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Nr. 58 I Mai - Deutsches Down-Syndrom InfoCenter

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� � PSYCHOLOGIE<br />

schen mit einer geistigen Behinderung haben. Für den derzeit<br />

meines Erachtens unterritualisierten Bereich der „normativen Rituale“<br />

wäre eine Sensibilisierung sowohl der Einrichtungen als<br />

auch der Mitarbeiterinnen hilfreich. Gerade in Zeiten, in denen<br />

Technologien und Pragmatismus durch Kostendruck und den<br />

Drang, die Effi zienz zu steigern, die menschliche und gefühlsbetonte<br />

Arbeit in den Hintergrund zu drängen drohen, scheint mir<br />

ein Blick auf Bedeutungen und kulturelle Deutungsmuster angezeigt.<br />

Die Mächtigkeit normativer Rituale für die Arbeit mit Menschen<br />

mit einer geistigen Behinderung nutzbar zu machen, wäre<br />

für die Praxis für die Zeiten von Übergängen (Übergang vom Elternhaus<br />

in eine Wohneinrichtung, Wechsel von Wohnbereichen<br />

oder -gruppen, Übergang in die Werkstatt, Übergang ins Rentenalter)<br />

eine Bereicherung der Methoden behindertenpädagogischen,<br />

andragogischen Arbeitens.<br />

Aber nicht nur die Strukturen in Einrichtungen, sondern auch<br />

die Einrichtungskulturen könnten davon profi tieren.<br />

Die Identifi zierung der Behinderten, der Mitarbeiterinnen und<br />

der Eltern mit den Ideen einer vielfältigen und immer wieder zur<br />

Schau gestellten und damit nach außen dokumentierten Identität<br />

durch Rituale wäre gemeinschaftsstiftend und -bindend. Dafür<br />

müssten beeindruckende und lebendige Rituale entwickelt<br />

werden. Vorbilder gibt es in anderen Subkulturen, eine Übertragung<br />

auf den Behindertenbereich müsste geleistet werden.<br />

Auf der Seite „alltäglicher Rituale“ wäre es wünschenswert, die<br />

starre Überritualisierung vermehrt durchbrechen zu können, den<br />

Alltag abwechslungsreicher und vielfältiger zu gestalten und damit<br />

Personen anzuregen. Kreativität und Vielfalt halten das Gehirn<br />

bei der Arbeit, nicht Routine und „mehr desselben“. Die stabilisierenden<br />

und stützenden Elemente der alltäglichen Rituale<br />

nutzen, ohne in Trott und Drill zu erstarren. Muster als Muster erkennen,<br />

deren Verhaftet-Sein in Personen zu akzeptieren und<br />

trotzdem immer neue Anreize für Wahrnehmung und Entwicklung<br />

zu geben.<br />

Sicherlich ist die Konsequenz nicht, von einem Event zum anderen<br />

zu fallen, aber Abwechslung darf schon sein. Wir überfordern<br />

Menschen mit einer geistigen Behinderung damit nicht. Die<br />

Vielfalt sinnlicher Eindrücke, die Abwechslung im Alltag, führt zu<br />

bleibenden, emotionalen Erinnerungen und dem Wunsch nach<br />

mehr; mehr Lebensqualität und damit mehr menschliches Entwicklungspotenzial.<br />

Literatur<br />

Berger/Luckmann: „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“,<br />

Reutlingen 1974<br />

Bliersbach: „Rituale – was das Leben zusammenhält“ in: Psychologie heute<br />

4/2004<br />

http://de.wikipedia.org/wiki/Zwangshandlung<br />

Imber-Black/Roberts/Whiting: „Rituale“, Heidelberg 2001<br />

Rebillot: „Wandlungs-Rituale“, Natur & Heilen 11/94<br />

Spitzer: Lernen, Heidelberg/Berlin 2002<br />

Spitzer: „Bescherung im Kopf“ in: Die Zeit <strong>Nr</strong>. 1 23.12.2002<br />

Van der Hart: „Abschiednehmen“ – Abschiedsrituale in der Psychotherapie,<br />

München 1982<br />

v. Schlippe/Hachimi/Jurgens: Multikulturelle systemische Praxis,<br />

Heidelberg 3003<br />

Autor: Werner Franger (Diplompädagoge, Familientherapeut) ist Leiter des<br />

„Instituts für Fortbildung, Supervision und Beratung“ (iff b) in Würzburg,<br />

www.iff b.de. Er ist seit vielen Jahren in der Fortbildung von Ärzten und Mitarbeitern<br />

im sozialen Bereich tätig.<br />

Wir danken Herrn Franger und der Redaktionsleitung der Zeitschrift „praxis<br />

ergotherapie“, in der dieser Artikel bereits (19. Jahrgang, Heft 2, April 2006)<br />

erschienen ist, für die freundliche Genehmigung, ihn in Leben mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong><br />

veröff entlichen zu dürfen.<br />

20 Leben mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> <strong>Nr</strong>. <strong>58</strong> I <strong>Mai</strong> 2008

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