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Textstrukturen und weibliche Subjektivität in Texten von Leslie ...

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Va-et-vient de l’air, il prolonge, prolonge et suspend. Lien des choses, très fort, et en même temps,<br />

<strong>in</strong>terrompu. Tout est là, mêlé, comme des paroles ou une promesse, un retour. (23)<br />

Hier wird, was ganz typisch für Kaplans Stil ist, e<strong>in</strong>e Sache zugleich mit ihrem Gegenteil aufgerufen. In dem<br />

zitierten Textausschnitt s<strong>in</strong>d dies die Vorstellung e<strong>in</strong>er Verlängerung <strong>und</strong> Verb<strong>in</strong>dung – „prolonge“, „lien“ – <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>er Unterbrechung <strong>und</strong> Trennung – „suspend“, „<strong>in</strong>terrompu“. Mit der Evokation <strong>von</strong> Widersprüchen wird die<br />

Möglichkeit, Bedeutung e<strong>in</strong>deutig festzulegen, untergraben. Der Text sperrt sich somit gegen e<strong>in</strong>e<br />

Vere<strong>in</strong>deutigung seitens der LeserIn. Gleichzeitig gibt er aber auch, gerade durch die Widersprüche, der<br />

Imag<strong>in</strong>ation e<strong>in</strong>en größeren Spielraum <strong>und</strong> erzeugt somit e<strong>in</strong>e Offenheit bezüglich se<strong>in</strong>er Rezeption. Neben<br />

dieser rezeptionsästhetischen Wirkung hat dieses Stilmittel selbstverständlich auch e<strong>in</strong>e Bedeutung für den<br />

Entwurf der fiktionalen Welt. Sowohl die Fabrikwelt <strong>in</strong> L’excès-l’us<strong>in</strong>e als auch die Welt der Kl<strong>in</strong>ik <strong>in</strong> Le<br />

crim<strong>in</strong>el s<strong>in</strong>d durch Widersprüche gekennzeichnet. Trotzdem unterscheiden sie sich: Das gleichzeitige<br />

Vorhandense<strong>in</strong> gegensätzlicher Zustände <strong>und</strong> das Verschwimmen ihrer Grenzen ersche<strong>in</strong>en <strong>in</strong> L’excès-l’us<strong>in</strong>e<br />

als existentielle Bedrohung des menschlichen Subjekts. 553 In Le crim<strong>in</strong>el h<strong>in</strong>gegen s<strong>in</strong>d Gegensätze <strong>und</strong> die<br />

Auflösung ihrer Unterschiede mit positiven Vorstellungen verknüpft – im obigen Beispiel mit der Idee e<strong>in</strong>es<br />

Versprechens: „Tout est là, mêlé, comme des paroles ou une promesse“.<br />

Insgesamt s<strong>in</strong>d jedoch verb<strong>in</strong>dende Elemente häufiger genannt als trennende:<br />

Le temps est là, sans l’être, une bulle gonflée. Il y a une sensibilité diffuse et plane. Excitation, lassitude<br />

excitée. Tout est lié, bourdonnement. (67)<br />

Daß der E<strong>in</strong>druck e<strong>in</strong>er kollektiven <strong>Subjektivität</strong> vor allem über die Evokation e<strong>in</strong>er Atmosphäre entsteht, die<br />

sich auf die BewohnerInnen auswirkt, dafür sorgen Adjektive, die nicht wie gewohnt auf Menschen bezogen<br />

s<strong>in</strong>d, sondern auf D<strong>in</strong>ge: „Nuit des choses, collective” (36). In diesem Beispiel ist es gerade das Adjektiv<br />

„kollektiv“, das e<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>samkeit benennt, die <strong>in</strong> der Lektüre unwillkürlich auf Menschen übertragen wird.<br />

Dadurch daß D<strong>in</strong>ge mit ‚menschlichen Eigenschaften‘ versehen werden, ersche<strong>in</strong>en sie lebendiger, <strong>und</strong> es<br />

entsteht der E<strong>in</strong>druck, daß die D<strong>in</strong>ge, die Natur, die Atmosphäre e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung zwischen den Menschen<br />

herstellen.<br />

In diese Atmosphäre der sommerlichen Parklandschaft wird nun e<strong>in</strong>e Figur h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>versetzt, die nur mit ihrem<br />

Namen vorgestellt wird:<br />

Vaste après-midi jaune et bleu. Jenny marche dedans. L’allée devient transparente à force de lumière.<br />

Jenny marche, <strong>in</strong>téressée.<br />

Parfois un banc, modeste, ses courbes noires. Des petites plates-bandes, des fleurs nues.<br />

Fleurs en touffe, simple. Une couleur par tige. Jenny regarde en passant.<br />

Lumière large, qui égalise. Elle repousse les choses, les rend abstraites. Les lignes sont effacées. (11)<br />

Gezeigt wird <strong>in</strong> diesem Ausschnitt lediglich das, was diese Figur im Augenblick tut, denkt, sieht. Erst allmählich<br />

stellt sich daher heraus, daß der erste Abschnitt des Buches die Ankunft der Hauptfigur <strong>in</strong> der Kl<strong>in</strong>ik<br />

‚beschreibt‘, ihren Weg vom E<strong>in</strong>gang durch den Park bis zum Schloß. Die Figur wird nicht charakterisiert, ihr<br />

Äußeres nicht beschrieben <strong>und</strong> es gibt ke<strong>in</strong>e Erklärung darüber, woher sie kommt <strong>und</strong> woh<strong>in</strong> sie geht.<br />

Die Präsentation der fiktionalen Welt mittels e<strong>in</strong>er impressionistischen Evokation, die Verwendung des Präsens<br />

– dargestellt wird nur, was im Hier <strong>und</strong> Jetzt stattf<strong>in</strong>det – <strong>und</strong> damit verb<strong>und</strong>en die annähernde Übere<strong>in</strong>stimmung<br />

zwischen „erzählter Zeit“ <strong>und</strong> „Erzählzeit“ 554 , erzeugen den E<strong>in</strong>druck e<strong>in</strong>er unmittelbaren Präsenz des<br />

Dargestellten. Die E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>er mit Namen benannten Figur impliziert jedoch e<strong>in</strong>e <strong>von</strong> der Figur<br />

553 Er<strong>in</strong>nert sei an den <strong>in</strong> Kapitel 5 beschriebenen E<strong>in</strong>druck e<strong>in</strong>es Schwebezustandes zwischen Leben <strong>und</strong> Tod.<br />

554 Zu den möglichen Variationen im Verhältnis <strong>von</strong> Erzählzeit <strong>und</strong> erzählter Zeit vgl. Matias Mart<strong>in</strong>ez /<br />

Michael Scheffel: E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die Erzähltheorie (1999), S.30ff.<br />

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