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Textstrukturen und weibliche Subjektivität in Texten von Leslie ...

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konventionellen Romanen so beliebten „Dreiecksgeschichten“ <strong>und</strong> „ausschließlichen Zweierbeziehungen“<br />

unterscheidet. 592<br />

Die Präsentation des Geschehens ist <strong>in</strong> Le Pont de Brooklyn ebenfalls gr<strong>und</strong>legend anders als <strong>in</strong> traditionell<br />

erzählten Romanen. Es wird ke<strong>in</strong>e abger<strong>und</strong>ete, abgeschlossene Geschichte erzählt, sondern es werden<br />

Beziehungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er „ständig wechselnden Dynamik der Fre<strong>und</strong>schaften <strong>und</strong> Konflikte“ dargestellt. 593 Die<br />

Erzählung verläuft nicht geradl<strong>in</strong>ig, noch sche<strong>in</strong>t sie auf e<strong>in</strong> Ziel zuzusteuern, so daß der E<strong>in</strong>druck entsteht, daß<br />

dem Roman ke<strong>in</strong> Kompositionsplan zugr<strong>und</strong>e liegt, wie Zeltner vermerkt:<br />

Das Vorgehen wirkt oft so, als hätte die Autor<strong>in</strong> überhaupt ke<strong>in</strong> Handlungskonzept, als würde sie nur<br />

laufend improvisieren; <strong>in</strong> Wahrheit besteht e<strong>in</strong>e große Kunst dieses Schreibens gerade <strong>in</strong> dem Umweg,<br />

auf welchem sich e<strong>in</strong> genau erarbeiteter Strukturplan so gibt, als sei er nicht vorhanden. 594<br />

Das sche<strong>in</strong>bare Fehlen e<strong>in</strong>es Plans läßt das dargestellte Geschehen als unvorhersehbar ersche<strong>in</strong>en, aber nicht im<br />

S<strong>in</strong>ne <strong>von</strong> unberechenbar, sondern als offen bezüglich se<strong>in</strong>es weiteren Verlaufs. Damit wird der E<strong>in</strong>druck<br />

vermittelt, daß das Ende des Romans nicht schon zu Beg<strong>in</strong>n feststeht.<br />

Im folgenden soll zunächst die Erzählstruktur analysiert werden <strong>und</strong> zwar mit Blick auf ihre Implikationen für<br />

die Darstellung der Figuren. Von besonderem Interesse s<strong>in</strong>d dabei die Zeitkonzeption, das Verhältnis zwischen<br />

Erzähl<strong>in</strong>stanz <strong>und</strong> Figuren, sowie die Präsentation der Figuren <strong>in</strong> ihrem Denken. Nach dieser sich eher auf der<br />

narratologischen Ebene bewegenden Analyse des Figurenentwurfs folgt e<strong>in</strong>e stärker auf die <strong>in</strong>haltlichen Aspekte<br />

ihrer Konstruktion ausgerichtete Analyse. Dabei werden sich neben gr<strong>und</strong>sätzlichen Geme<strong>in</strong>samkeiten, die ich<br />

unter dem Titel „Offenheit als <strong>in</strong>nere Disposition“ zusammenfasse, auch schon erste geschlechtsspezifische<br />

Unterschiede im Entwurf der Figuren zeigen. Diesen Unterschieden gehe ich im dritten Teil dieses Kapitels<br />

nach, das sich mit dem Entwurf <strong>weibliche</strong>r <strong>Subjektivität</strong> befaßt. Anschließend frage ich danach, <strong>in</strong>wieweit<br />

Kaplan <strong>in</strong> Le Pont de Brooklyn die <strong>in</strong> den Selbstf<strong>in</strong>dungstexten der 70er Jahre im Zusammenhang mit e<strong>in</strong>em<br />

<strong>weibliche</strong>n Subjektentwurf zutage getretenen Probleme löst.<br />

1. Erzählstruktur<br />

Ähnlich wie <strong>in</strong> Le crim<strong>in</strong>el ist auch zu Beg<strong>in</strong>n <strong>von</strong> Le Pont de Brooklyn e<strong>in</strong>e Parklandschaft evoziert, allerd<strong>in</strong>gs<br />

mit dem Unterschied, daß hier zuerst Figuren e<strong>in</strong>geführt werden.<br />

La jeune femme et la petite fille sont arrivées tôt dans le parc. L’homme les a vues de lo<strong>in</strong> et les a<br />

longtemps regardées. Ensuite il s’est rapproché.<br />

Les gens sont encore peu nombreux. C’est dimanche. Début de chaleur. Possibilité d’<strong>in</strong>sectes. 595<br />

Diese ersten Abschnitte präsentieren die Figuren <strong>und</strong> den Raum, <strong>in</strong> dem sie sich bewegen, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Weise, die<br />

weder Figuren noch den Raum als dom<strong>in</strong>ant ersche<strong>in</strong>en lassen. E<strong>in</strong>erseits werden zuerst die Figuren e<strong>in</strong>geführt,<br />

andererseits bleiben diese aufgr<strong>und</strong> ihrer Benennung mit e<strong>in</strong>em ganz allgeme<strong>in</strong>en Vokabular („la jeune femme“,<br />

„la petite fille“, „l’homme“) anonym. Durch die im Allgeme<strong>in</strong>en verbleibende Präsentation ersche<strong>in</strong>en die<br />

Figuren relativ weit entfernt, so als seien sie aus e<strong>in</strong>er größeren Distanz beschrieben. Aus rezeptionsästhetischer<br />

Sicht heißt das, daß hier e<strong>in</strong>e Erzählsituation entworfen ist, die die LeserIn nicht <strong>in</strong> die Figuren versetzt, sondern<br />

592<br />

Zeltner (1995), S.191. Auch Edward Reichel beklagt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Bilanz des „literarischen Jahrgangs 1989“ am<br />

Beispiel des 1988 Goncourt-Gew<strong>in</strong>ners L’exposition coloniale <strong>von</strong> Erik Orsenna die „ewigen Pariser<br />

Dreiecks-Liebesgeschichten“ <strong>in</strong> den zeitgenössischen Romanen. („Biographien, Autobiographien <strong>und</strong><br />

Nationalbiographien – aber ke<strong>in</strong>e guten Romane. Zum literarischen Jahrgang 1989 <strong>und</strong> zur gegenwärtigen<br />

Literatur <strong>in</strong> Frankreich“, 1990, S.210).<br />

593<br />

Zeltner (1995), S.194.<br />

594<br />

Zeltner (1995), S.194.<br />

595<br />

<strong>Leslie</strong> Kaplan: Le Pont de Brooklyn (1987), S.9.<br />

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