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Nr. 58 I Mai - Deutsches Down-Syndrom InfoCenter

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� � SPRACHE<br />

Zweisprachigkeit bei Kindern<br />

mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> TEXT: JOHANNE OSTAD<br />

Die Autorin, Leiterin des Fremdsprachenzentrums in Halden (Norwegen), schrieb ihre Dissertation zum<br />

Thema Zweisprachigkeit bei Kindern mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong>. Aus dieser 2006 fertiggestellten Arbeit – die<br />

Familien, die sich an der Studie beteiligten, wurden damals über die Zeitschrift Leben mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong><br />

gefunden – wurde bereits in einer früheren Ausgabe dieser Zeitschrift ein erster Teil über die Kommunikationsfähigkeit<br />

der Kinder mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> veröff entlicht.<br />

Dieser Artikel berichtet unter anderem über die Erfahrungen, die Familien mit der zweisprachigen Erziehung<br />

gemacht haben, über die Vorteile, die eine Mehrsprachigkeit – auch für Kinder mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong><br />

– mit sich bringt, sowie über die Vorurteile, mit den sich Eltern, deren Kinder zweisprachig aufwachsen,<br />

häufi g auseinandersetzen müssen.<br />

Wenn untersucht werden soll, ob Kinder mit<br />

<strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> zweisprachig aufwachsen<br />

können, muss genau defi niert sein, was unter<br />

Zweisprachigkeit zu verstehen ist. Weiter<br />

müssen Konsequenzen der Zweisprachigkeit<br />

dargelegt werden bzw. muss erörtert werden,<br />

wie sich das Leben mit zwei Sprachen<br />

gestaltet und welche Faktoren einen Einfl<br />

uss auf diese Form der Erziehung haben<br />

können. Dabei muss zwischen populären<br />

„Wahrheiten“, die sowohl von Fachleuten als<br />

auch Laien proklamiert werden, und wissenschaft<br />

lich fundierten Th esen unterschieden<br />

werden. Besonders bei der Sprachentwicklung<br />

geistig und körperlich benachteiligter<br />

Kinder ist es gefährlich, derartige Behauptungen<br />

als Wahrheiten zu reproduzieren,<br />

ohne den Wahrheitsgehalt oder die Wissenschaft<br />

lichkeit nachzufragen.<br />

Begriff serklärung – Was versteht man<br />

unter Zwei- oder Mehrsprachigkeit?<br />

Zum Begriff „Individuelle Zwei- oder<br />

Mehrsprachigkeit/individueller Bilingualismus“<br />

gibt es fast so viele Defi nitionen wie<br />

Beiträge zum Th ema. Der vorliegenden Untersuchung<br />

liegt die Auff assung Grosjeans<br />

zu-grunde. Grosjean (1995: 259) bezeichnet<br />

Personen als bilingual, die zwei oder<br />

mehrere Sprachen oder Dialekte im täglichen<br />

Leben verwenden. Er behauptet allerdings,<br />

dass die bilingualen Sprecher selten<br />

gleich oder vollständig fl ießend beide<br />

Sprachen beherrschen, da der Bedarf sowie<br />

der Gebrauch der Sprachen oft ganz unterschiedlich<br />

ist.<br />

Nach Mahlstedt bilden zweisprachige<br />

Kinder in der Regel eine starke und eine<br />

schwache Sprache aus, wobei die starke<br />

normalerweise mit der Umgebungsspra-<br />

30 Leben mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> <strong>Nr</strong>. <strong>58</strong> I <strong>Mai</strong> 2008<br />

