Nr. 58 I Mai - Deutsches Down-Syndrom InfoCenter
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� � FÖRDERUNG<br />
Lama-Therapie für Menschen mit<br />
<strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong><br />
Wenn Rituale zwanghaft werden und Ängste das Handeln blockieren TEXT UND FOTOS: HEIKE HÖKE<br />
A<br />
ls Heilerziehungspfl egerin bin ich seit<br />
1992 in einer Wohnstätte der Lebenshilfe<br />
als Gruppenbetreuerin tätig. In unserer<br />
Einrichtung leben insgesamt 28 erwachsene<br />
Bewohnerinnen und Bewohner,<br />
darunter fünf Menschen mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong>.<br />
Vor einigen Jahren verbrachten einige<br />
Bewohner und Bewohnerinnen unserer<br />
Wohnstätte mit einer Kollegin und mir einen<br />
Urlaub im Raum Köln. Am zweiten<br />
Abend besuchten wir eine Pizzeria. Herr K.,<br />
ein Bewohner mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong>, wollte<br />
gerne das von ihm geliebte Schnitzel mit<br />
Pommes bestellen. In dieser Pizzeria gehörte<br />
das sonst überall erhältliche Gericht<br />
jedoch nicht zur Speisekarte. Herr K. war<br />
untröstlich. Keine Alternative konnte ihn<br />
begeistern, seine gute Laune war für den<br />
Rest des Tages dahin. Einige Tage später besuchten<br />
wir das Schokoladenmuseum in<br />
Köln. In einer der oberen Etagen führte der<br />
Weg über einen Steg, von dem aus man einen<br />
schönen Blick in die Tiefe hatte – nicht<br />
schön war dieser Blick für Frau N., eine Bewohnerin<br />
mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong>. Ihre Angstreaktion<br />
war so heft ig, dass ein Weitergehen<br />
über diesen Steg völlig unmöglich war und<br />
die gesamte Gruppe den gesamten Weg zurückging.<br />
Diese Situationen sind nur zwei<br />
typische Beispiele für eine Fülle von Erlebnissen,<br />
die ich im Umgang mit unseren Bewohnern<br />
und Bewohnerinnen mit <strong>Down</strong>-<br />
<strong>Syndrom</strong> hatte.<br />
Nebenberufl ich leite ich zusammen mit<br />
meiner Familie ein kleines touristisches<br />
Unternehmen: Seit dem Jahr 2000 organisieren<br />
wir in unserem Heimatort spezielle<br />
Urlaube für Menschen mit Behinderungen,<br />
jährlich besuchen uns etwa 400 Menschen<br />
mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen,<br />
unter ihnen selbstverständlich auch viele<br />
Menschen mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong>.<br />
Tierphobien<br />
Für unsere Gäste organisieren wir tiergestützte<br />
Aktivitäten: Sie besuchen unsere<br />
Tiere für einige Stunden, können sie streicheln,<br />
mit ihnen wandern, bei entsprechender<br />
Fitness einen Parcours gehen. Hier-<br />
bei stellte sich in den letzten Jahren deutlich<br />
heraus, dass eine ganz beträchtliche Anzahl<br />
von Menschen mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong><br />
extrem große Angst vor Tieren hat, speziell<br />
vor Hunden und Katzen, den „Raubtieren“<br />
unseres Krähenhofes. Teilweise betreten<br />
die betroff enen Menschen zunächst<br />
überhaupt nicht unser Gelände, die Reaktionen<br />
gehen von einer stillen Verweigerungshaltung<br />
bis hin zur heft igsten Panikreaktion.<br />
Mittlerweile fragen wir die Reisegruppen<br />
vorher, ob Hundephobien bei den<br />
Teilnehmern vorliegen, und nehmen unsere<br />
Hunde in diesem Fall gar nicht erst mit zur<br />
Aktivität. Die Gründe für die Ängste können<br />
die betroff enen Menschen in der Regel<br />
nicht benennen. Ob es tatsächlich ein negatives<br />
Erlebnis mit einem Hund oder einer<br />
Katze gab, ließ sich bei den Urlaubsgästen<br />
nur selten herausfi nden.<br />
Rituale<br />
Das Festhalten an bestimmten Ritualen<br />
oder Handlungsabläufen und die tief sitzende,<br />
hemmende Angst in bestimmten<br />
Situationen gehören bei Menschen mit<br />
<strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> zum Alltag. Ganz grundsätzlich<br />
entwickelt natürlich jeder Mensch<br />
und ganz unabhängig von vorliegenden Beeinträchtigungen<br />
bestimmte Rituale. Rituale<br />
strukturieren den Tag und das eigene<br />
Handeln, sie können Sicherheit geben und<br />
Menschen in gemeinsam erlebten Situationen<br />
zusammenführen. In bestimmten Situationen<br />
Angst zu empfi nden ist ebenso<br />
sinnvoll und dient letztendlich auch einem<br />
guten Zweck: sich selbst zu warnen und sich<br />
vor Gefahren zu schützen.<br />
Schwierig wird es, wenn Rituale sich zu<br />
Zwängen entwickeln und Ängste die Lebensqualität<br />
oder das soziale Miteinander<br />
deutlich beeinträchtigen: Hier entsteht häufi<br />
g ein therapeutischer Handlungsbedarf.<br />
Lamas: ideale Therapiebegleittiere<br />
für Menschen mit<br />
<strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong><br />
Seit 1998 arbeite ich regelmäßig im Bereich<br />
der tiergestützten Aktivitäten und der<br />
tiergestützten Th erapie, seit dem Jahr 2001<br />
schwerpunktmäßig mit unseren Lamas.<br />
Die häufi gste Frage, die uns von Kollegen<br />
und Kolleginnen aus Einrichtungen der<br />
Behindertenhilfe oder von Eltern und Angehörigen<br />
gestellt wird, lautet: „Warum ausgerechnet<br />
Lamas in der tiergestützten Th erapie?“<br />
Es ist nicht sinnvoll, anfangs tiergestützt<br />
mit Hunden oder Katzen zu arbeiten, wenn<br />
Menschen mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> gerade vor<br />
diesen Tieren Angst haben. Jede Konfrontationstherapie<br />
setzt voraus, dass die Klienten<br />
in der Lage sind, diese Konfrontation auch<br />
psychisch zu verarbeiten. Die Gefahr ist<br />
groß, dass Menschen mit geistiger Behinderung<br />
zusätzlich schwer traumatisiert werden,<br />
wenn sie zu dieser Verarbeitung nicht<br />
in der Lage sind. Wir wissen häufi g nicht,<br />
ob konkrete Erfahrungen mit bestimmten<br />
Tieren vorliegen oder nicht, ob diese Erfahrungen<br />
real erlebt oder vielleicht nur von<br />
Leben mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> <strong>Nr</strong>. <strong>58</strong> I <strong>Mai</strong> 2008 55