihrer Aufmerksamkeit für die Umgebung sowie ihrer Aufnahmebereitschaft <strong>und</strong> -fähigkeit, bei der<br />

die eigene Person nicht im Mittelpunkt des Interesses steht <strong>und</strong> die sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Tendenz zur Selbstentgrenzung<br />

manifestiert, weist sie Eigenschaften auf, die sie prädest<strong>in</strong>ieren für e<strong>in</strong>e nicht subjektzentrierte Konstruktion des<br />

geme<strong>in</strong>samen Lebensraums der Figuren.<br />

In Le Pont de Brooklyn ist <strong>weibliche</strong> <strong>Subjektivität</strong> wie schon <strong>in</strong> L’excès-l’us<strong>in</strong>e <strong>und</strong> <strong>in</strong> Le crim<strong>in</strong>el als dezentriert<br />

entworfen. Dezentriertheit ersche<strong>in</strong>t hier jedoch nicht als Erfahrung e<strong>in</strong>es dauerhaften Selbstverlusts wie <strong>in</strong><br />

L’excès-l’us<strong>in</strong>e, noch be<strong>in</strong>haltet sie die Gefahr e<strong>in</strong>es solchen wie <strong>in</strong> Le crim<strong>in</strong>el; vielmehr ersche<strong>in</strong>t sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

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