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Textstrukturen und weibliche Subjektivität in Texten von Leslie ...

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Solche Überlegungen zur Herrschaftsdimension <strong>von</strong> Sprache f<strong>in</strong>den sich nicht nur <strong>in</strong> den zitierten<br />

literaturtheoretischen Aussagen Kaplans. In ihren Romanen werden immer wieder die negativen Auswirkungen<br />

<strong>von</strong> Benennungen vorgeführt oder thematisiert. Dies möchte ich an zwei Beispielen aus den Romanen Le Pont<br />

de Brooklyn (1987) <strong>und</strong> L’épreuve du passeur (1989) zeigen.<br />

Le Pont de Brooklyn dreht sich um die Beziehung <strong>von</strong> fünf Personen, die sich im New Yorker Central Park<br />

zufällig kennen lernen <strong>und</strong> anfre<strong>und</strong>en. Die Hauptfiguren – Anna, Julien, Chico, Mary <strong>und</strong> ihre Tochter Nathalie<br />

– werden, wie ich <strong>in</strong> der ausführlichen Analyse des Romans im siebten Kapitel zeigen werde, als positiv<br />

dargestellt, weil sie relativ unvore<strong>in</strong>genommen aufe<strong>in</strong>ander zugehen <strong>und</strong> mite<strong>in</strong>ander umgehen. Im Kontrast<br />

dazu ersche<strong>in</strong>t Irène, e<strong>in</strong>e Nebenfigur, deren Denken <strong>und</strong> Wahrnehmung <strong>von</strong> Vorurteilen bestimmt ist. Diese<br />

Figur bezeichnet nun Julien, der sich auffällig <strong>in</strong>tensiv für die sechsjährige Nathalie <strong>in</strong>teressiert, <strong>in</strong> dessen<br />

Abwesenheit als „pervers“:<br />

– C’est un pervers, ce type.<br />

C’est évident, dit Irène.<br />

Elle répète:<br />

– C’est un pervers.<br />

Elle ajoute:<br />

– Ça se voit.<br />

Le mot se pose dans la pièce, lentement.<br />

Il circule aux quatre co<strong>in</strong>s, et, rapide, il verrouille. (139)<br />

Sowohl der Akt der Benennung als auch ihr Inhalt ersche<strong>in</strong>en negativ gezeichnet. Die Äußerung ist als Vorurteil<br />

kenntlich gemacht – „C’est évident“; „Ça se voit“ – das e<strong>in</strong>er Verurteilung gleichkommt, <strong>und</strong> sie ist zudem noch<br />

diskreditiert, weil sie <strong>in</strong>haltlich nicht begründet wird <strong>und</strong> <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er Figur kommt, die <strong>von</strong> den anderen als<br />

unangenehm <strong>und</strong> unsympathisch empf<strong>und</strong>en wird. 432<br />

Die Wirkung, die die Benennung entfaltet, ist ebenfalls negativ. E<strong>in</strong>mal ausgesprochen verselbständigt sich das<br />

Wort <strong>und</strong> wird sozusagen zu e<strong>in</strong>em handelnden Subjekt, das die Unterhaltung unterbricht <strong>und</strong> die anderen<br />

Gesprächsteilnehmer<strong>in</strong>nen aus der Fassung br<strong>in</strong>gt. Als müßten sie e<strong>in</strong> Gegengewicht zu dieser <strong>von</strong> ihnen als<br />

unzutreffend <strong>und</strong> unangebracht erachteten Klassifizierung schaffen, denken Anna <strong>und</strong> Chico – also zwei der<br />

positiv dargestellten Figuren – beim Anblick des zurückkehrenden Julien übere<strong>in</strong>stimmend: „Beau comme<br />

l’<strong>in</strong>nocence, ce Julien. Voilà.“ (140) Mit diesem als Ausgleich funktionierenden Klischee <strong>von</strong> der unschuldigen<br />

Schönheit ist das Problem <strong>von</strong> Juliens auffälligem Interesse für das Mädchen nicht entschieden, sondern erneut<br />

geöffnet. Juliens Verhalten wird nämlich auch <strong>von</strong> Anna kritisch betrachtet – sie fragt ihn mehrmals bzw. wirft<br />

ihm vor, er habe e<strong>in</strong> sexuelles Interesse an der Sechsjährigen. Insgesamt ist der Text darauf ausgelegt, die<br />

E<strong>in</strong>sicht zu vermitteln, daß die klassifizierende Benennung Juliens Verhalten nicht erfaßt. Die Bezeichnung<br />

schränkt auf e<strong>in</strong>e Eigenschaft e<strong>in</strong>, der e<strong>in</strong>er sexuellen Abnormität, <strong>und</strong> blendet dabei alle anderen Aspekte der<br />

Persönlichkeit aus. Was Julien an Nathalie so fasz<strong>in</strong>iert s<strong>in</strong>d ihre Präsenz <strong>und</strong> Lebendigkeit, die ihn auf sich<br />

selbst zurückwerfen, ihn mit se<strong>in</strong>er K<strong>in</strong>dheit konfrontieren. Letzteres wird <strong>in</strong> der Schlußszene suggeriert, als<br />

Julien Nathalie zur Brooklyn Bridge mitnimmt <strong>und</strong> sich dort <strong>von</strong> ihr verabschiedet, um dann über die Brücke zu<br />

se<strong>in</strong>em Geburtsort zurückzukehren. 433<br />

E<strong>in</strong> anderer Aspekt der Wirkung <strong>von</strong> benennenden Wörtern wird <strong>in</strong> L’épreuve du passeur vorgeführt <strong>und</strong><br />

thematisiert, <strong>und</strong> zwar anhand e<strong>in</strong>er Geschichte, genauer gesagt e<strong>in</strong>es Rätsels, das dem Roman se<strong>in</strong>en Titel gibt.<br />

432 Vgl. Le Pont de Brooklyn (1987), S.97f. <strong>und</strong> 138f.<br />

433 „– Où tu vas, lui crie Nathalie. / [...] Julien s’arrête et se retourne. Il regarde Nathalie longtemps. / – Je vais<br />

là-bas, il montre Brooklyn. / Tu te souviens, il ajoute, je t’avais dit que j’y retournerais, un jour.“ (236).<br />

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