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Textstrukturen und weibliche Subjektivität in Texten von Leslie ...

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Die Texte <strong>von</strong> <strong>Leslie</strong> Kaplan haben mich besonders fasz<strong>in</strong>iert, weil sie mit e<strong>in</strong>er kargen, m<strong>in</strong>imalistischen<br />

Sprache e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive Atmosphäre entstehen lassen. Kaplan hat e<strong>in</strong>en ganz eigenen, unverwechselbaren Stil<br />

entwickelt, der e<strong>in</strong>e Literaturkritiker<strong>in</strong> bei der Besprechung <strong>von</strong> Le crim<strong>in</strong>el, Kaplans drittem Text, zu der<br />

Bemerkung veranlaßt:<br />

<strong>Leslie</strong> Kaplan publie un troisième <strong>Leslie</strong> Kaplan. Ce n’est pas une tautologie: <strong>Leslie</strong> Kaplan est l’un des<br />

très rares auteurs que l’on pourrait identifier, je crois, à un paragraphe, à deux ou trois lignes prise au<br />

hasard, tant son style lui est personnel. 12<br />

Die ersten Fragen, die me<strong>in</strong>e Beschäftigung mit Kaplans <strong>Texten</strong> geleitet haben, basierten auf der Annahme, daß<br />

die ‚Neue Frauenliteratur‘, die e<strong>in</strong>igen KritikerInnen als spektakuläres, wenn nicht als „das literatur-<br />

geschichtliche Ereignis“ der 70er Jahre gilt 13 , der nachfolgenden Generation <strong>von</strong> Autor<strong>in</strong>nen Impulse gab <strong>und</strong><br />

daß sich die fem<strong>in</strong>istischen Diskussionen <strong>und</strong> Erkenntnisse der 70er Jahre auf deren Selbstverständnis als<br />

Autor<strong>in</strong> auswirkt. Die jungen Autor<strong>in</strong>nen der 80er Jahre würden, so me<strong>in</strong>e Erwartung, ganz offen <strong>von</strong> den<br />

Errungenschaften der Frauenbewegung <strong>in</strong> der Literatur profitieren, sie würden <strong>in</strong> ihren Romanen unabhängige<br />

Frauenfiguren erf<strong>in</strong>den <strong>und</strong> <strong>in</strong> ihren literarischen Selbsterklärungen an die Fragestellungen der Neuen<br />

Frauenliteratur anknüpfen.<br />

Diese Erwartungen haben sich so nicht bestätigt: Nicht nur Kaplan, sondern auch ke<strong>in</strong>e der anderen zum autre<br />

roman gerechneten Autor<strong>in</strong>nen publiziert bei den Éditions des femmes, obwohl bei diesem <strong>in</strong> den 70er Jahren<br />

eigens für Frauen gegründeten Verlag manche Autor<strong>in</strong> ihre literarische Karriere begann. In Kaplans<br />

Stellungnahmen gibt es ke<strong>in</strong>en H<strong>in</strong>weis auf die Neue Frauenliteratur <strong>und</strong> <strong>in</strong> ihren literarischen <strong>Texten</strong> steht<br />

weder der Entwurf ‚emanzipierter‘ Frauenfiguren, noch der e<strong>in</strong>es schreibenden, <strong>weibliche</strong>n Subjekts im<br />

Vordergr<strong>und</strong>. Und dennoch gewann ich bei der Lektüre <strong>von</strong> Kaplans <strong>Texten</strong> <strong>und</strong> theoretischen Äußerungen den<br />

E<strong>in</strong>druck, daß Themen <strong>und</strong> Fragestellungen der fem<strong>in</strong>istischen Literatur unausgesprochen präsent s<strong>in</strong>d: In den<br />

ersten drei fiktionalen <strong>Texten</strong> treten fast ausschließlich <strong>weibliche</strong> Figuren auf – <strong>in</strong> L’excès-l’us<strong>in</strong>e <strong>und</strong> Le livre<br />

des ciels s<strong>in</strong>d dies Fabrikarbeiter<strong>in</strong>nen, <strong>in</strong> Le crim<strong>in</strong>el e<strong>in</strong>e Frau, die e<strong>in</strong>ige Zeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er psychiatrischen Kl<strong>in</strong>ik<br />

verbr<strong>in</strong>gt; zudem bewegen sich die Frauenfiguren <strong>in</strong> sozialen Räumen, – <strong>in</strong> Fabriken <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Psychiatrie – die<br />

auch <strong>in</strong> der Frauenliteratur der 70er Jahre <strong>von</strong> Bedeutung waren. 14 Thematisch sche<strong>in</strong>en also durchaus<br />

Geme<strong>in</strong>samkeiten zwischen der Neuen Frauenliteratur <strong>und</strong> den fiktionalen <strong>Texten</strong> <strong>von</strong> Kaplan vorhanden zu<br />

se<strong>in</strong>. Darüber h<strong>in</strong>aus knüpfen Kaplans literaturästhetische Äußerungen, implizit an zentrale Themen der<br />

fem<strong>in</strong>istischen Diskussion an. Das literarische Projekt <strong>von</strong> Kaplan kann bezeichnet werden als ‚Schreiben ohne<br />

Machtausübung‘. Gerade <strong>in</strong> dieser Absicht zeigt sich, so me<strong>in</strong>e These, ihre Nähe zur fem<strong>in</strong>istischen Literatur<br />

<strong>und</strong> Kritik, deren besondere Aufmerksamkeit der Frage nach dem Verhältnis <strong>von</strong> Sprache <strong>und</strong> Macht galt.<br />

Sowohl Kaplan als auch die fem<strong>in</strong>istischen Autor<strong>in</strong>nen entwerfen dabei e<strong>in</strong>en negativen Machtbegriff, den sie<br />

jedoch unterschiedlich begründen.<br />

Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Macht <strong>und</strong> Sprache ist für die fem<strong>in</strong>istische Theorie <strong>und</strong> Kritik aufs<br />

engste mit der Frage nach den Möglichkeiten e<strong>in</strong>es <strong>weibliche</strong>n Subjektentwurfs verb<strong>und</strong>en. Die Philosoph<strong>in</strong> <strong>und</strong><br />

Psychoanalytiker<strong>in</strong> Luce Irigaray argumentiert, daß <strong>in</strong> den dom<strong>in</strong>anten (philosophischen <strong>und</strong><br />

12<br />

Michèle Bernste<strong>in</strong>: „Cather<strong>in</strong>e We<strong>in</strong>zaepflen, <strong>Leslie</strong> Kaplan: <strong>in</strong>terrogations et <strong>in</strong>certitudes“ (1985), S.37.<br />

13<br />

Brigitte Burmeister: „Weibliches Schreiben. Zu e<strong>in</strong>igen Aspekten französischer Frauentexte der siebziger<br />

Jahre“ (1985), S.1631.<br />

14<br />

Dort setzen sich e<strong>in</strong>ige Texte mit den Erfahrungen <strong>von</strong> Frauen im Berufsleben <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Psychiatrie<br />

ause<strong>in</strong>ander; vgl. hierzu Brigitte Heymann: Textform <strong>und</strong> <strong>weibliche</strong>s Selbstverständnis. Die Romane <strong>von</strong><br />

Hélène Cixous <strong>und</strong> Chantal Chawaf (1991), S.31ff.<br />

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