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Textstrukturen und weibliche Subjektivität in Texten von Leslie ...

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ausgeprägter als <strong>in</strong> dem zuvor analysierten ersten Abschnitt <strong>von</strong> Le crim<strong>in</strong>el. Aber im Unterschied zum ersten<br />

Abschnitt, wo die Personalisierung e<strong>in</strong>es der stilistischen Mittel ist, das dazu dient, e<strong>in</strong>e une<strong>in</strong>deutige<br />

Wahrnehmungsperspektive zu konstruieren, werden hier nun die Wahrnehmungen der e<strong>in</strong>zelnen Instanzen<br />

<strong>von</strong>e<strong>in</strong>ander unterschieden. Die Rede<strong>in</strong>stanz wird gerade dadurch, daß sie sich <strong>von</strong> den Figuren explizit abgrenzt<br />

– <strong>und</strong> nicht nur wie bisher implizit durch die Benennung der Figuren mit Namen – deutlich sichtbar, <strong>und</strong><br />

beansprucht damit sozusagen auch e<strong>in</strong>en mit den Figuren gleichrangigen Status.<br />

Die Abgrenzung zeigt sich <strong>in</strong> dem Wort aussi, mit dem die Rede<strong>in</strong>stanz betont, daß sie derselben Ansicht ist wie<br />

Louise <strong>und</strong> Jenny – „elles sont, elles aussi, prises dans cette pensée du monde“; alle<strong>in</strong> die Tatsache jedoch, daß<br />

die übere<strong>in</strong>stimmende Anschauung hervorgehoben wird, suggeriert die Möglichkeit, daß es auch anders se<strong>in</strong><br />

könnte. Die Rede<strong>in</strong>stanz nutzt diese Differenzierung aber dazu, um ihre Übere<strong>in</strong>stimmung mit den Ansichten der<br />

Figuren k<strong>und</strong>zutun.<br />

Diese Geme<strong>in</strong>samkeit zwischen Rede<strong>in</strong>stanz <strong>und</strong> Figuren beruht hier also nicht wie im vorigen Abschnitt darauf,<br />

daß die Grenzen zwischen den Subjekten im on verschwimmen, sondern ist hier als übere<strong>in</strong>stimmende<br />

Sichtweise unterschiedener/unterschiedlicher Subjekte präsentiert. Das Pronomen on bezeichnet hier also ke<strong>in</strong><br />

unbestimmtes, allgeme<strong>in</strong>es Subjekt, <strong>in</strong> dem sich verschiedene Instanzen auflösen, sondern konkrete Subjekte. In<br />

dem on wird nicht e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e Perspektive, sondern e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Perspektive dreier Subjekte<br />

entworfen. Die <strong>in</strong> dem on entworfene kollektive <strong>Subjektivität</strong> ersche<strong>in</strong>t deshalb nicht als Amalgam, sondern als<br />

e<strong>in</strong> ‚Zusammenschluß <strong>von</strong> Gleichges<strong>in</strong>nten‘.<br />

Das nächste on suggeriert ebenfalls zunächst e<strong>in</strong>e nicht näher bezeichnete Allgeme<strong>in</strong>heit, schränkt aber dann<br />

se<strong>in</strong>en Bezug schrittweise e<strong>in</strong>, bis am Schluß nur noch Jenny übrigbleibt. Auf ihrem morgendlichen R<strong>und</strong>gang<br />

kommen Louise <strong>und</strong> Jenny <strong>in</strong> das Zimmer <strong>von</strong> Christian Abrame, <strong>von</strong> dem gesagt wird:<br />

Il discute beaucoup sur l’univers, sur les mondes extérieurs. Calculs, poussières de pensées.<br />

Constellations. Comment l’écouter? On l’écoute très attentivement, on écoute tout, tous les mots. On est<br />

distraite, pourtant. On ne peut pas s’empêcher. C’est Jenny qui le remarque. Louise est d’accord. (17f.)<br />

Die subjektlose Frage „Comment l’écouter?“ <strong>und</strong> die darauffolgende Antwort <strong>in</strong> on-Form läßt nach der<br />

bisherigen Lektüre-Erfahrung vermuten, daß sie Jenny, Louise <strong>und</strong> der Rede<strong>in</strong>stanz zuzuordnen s<strong>in</strong>d. Dann wird<br />

das Bezugsfeld des unbestimmten Pronomens jedoch zunehmend e<strong>in</strong>geschränkt, durch die <strong>weibliche</strong> Markierung<br />

<strong>in</strong> dem Adjektiv distraite zuerst auf <strong>weibliche</strong> Subjekte, dann auf e<strong>in</strong>e bestimmte Figur, nämlich Jenny.<br />

Rückwirkend werden also Louise <strong>und</strong> die Rede<strong>in</strong>stanz aus dem unbestimmten Pronomen ausgegrenzt.<br />

Auch hier wird die Unterscheidung der Subjekte nicht dazu genutzt, um unterschiedliche Ansichten darzustellen,<br />

sondern um e<strong>in</strong>e Übere<strong>in</strong>stimmung zu betonen. So heißt es ja am Schluß, daß Louise der gleichen Me<strong>in</strong>ung ist<br />

wie Jenny – „Louise est d’accord“.<br />

Die Trennung zwischen den e<strong>in</strong>zelnen Subjekten im on bewirkt, daß jedes e<strong>in</strong>zelne Subjekt sichtbar wird.<br />

Dadurch gew<strong>in</strong>nt vor allem die Rede<strong>in</strong>stanz an Kontur. Sie macht sich im zweiten Abschnitt auch dadurch<br />

bemerkbar, daß sie <strong>von</strong> den ihr zur Verfügung stehenden erzählerischen Möglichkeiten zum<strong>in</strong>dest ansatzweise<br />

Gebrauch macht. So weist sie gelegentlich auf Zukünftiges oder Vergangenes h<strong>in</strong>.<br />

Elles [Louise <strong>und</strong> Jenny] balayent le couloir, elles échangent des mots. Dehors, le soleil, et les arbres,<br />

cette bouscoulade.<br />

Tout à l’heure elles sortiront. (15)<br />

Dieser Vorausblick wird nicht weiter ausgeführt; se<strong>in</strong>e Reichweite ist sehr kurz, se<strong>in</strong> Umfang sehr begrenzt; er<br />

läßt das derzeitige Geschehen nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em neuen Licht ersche<strong>in</strong>en. Er ist also nicht, wie <strong>in</strong> Erzähltexten<br />

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