che identisch ist (Mahlstedt 1996: 20). Und<br />

Döpke stellt fest, dass auch Kinder, die nur<br />

eine der Familiensprachen verwenden, als<br />

bilingual zu bezeichnen sind, sofern das<br />

Verständnis beider Sprachen vorhanden ist.<br />

Erfahrungen zeigen, dass diese sogenannte<br />

rezeptive Mehrsprachigkeit schnell aktiviert<br />

werden kann. Das passiert, wenn das Kind<br />

die Notwendigkeit beider Sprachen erfährt,<br />

z.B. im Falle einer Änderung des sprachlichen<br />

Umfeldes (nach Döpke 1992: 3).<br />

Durch diese Erkenntnisse wird die Defi -<br />

nition von Grosjean zur Mehrsprachigkeit<br />

nochmals untermauert.<br />

Die mehrsprachige Erziehung<br />

Triarchi-Herrmann (2003: 110 ff .) hat folgende<br />

Faktoren für eine erfolgreiche mehrsprachige<br />

Erziehung aufgestellt. Sie nennt<br />

fünf Prinzipien, auf die mehrsprachige Familien<br />

zu achten haben. An erster Stelle<br />

steht dabei die Menge an Input. Triarchi-<br />

Herrmann zufolge müssen Eltern so viel<br />

wie möglich mit dem Kind sprechen. Weiter<br />

empfi ehlt sie den Eltern, dem Prinzip<br />

une personne/une langue zu folgen, Sprachmischungen<br />

zu vermeiden, die Wichtigkeit<br />

beider Sprachen innerhalb der Familie zu<br />

betonen und schließlich dem Kind eine positive<br />

Einstellung zu den zwei Sprachen zu<br />

vermitteln.<br />

Bezüglich der Konsequenzen einer<br />

mehrsprachigen Erziehung gibt es unterschiedliche<br />

Th eorien. In älteren Forschungsberichten<br />

wurden vorwiegend die<br />

negativen Aspekte der kognitiven Fähigkeiten<br />

bilingualer Kinder hervorgehoben.<br />

Bilinguale Kinder wären weniger intelligent,<br />

lernten später sprechen, würden stottern<br />

und riskierten sogar, schizophren zu<br />

werden. Sie würden keine Sprache richtig<br />

lernen und somit semilingual werden. Aus<br />

diesem Grund haben viele Eltern Angst,<br />

ihre Kinder mehr als einer Sprache „auszusetzen“.<br />

Sie befürchten, ihr Kind könnte<br />

semilingual/doppelt halbsprachig werden<br />

(Lanza 1997: 4).<br />

Ein weiterer vermeintlicher Nachteil bilingualer<br />

Sprecher, verglichen mit den Monolingualen,<br />

ist ein verzögerter Spracherwerb.<br />

Tracy/Gawlitzek-<strong>Mai</strong>wald (2000: 519)<br />

nennen diese Behauptung ein Vorurteil und<br />

weisen auf neuere Forschungen hin, die<br />

eine derartige Hypothese nicht bestätigen.<br />

Überhaupt wird in neuerer Forschung den<br />

schon erwähnten negativen Auswirkungen<br />

widersprochen.<br />

Grosjean bemerkt, dass Bilinguale ihre<br />

eigene Zweisprachigkeit als einen Vorteil<br />

sehen und Probleme in dieser Hinsicht<br />

meis-tens von Monolingualen konstruiert<br />

wurden (Grosjean 1982: 268). Auch andere<br />

Linguisten sind von den positiven Auswirkungen<br />

einer mehrsprachigen Erziehung<br />

überzeugt.<br />

Neurolinguistische Untersuchungen der<br />

letzten Jahre scheinen die positiven Auswirkungen<br />

zu bestätigen. Eine in Basel<br />

ansässige Forschungsgruppe zur „Mehrsprachigkeit<br />

im Gehirn“ hat die Gehirnaktivität<br />

vielsprachiger Probanden beobachtet<br />

und eine entscheidende Erkenntnis<br />

lautet: „Erlernt man zwei oder mehr Sprachen<br />

früh, verwendet das Gehirn andere,<br />

für die Beherrschung mehrerer Sprachen<br />

tendenziellgünstigere Strategien,<br />

als wenn man nur mit einer Sprache aufwächst“<br />

(aus Kramer 2003). Die sogenannte<br />

magische Altersgrenze scheint bei drei<br />

Jahren zu liegen – wenn die verschiedenen

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