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Textstrukturen und weibliche Subjektivität in Texten von Leslie ...

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e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>druck <strong>von</strong> der Länge des Arbeitstages zu vermitteln, denn sie wendet sich fragend an die LeserIn:<br />

„Warum e<strong>in</strong>en ganzen Tag? Sag mir, wie ich den täglichen Akkord besser darstellen kann – es muß aber<br />

ausreichend se<strong>in</strong>!“ 387 Mit „ausreichend“ me<strong>in</strong>t Herzog wohl, daß die Darstellung <strong>in</strong> der Lage se<strong>in</strong> muß, die<br />

Monotonie, sowie die körperliche <strong>und</strong> psychische Belastung für die Arbeiter<strong>in</strong>nen wiederzugeben. Das<br />

Unerträgliche der Akkordarbeit sieht Herzog vor allem <strong>in</strong> der Länge der täglichen Arbeitszeit, die bei der<br />

E<strong>in</strong>tönigkeit der zu verrichtenden Arbeit mit ihren immer gleichen Handgriffen endlos ersche<strong>in</strong>t. Bei e<strong>in</strong>em<br />

Arbeitsbeg<strong>in</strong>n um 6.30 Uhr hat sie um 11.00 Uhr „immer das ganz ehrliche Gefühl, 8 St<strong>und</strong>en s<strong>in</strong>d rum.“ 388<br />

Herzog will die Fabrikarbeit aus der Sicht der Akkordarbeiter<strong>in</strong>nen zeigen <strong>und</strong> stößt dabei an die Grenze des<br />

Darstellbaren, weil die ‚objektive‘ Zeitdauer <strong>und</strong> die subjektiv erlebte Länge der Arbeitszeit ause<strong>in</strong>anderklaffen.<br />

Die Benennung der Zeitdauer reicht ganz offensichtlich nicht aus, um das subjektive Zeitgefühl wiederzugeben.<br />

Herzog versucht deshalb, die Arbeitsschritte <strong>und</strong> die Zeit, <strong>in</strong> der sie ausgeführt werden, möglichst genau zu<br />

beschreiben <strong>und</strong> zu erklären, um die Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen für die LeserIn verständlich zu machen. Hier e<strong>in</strong><br />

Beispiel:<br />

Frau He<strong>in</strong>rich hat e<strong>in</strong>e kurzzyklische Arbeit. [...] E<strong>in</strong> Arbeitsvorgang <strong>von</strong> ihr dauert 9 Sek<strong>und</strong>en: e<strong>in</strong>en<br />

Fuß <strong>in</strong> die Hand nehmen, e<strong>in</strong>e Strebe mit der P<strong>in</strong>zette greifen, die Strebe an den Fuß schweißen. Den<br />

gleichen Vorgang mit der zweiten Strebe <strong>und</strong> anschließend den fertigen Fuß <strong>in</strong> den Kasten legen. Um das<br />

auszuhalten, hat Frau He<strong>in</strong>rich im Laufe der Akkordjahre ihre Bewegungen <strong>in</strong>nerhalb der Möglichkeiten<br />

des Akkords ausgedehnt, sie hat e<strong>in</strong> paar Bewegungen dazu erf<strong>und</strong>en <strong>und</strong> schafft trotzdem noch den<br />

Akkord. 389<br />

Die Unerträglichkeit der monotonen Arbeit soll hier veranschaulicht werden am Beispiel e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zelnen<br />

Arbeiter<strong>in</strong> <strong>und</strong> deren <strong>in</strong>dividuellen Umgang mit den Arbeitsvorgaben. Der sich <strong>in</strong> der Beschreibung<br />

manifestierende Spielraum zur <strong>in</strong>dividuellen Gestaltung der Arbeitsabläufe vermittelt jedoch auch den E<strong>in</strong>druck<br />

e<strong>in</strong>er Entlastung. Die Arbeit sche<strong>in</strong>t durch die Kreativität der Arbeiter<strong>in</strong>, die Herzog im e<strong>in</strong>zelnen beschreibt,<br />

erträglicher zu werden. Diese <strong>in</strong>dividualisierte Darstellung macht die Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen zwar anschaulich, sie<br />

unterläuft jedoch die Absicht Herzogs, die Akkordarbeit als absolut unerträglich vorzuführen. Herzogs<br />

unausgesprochenes Anliegen besteht auch dar<strong>in</strong>, die Individualität der Arbeiter<strong>in</strong>nen bewahren zu wollen; sie<br />

will zeigen, wie sich das Individuum trotz oder gegen den Druck der Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen behauptet, mit welchen<br />

Mitteln Geist <strong>und</strong> Körper Widerstand leisten.<br />

Kaplan wählt die entgegengesetzte Möglichkeit: Sie führt vor, wie unter den Bed<strong>in</strong>gungen der Fabrikarbeit alle<br />

Unterschiede zwischen den Arbeiter<strong>in</strong>nen, alles Individuelle verloren geht. Die Arbeiter<strong>in</strong>nen erhalten weder<br />

e<strong>in</strong>en Namen, noch e<strong>in</strong>e Bezeichnung, die sie als Arbeiter<strong>in</strong>nen charakterisiert. Statt mit fem<strong>in</strong>isierten<br />

Berufsbezeichnungen wie „travailleuses“, „ouvrières“ oder „femmes à la chaîne“, die zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> politisch<br />

l<strong>in</strong>ks orientierten Medien Anfang der 80er Jahre ebenso wie <strong>in</strong> <strong>Texten</strong> der 70er Jahre zur Fabrikarbeit 390<br />

durchaus üblich s<strong>in</strong>d, 391 werden sie mit dem allgeme<strong>in</strong>en, nur das Geschlecht angebenden Begriff femmes<br />

bezeichnet „Les femmes sont là.“ (20), „La femme fait ses pièces, absorbée“ (26). Die Anonymität hebt alle<br />

Unterschiede zwischen den Arbeiter<strong>in</strong>nen auf; diese ersche<strong>in</strong>en mit der elementaren Bezeichnung femmes auf ihr<br />

Geschlecht reduziert ohne weitere Persönlichkeit. Mit dem häufiger verwendeten Pronomen on wird die<br />

Ent<strong>in</strong>dividualisierung <strong>in</strong> L’excès-l’us<strong>in</strong>e noch weiter vorangetrieben. Die Frauen sche<strong>in</strong>en Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen<br />

387 Herzog (1976), S.81.<br />

388 Herzog (1976), S.76.<br />

389 Herzog (1976), S.23.<br />

390 Monique Piton spricht <strong>in</strong> ihrer Beschreibung des Arbeitskampfes bei der Uhrenfabrik LIP durchgängig <strong>von</strong><br />

„les ouvriers et ouvrières“ (c’est possible! 1975; hier S.65).<br />

391 Vgl. hierzu Ulrich Ricken, der Artikel aus der kommunistischen Zeitung L’Humanité <strong>von</strong> 1980 auf ihren<br />

Wortschatz h<strong>in</strong> untersucht hat: Französische Lexikologie. E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führung (1993); hier S.188ff.<br />

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