Nr. 58 I Mai - Deutsches Down-Syndrom InfoCenter
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und dass die Fahrt mit öff entlichen Verkehrsmitteln<br />
eine Voraussetzung für den<br />
Schulbesuch sei (ich wusste nun, warum C.<br />
nicht mehr mit dem Fahrdienst fuhr!), irritierte<br />
mich. Ausgerechnet jetzt im November<br />
bei Dunkelheit, wo selbst ich bei Regen<br />
aus dem Bus heraus kaum die Haltestellen<br />
erkennen konnte, mein Kind diesem Stress<br />
aussetzen?<br />
Außerdem spukte die Geschichte einer<br />
Bekannten in meinem Kopf herum, deren<br />
Tochter gerade in Altona belästigt worden<br />
war, dort wo Jelka umsteigen musste! Da<br />
ich zusätzlich auch noch unter einer Angst-<br />
Krankheit zu leiden begann, bat ich, fast<br />
verzweifelt, um Aufschub.<br />
Meine Beziehung zur Schule litt durchaus,<br />
aber Jelka hatte noch ihren Fahrdienst.<br />
Ich versprach freiwillig, dass sie spätestens<br />
nach den Frühjahrsferien „Selbstfahrerin“<br />
sein würde.<br />
Trotzdem war es schwierig und ich bekam<br />
Angst, dass man Jelka nicht über die<br />
Probezeit hinaus behalten würde. Allerdings<br />
setzte sich der Kindergarten sehr für<br />
sie ein! Bei einem weiteren Lehrer-Eltern-<br />
Gespräch hörte ich den Satz über Menschen<br />
mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong>: „Heute ist ja alles ganz<br />
anders! Haben Sie das Buch von Manske<br />
und Jansen gelesen?“ „Nein, aber mir bedeuten<br />
Erfahrungsberichte von betroff enen<br />
Eltern (und davon habe ich seit der Schwangerschaft<br />
mit meiner Tochter sehr viele<br />
durchgelesen!) mehr als die Fachbücher, deren<br />
Sprache ich nicht immer verstehe.“<br />
Ich bekam noch die Adresse von C.<br />
Manske, bei der wir früher schon in Th erapie<br />
waren. Keine Frage nach „meinen“<br />
Erfahrungen mit dem <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong>,<br />
mit dem ich mich seit fast 20 Jahren befasse,<br />
mehrere Kongresse besucht habe<br />
und inzwischen mehr als 50 Menschen mit<br />
<strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> persönlich kennengelernt<br />
habe. Dann fragte die Dame (die auch für<br />
die Ausbildung von Sonderpädagogen zuständig<br />
ist): „Jelka, wie alt bist du jetzt?“<br />
„Achtzehn“, die Antwort von Jelka. „Dann<br />
musst du dich jetzt auch entsprechend altersgemäß<br />
benehmen!“ (Altersgemäß? Was<br />
ist das schon? Ist das <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> nicht<br />
in erster Linie eine Entwicklungsverzögerung?)<br />
Auch da müssen Eltern durch. Wir<br />
waren immer noch in der Probezeit.<br />
Es fi elen immer wieder mal Stunden aus<br />
und Jelka musste dann auf den Fahrdienst<br />
warten, bevor dieser sie nach Hause bringen<br />
konnte. Das brachte mich dann auf die<br />
Idee mit der Zwischenlösung. Nachmittags<br />
nach Schulschluss war es ja hell, und beim<br />
Heimweg von Altona nach Lurup wurde ihr<br />
doch die Strecke mit jeder Haltestelle ver-<br />
trauter. Also fuhr ich vorsichtshalber mit<br />
ihr zwei Mal die Strecke ab und dann kam<br />
sie von der Schule allein mit dem Bus nach<br />
Haus, und es machte nichts, wenn sie mal<br />
trödelte und einen oder zwei Busse später<br />
kam. Ich behielt die Übersicht, auch über<br />
den Stundenausfall, den ich früher nicht<br />
