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Textstrukturen und weibliche Subjektivität in Texten von Leslie ...

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<strong>in</strong>dividualisierte, aber weiblich gekennzeichnete Wahrnehmung. Es geht im folgenden also um e<strong>in</strong>e<br />

unpersönliche, verallgeme<strong>in</strong>erte <strong>weibliche</strong> <strong>Subjektivität</strong>, um die Eigenwahrnehmung anonymer, nicht<br />

<strong>von</strong>e<strong>in</strong>ander abgegrenzter <strong>weibliche</strong>r Figuren <strong>und</strong> um die Wahrnehmung ihres Verhältnisses zur Umwelt.<br />

2.1. Zur Eigenwahrnehmung der unbestimmten Figuren: On est dispersée<br />

Unablässig beobachtet sich das unpersönliche Subjekt <strong>und</strong> registriert se<strong>in</strong>e Aktivitäten <strong>und</strong> Empf<strong>in</strong>dungen:<br />

On marche, on se sent marcher. (14)<br />

On sent chaque mouvement. (24)<br />

Das Subjekt kann nicht anders, als sich selbst wahrzunehmen: „On se voit être, sans arrêt“ (62). Diese<br />

Selbstwahrnehmung be<strong>in</strong>haltet e<strong>in</strong>e Distanz zu sich selbst. Das Subjekt beobachtet sich selbst genauso wie es die<br />

D<strong>in</strong>ge se<strong>in</strong>er Umgebung betrachtet. Die Ähnlichkeit der Formulierungen, mit der die D<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> die eigene<br />

Person registriert s<strong>in</strong>d, erweckt den E<strong>in</strong>druck, daß sich das Subjekt selbst genauso fremd ist wie ihm die<br />

D<strong>in</strong>gwelt fremd ist.<br />

Die Benennung <strong>von</strong> Empf<strong>in</strong>dungen erfolgt so emotionslos <strong>und</strong> lapidar – „On a très froid.“ (16); „On a peur sans<br />

arrêt.“ (70) –, sche<strong>in</strong>bar unbeteiligt, als spreche das Subjekt nicht <strong>von</strong> sich selbst.<br />

Mit der Nennung <strong>von</strong> Gefühlen <strong>und</strong> Vorlieben („on n’aime pas“) wird ke<strong>in</strong>e Innerlichkeit entworfen, weder e<strong>in</strong>e<br />

allgeme<strong>in</strong>e, unpersönliche, noch e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuelle. Das Subjekt ersche<strong>in</strong>t ohne seelische Tiefe <strong>und</strong> ohne<br />

metaphysische Dimension: Intellekt <strong>und</strong> Psyche s<strong>in</strong>d reduziert auf Körperliches, Materielles. Dies zeigt sich<br />

besonders deutlich am Beispiel des Denkens, das nicht als geistige Aktivität, sondern als körperlicher Vorgang<br />

wahrgenommen wird:<br />

Les cartons sont faciles, ils se font avec les ma<strong>in</strong>s.<br />

On a les ma<strong>in</strong>s ailleurs, on pense. La pensée est collante.<br />

Autour, l’atelier.<br />

Dans l’air épais, sous le plafond haut, on fait des cartons, on pense.<br />

La pensée ne sort pas, elle reste à l’<strong>in</strong>térieur.<br />

Rien ne se défait, on pense.<br />

Plafonds hauts, piliers. On est dans l’air épais.<br />

Les ma<strong>in</strong>s sont ailleurs, on pense une pensée collante. On regarde, on pense.<br />

[...]<br />

Air épais et mou. Les ma<strong>in</strong>s sont aux cartons, la pensée coule à l’<strong>in</strong>térieur. (53f.)<br />

Als <strong>und</strong>ifferenzierter Strom bewegt sich das Denken im Körper ohne sich auf die Außenwelt richten zu können.<br />

Die Gedanken ersche<strong>in</strong>en nicht als Ausdruck e<strong>in</strong>er geistigen Tätigkeit, sondern als materielle Gegebenheit.<br />

Gedankengänge werden nicht entwickelt, das Denken richtet sich nicht auf konkrete Gegenstände, sondern bleibt<br />

<strong>in</strong>haltsleer.<br />

Gelegentlich werden die Gefühle selbst nicht mehr benannt, sondern nur die <strong>von</strong> ihnen ausgelösten<br />

Körperreaktionen. So bspw. <strong>in</strong> dem Satz „Le corps tremble, diffus.“ (76), der nicht weiter erklärt wird. Aus dem<br />

Kontext ersche<strong>in</strong>t die Körperreaktion nicht als Folge <strong>von</strong> Kälte, sondern als Ausdruck unangenehmer,<br />

schmerzlicher Gefühle, <strong>in</strong>sbesondere <strong>von</strong> Angst. Angst ersche<strong>in</strong>t als Dauerzustand – „On a peur sans arrêt.“ (70)<br />

–, der sich im Zittern des Körpers manifestiert.<br />

E<strong>in</strong>e entfremdete <strong>Subjektivität</strong> wird auch vorgeführt <strong>in</strong> Passagen, <strong>in</strong> denen das Subjekt nicht zu e<strong>in</strong>er<br />

Eigenwahrnehmung als Individuum gelangt. Das Subjekt betrachtet sich immer wieder im Spiegel, ohne sich mit<br />

se<strong>in</strong>em Spiegelbild identifizieren zu können.<br />

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