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Textstrukturen und weibliche Subjektivität in Texten von Leslie ...

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verallgeme<strong>in</strong>ert, die sie zu Teilen des Fabrikuniversums machen: „Des bidons, des fils, des tôles sont empilés.<br />

Pièces et morceaux, l’us<strong>in</strong>e.“ heißt e<strong>in</strong>e Variation der Passage auf der folgenden Seite (16). Die s<strong>in</strong>nlich<br />

wahrnehmbare Präsenz der D<strong>in</strong>ge wird dabei jedoch nicht ausgelöscht.<br />

Der E<strong>in</strong>druck der Fremdheit rührt also nicht <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie daher, daß die D<strong>in</strong>ge entfunktionalisiert s<strong>in</strong>d; ist e<strong>in</strong>e<br />

solche Präsentation im Kontext <strong>von</strong> Fabrikarbeit zwar ungewohnt <strong>und</strong> damit auch etwas fremd, so wird diese<br />

Fremdheit doch dadurch abgemildert, daß die D<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er vertrauten, vorfunktionalen Wahrnehmung evoziert<br />

werden. Es ist vielmehr die widersprüchliche Darstellung der D<strong>in</strong>ge als konkret <strong>und</strong> abstrakt zugleich, die<br />

befremdlich wirkt, weil sie der gewohnten Logik zuwiderläuft. Die Bewegung vom Konkreten zum Abstrakten<br />

erzeugt e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>druck <strong>von</strong> Unwirklichkeit. Dieser wird an anderer Stelle explizit benannt: „Les choses sont,<br />

contraires, irréelles, réelles.“ (71)<br />

Die Abstraktion be<strong>in</strong>haltet, <strong>in</strong>dem sie sich <strong>von</strong> der konkreten Realität löst, an sich schon den Aspekt der<br />

Entwirklichung. Verstärkt wird dieser E<strong>in</strong>druck <strong>von</strong> Irrealität durch Paradoxien <strong>und</strong> Widersprüche, die der Text<br />

setzt, so daß die fiktionale Welt als Gleichzeitigkeit <strong>von</strong> Gegensätzen <strong>und</strong> damit unwirklich ersche<strong>in</strong>t. Die<br />

fiktionale Fabrikwelt ist, wie Kaplan selbst treffend beschreibt: „un lieu fou, fou au sens le plus strict du mot,<br />

c’est-à-dire sans repère aucun, un lieu <strong>in</strong>f<strong>in</strong>i [...] un lieu où les choses sont contraires, où elles peuvent être et ne<br />

pas être exactement en même temps [...] où une table est une table et n’est pas une table.“ 375 Dieser Entwurf der<br />

Fabrikwelt als <strong>in</strong> sich widersprüchlich läßt sie irreal ersche<strong>in</strong>en.<br />

Der Entwurf <strong>von</strong> ‚Fabrik‘ als unwirkliches, sich dem Verstehen entziehendes Universum ist Anfang der 80er<br />

Jahre des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts so ungewöhnlich, daß Marguerite Duras ihr Gespräch mit der Autor<strong>in</strong> mit der<br />

Feststellung eröffnet: „Je crois qu’on n’a jamais parlé de l’us<strong>in</strong>e comme vous le faites“. 376 Duras bew<strong>und</strong>ert, wie<br />

Kaplan diesem abgegriffenen Gegenstand noch e<strong>in</strong>e neue Darstellungsform abzugew<strong>in</strong>nen vermag. Für sie liegt<br />

die Innovation des Textes dar<strong>in</strong>, daß er ‚die Fabrik‘ <strong>in</strong> ihrer Unwirklichkeit zeige:<br />

Je ne savais pas qu’on pouvait parler de cette façon ém<strong>in</strong>emment pure et rigoureuse et superbe, d’un fait<br />

aussi concret, aussi usé, aussi genéralisé, parler d’un fait aussi établi que celui-là, aussi irréversiblement<br />

codé, [...] l’us<strong>in</strong>e. [...] C’est-à-dire qu’enf<strong>in</strong> vous parlez de l’us<strong>in</strong>e au-delà de l’us<strong>in</strong>e et vous débouchez<br />

sur le tout de sa conséquence. Son irréalité. 377<br />

Auch wenn anzunehmen ist, daß Duras’ Wertschätzung <strong>von</strong> ihrer Vorliebe für unwirklich ersche<strong>in</strong>ende<br />

Szenarien geleitet ist, die e<strong>in</strong> Merkmal ihrer eigenen fiktionalen Texte darstellen, 378 so ist ihre Feststellung<br />

dennoch zutreffend. <strong>Leslie</strong> Kaplan selbst bestätigt Duras’ E<strong>in</strong>schätzung, wenn sie erklärt, sie hätte die<br />

Wirklichkeit der Fabrik nur als Unwirklichkeit darstellen können: „ce que je peux dire, c’est l’irréalité absolue<br />

de ce réel.“ 379<br />

Die beschriebenen Verfremdungs- <strong>und</strong> Abstraktionsverfahren entwerfen die Fabrik nicht als Abbild e<strong>in</strong>er<br />

Realität, sondern als e<strong>in</strong>e zeitlose, widersprüchliche <strong>und</strong> unwirkliche Welt.<br />

3.2. Entwirklichung <strong>von</strong> Arbeit<br />

Neben der evozierten Zeitlosigkeit <strong>und</strong> dem Entwurf der D<strong>in</strong>ge als zugleich konkret <strong>und</strong> abstrakt läßt auch e<strong>in</strong>e<br />

bestimmte Präsentation <strong>von</strong> Arbeit die Fabrikwelt als unwirklich ersche<strong>in</strong>en. Die Fabrik macht nicht den<br />

375 Kaplan / Duras (1987), S.111.<br />

376 Kaplan / Duras (1987), S.111.<br />

377 Kaplan / Duras (1987), S.112.<br />

378 Zur Irrealität <strong>in</strong> den Romanen <strong>von</strong> Duras siehe Rosa Rigend<strong>in</strong>ger: Aufruhr im Selben – Unbeschriebene<br />

Genealogien <strong>in</strong> drei späten <strong>Texten</strong> <strong>von</strong> Marguerite Duras (1993), S.37.<br />

379 Kaplan / Duras (1987), S.116.<br />

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