14.01.2013 Aufrufe

Textstrukturen und weibliche Subjektivität in Texten von Leslie ...

Textstrukturen und weibliche Subjektivität in Texten von Leslie ...

Textstrukturen und weibliche Subjektivität in Texten von Leslie ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

aufmerksam zu machen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en eventuellen Zusammenhang zwischen Geschlecht <strong>und</strong> Text zu leugnen, s<strong>in</strong>d<br />

die Autor<strong>in</strong>nen nicht der Abwertung seitens ihrer männlichen Kollegen entgangen. Die Literaturkritiker<br />

übersehen das Geschlecht offenbar nicht.<br />

Weibliches Geschlecht wirkt auch Anfang der 80er Jahre im literarischen Feld Frankreichs noch als<br />

Diskrim<strong>in</strong>ierungsfaktor. In e<strong>in</strong>em Gespräch über die Situation <strong>von</strong> Autor<strong>in</strong>nen im 19. <strong>und</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>ert zieht<br />

Michelle Perrot die Schlußfolgerung, daß „la différence des sexes demeure, plus subtilement, un facteur de<br />

discrim<strong>in</strong>ation et d’<strong>in</strong>terdits, qui ne sont pas du ressort des lois...“ 221 E<strong>in</strong> aktuelles Beispiel dafür ist 1981 die<br />

Aufnahme <strong>von</strong> Marguerite Yourcenar als erster Frau <strong>in</strong> die Académie française. Jean d’Ormesson, der für die<br />

Académie spricht, gibt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Rede <strong>in</strong>direkt zu, daß die Mitglieder sich für Yourcenar entschieden haben,<br />

obwohl sie e<strong>in</strong> Frau ist. D’Ormessons Ausführungen illustrieren aufs Schönste die These <strong>von</strong> Moi, daß<br />

‚Weiblichkeit‘ als negatives symbolisches Kapital wirkt. Als müsse er Yourcenar <strong>von</strong> dem Makel ihres<br />

Geschlechts befreien, versucht d’Ormesson dessen Bedeutung herunterzuspielen, <strong>in</strong>dem er ihre<br />

Geschlechtszugehörigkeit als e<strong>in</strong>en Zufall bezeichnet, wobei <strong>in</strong> dem französischen Wort „accident“ auch die<br />

Bedeutung <strong>von</strong> Unfall mitschw<strong>in</strong>gt.<br />

Nous vous aurions élue aussi -et peut-être, je l’avoue, plus aisément et plus vite- si vous étiez un homme.<br />

(...) C’est plutôt à nous de vous remercier, non pas de l’accident de votre sexe, mais de la fermeté de votre<br />

écriture et de la hauteur de votre pensée. (...) Le mot écriva<strong>in</strong> ne connaît pas de dist<strong>in</strong>ction de genre. 222<br />

Offensichtlich ist die Académie nicht fähig oder willens Yourcenar als Frau <strong>und</strong> als Autor<strong>in</strong> zu akzeptieren.<br />

D’Ormesson spricht ihrem Geschlecht jede Bedeutung ab, sowohl e<strong>in</strong>e negative als auch e<strong>in</strong>e positive. Er selbst<br />

betrachtet ihr Geschlecht aber offensichtlich als e<strong>in</strong>en Mangel, denn er bemüht sich, Yourcenars literarisches<br />

Werk <strong>von</strong> ihrer ‚Weiblichkeit‘ zu befreien, <strong>in</strong>dem er ihm männlich konnotierte Qualitäten wie hauteur <strong>und</strong><br />

fermeté 223 zuspricht. Die Herabsetzung ihres Geschlechts <strong>und</strong> die Virilisierung ihres Werkes s<strong>in</strong>d der Preis, den<br />

Yourcenar dafür bezahlen muß, um <strong>in</strong> die erhabene „Sphäre der hohen Kunst“, e<strong>in</strong>e jahrh<strong>und</strong>ertelang den<br />

Männern vorbehaltene Domäne 224 , aufgenommen zu werden.<br />

Dieses Beispiel zeigt, daß <strong>in</strong> <strong>von</strong> Männern dom<strong>in</strong>ierten Kreisen, ‚gute‘ Literatur männlich konnotiert ist, d.h.<br />

sich nicht mit der Vorstellung <strong>von</strong> <strong>weibliche</strong>r Autorschaft verträgt. Anders formuliert: Wenn das Geschlecht der<br />

Autor<strong>in</strong> geleugnet werden muß, um ihrem literarischen Werk e<strong>in</strong>en positiven Wert zusprechen zu können, so ist<br />

im Umkehrschluß zu erwarten, daß die Literatur <strong>von</strong> Autor<strong>in</strong>nen, die ihre Geschlechtszugehörigkeit nicht<br />

verstecken oder sogar betonen, an Wert verliert, d.h. ke<strong>in</strong>e oder nur ger<strong>in</strong>ge literarische Anerkennung erhält.<br />

Nun steht die Académie française zweifellos auf e<strong>in</strong>er sehr hohen Stufe <strong>in</strong> der Hierarchie des literarischen<br />

Feldes, wo Ausschließungsmechanismen stärker greifen als an se<strong>in</strong>en Grenzen. E<strong>in</strong> Blick auf den<br />

Publikationssektor zeigt, daß Autor<strong>in</strong>nen dort zahlenmäßig stärker vertreten s<strong>in</strong>d: e<strong>in</strong> Viertel der 1988 zur<br />

rentrée littéraire publizierten Romane stammt <strong>von</strong> Frauen. Der Frauenanteil ist damit zwar deutlich höher als <strong>in</strong><br />

der Académie, er ist aber immer noch relativ niedrig im Vergleich zu anderen Ländern; <strong>und</strong> <strong>in</strong> Anbetracht der<br />

221<br />

Perrot: „La rage d’écrire“ (1983), S.56.<br />

222<br />

Antwort <strong>von</strong> d’Ormesson auf Yourcenars Antrittsrede; zitiert nach Théry (1985), S.85; Hervorhebung <strong>von</strong><br />

Théry.<br />

223<br />

Vgl. Luce Irigaray: „Die Mechanik des Flüssigen“ (1979), S.114f. Irigaray zufolge ist das Feste <strong>in</strong> dem seit<br />

den 60er Jahren dom<strong>in</strong>anten psychoanalytischen Diskurs Lacans männlich konnotiert <strong>und</strong> <strong>in</strong> Opposition<br />

gesetzt zu e<strong>in</strong>em weiblich markierten Flüssigen <strong>und</strong> Formlosen.<br />

224<br />

Margot Br<strong>in</strong>k: Ich schreibe, also werde ich. Nichtigkeitserfahrung <strong>und</strong> Selbstschöpfung <strong>in</strong> den Tagebüchern<br />

<strong>von</strong> Marie Bashkirtseff, Marie Lenéru <strong>und</strong> Cather<strong>in</strong>e Pozzi (1998), S.35.<br />

33

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!