mitgekriegt hatte.<br />
Damit die Lehrer nicht weiter Jelka beaufsichtigen<br />
mussten, bis der Fahrdienst<br />
kam, bestellte ich ihn für nachmittags ab,<br />
behielt aber die Sicherheit für morgens.<br />
Schließlich hatte ich eine Bewilligung der<br />
Behörde und den Antrag auf Fahrdienst<br />
nicht hinter dem Rücken der Schule gestellt,<br />
sondern der Antrag war offi ziell über<br />
die Schule gelaufen, dort abgestempelt und<br />
auch von dort an die entsprechende Behörde<br />
weitergeleitet worden!<br />
Es war eine gute Lösung, denn nun hörte<br />
das Drängen der Lehrer auf.<br />
Probejahr bestanden, weitergeht‘s<br />
Das erste Jahr war rum. Jelka hatte die Probephase<br />
überstanden, nahm teil an den zusätzlichen<br />
Veranstaltungen des Kindergartens,<br />
wie u.a. das Kartoff elfest, eine Kita-Übernachtung<br />
oder am Tag der off enen Tür, sie<br />
liebt „ihre“ Kinder und nach Aussagen einiger<br />
Eltern lieben die Kinder Jelka!<br />
Nach den Sommerferien fuhr sie ganz<br />
mit öff entlichen Verkehrsmitteln. Manchmal<br />
bringe ich sie noch morgens zur Bus-<br />
haltestelle, auch um zu wissen, ob sie einen<br />
Sitzplatz gekriegt hat, und um die Sicherheit<br />
zu haben, dass sie pünktlich abgefahren ist<br />
und nicht zu spät zur Schule kommt. Kritik<br />
der Schule über Schwierigkeiten mit meiner<br />
Tochter kam dann nicht mehr und ich bin<br />
froh darüber.<br />
Beim diesjährigen Sommerfest konnte<br />
Jelka sich mit ihrer Bauchtanz-Vorführung<br />
� � ERFAHRUNGSBERICHT<br />
im türkischen Kostüm aktiv am Programm<br />
beteiligen und Ende November war sie<br />
schrift lich vom Vereinsvorstand zusammen<br />
mit ihren „Kolleginnen“ zur Weihnachtsfeier<br />
in ein Lokal zum Essen eingeladen und<br />
war ganz stolz darauf!<br />
Fast zwei Jahre sind schon um von den<br />
vieren. Ab Sommer ist nicht mehr die Schule<br />
für die Qualifi zierung zuständig, sondern<br />
die Sozialpädagogen der Elbe-Werkstatt<br />
übernehmen die begleitende Ausbildung.<br />
Die Lernräume bleiben die gleichen, nur<br />
die Tage werden ausgetauscht: drei Tage<br />
Arbeit im Kindergarten (Montag bis Mittwoch)<br />
und Donnerstag und Freitag Schule.<br />
Jetzt wird es „Arbeit auf einem ausgelagerten<br />
Arbeitsplatz der Elbe-Werkstätten“ mit<br />
Berufsschule, was vorher „Berufsvorbereitung<br />
mit Praktikum“ war.<br />
Das bedeutet aber auch: ein neuer Termin<br />
beim Arbeitsamt, Abteilung Rehabilitation,<br />
wie uns auf dem Info-Elternabend erklärt<br />
wurde. Wir hoff en, dass alles gut weitergeht.<br />
Als Helfer oder Helferin in einer Kita<br />
– für manche junge Menschen mit<br />
<strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> ein guter Arbeitsplatz<br />
Ich habe trotz der geschilderten anfänglichen<br />
Schwierigkeiten die Bewusstheit,<br />
diese Entscheidungen für meine Tochter bis<br />
heute richtig getroff en zu haben. Ich hoff e,<br />
dass sich mehr Jugendliche mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong>,<br />
die den Umgang mit Kindern mögen,<br />
genauso trauen, sich um einen Platz<br />
für die Qualifi kation als Kita-Helfer oder<br />
-Helferin zu bewerben.�<br />
Leben mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> <strong>Nr</strong>. <strong>58</strong> I <strong>Mai</strong> 2008 65