Nr. 58 I Mai - Deutsches Down-Syndrom InfoCenter
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� � SPRACHE<br />
Erzählen lernen – Wie Sprachförderung<br />
lebendig mitwächst<br />
Zu seinem Geburtstag spielte unsere Ruth (elf Jahre) ihrem Paten ein Märchenspiel vor: „Aljonuschka<br />
und die wilden Schwäne“. Sie erzählte folgerichtig und lebendig, zum Teil mit verstellter Stimme, genau<br />
so, wie sie es bei ihrer Mutter beobachtet hatte.<br />
Dass es ein weiter Weg war, den wir miteinander gegangen sind, bis ein solches Geburtstagsgeschenk<br />
möglich wurde, das kann sich jeder denken, der ein Kind mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> auf seinem sprachlichen<br />
Werdegang begleitet. TEXT: BARBARA SCHILLING<br />
I<br />
ch möchte Sie an diesem Weg ein wenig<br />
Anteil nehmen lassen. Dabei wird klar<br />
werden, wie vielseitig die Komponenten<br />
sind, die zu sprachlichem Reichtum führen,<br />
und dass man möglichst nie krampfh aft direkt<br />
auf sein Ziel zusteuern sollte. Vielmehr<br />
sollte man Situationen sprachlich ausschöpfen,<br />
die sich im Leben sowieso ergeben.<br />
Unsere Ruth wurde 1996 mit einem<br />
sehr schweren Herzfehler geboren. Sie war<br />
so zart, dass sie nicht einmal schrie, wenn<br />
sie Hunger hatte. Ich musste immer wieder<br />
nachschauen, ob sie wach war und am Daumen<br />
lutschte.<br />
So verging das erste Jahr mit unserem<br />
zart lächelnden, freundlichen Kind. Im Mittelpunkt<br />
standen damals die Herzoperation<br />
und die Frage nach dem Überleben.<br />
Natürlich hatten wir schon mit Krankengymnastik<br />
und Frühförderung begonnen,<br />
Logopädie wäre terminlich zu viel geworden<br />
– zudem scheuten wir uns davor,<br />
jemand Fremden an ihrem Mund herummanipulieren<br />
zu lassen oder ihr eine Gaumenplatte<br />
einsetzen zu lassen.<br />
Eine lange Stillzeit musste genügen, um<br />
die Mundmuskulatur anzuregen. In diesem<br />
Zusammenhang möchte ich den Schwestern<br />
der Neugeborenenstation der Filderklinik<br />
bei Stuttgart meinen ganz herzlichen<br />
Dank aussprechen. Obwohl Ruth in der ersten<br />
Zeit fast nur schlief und mit der Sonde<br />
ernährt werden musste, ermunterten<br />
sie mich zum Stillen. Jedes Gramm Milch,<br />
das unser Kind selbst trank, wurde fröhlich<br />
bejubelt. Mit Hilfe dieser Unterstützung<br />
konnte Ruth nach zwölf Tagen selbstständig<br />
trinken, wenn wir auch viel Zeit dafür<br />
brauchten.<br />
Als die Herzoperation mit elf Monaten<br />
glücklich überstanden war, folgten viele<br />
schwere Infekte. So stand die Kranken-<br />
48 Leben mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> <strong>Nr</strong>. <strong>58</strong> I <strong>Mai</strong> 2008<br />
pfl ege mit ihren erschöpfenden Folgen für<br />
die ganze Familie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit,<br />
ebenso die Gewichtszunahme.<br />
In gesunden Tagen war die Bewegungsentwicklung<br />
das Wichtigste: Sehr verspätet<br />
lernte Ruth robben und einige Monate später<br />
(mit eineinhalb Jahren) das Sitzen.<br />
Sprachlich wurde Ruth in dieser Zeit<br />
nicht bewusst gefördert, aber natürlich redete<br />
ich viel mit ihr, sang ihr Kinderlieder<br />
vor (was sie sehr liebte) und schaute mit ihr<br />
Bilderbücher an.<br />
Verse und Lieder fördern die Sprache<br />
Mit ca. eindreiviertel Jahren begann ich mit<br />
bewusster Sprachförderung. Als ich entdeckte,<br />
dass Ruth z.B. einen Bären im Bilderbuch<br />
nicht als solchen erkannte, weil<br />
er nicht wie ihr eigener aussah, begann<br />
ich, Fotos von Spielsachen unserer eigenen<br />
Kinder zu machen. Durch Folien geschützt,<br />
sammelte ich diese in einem<br />
Ordner. Ruth nahm dieses selbst gemachte<br />
Bilderbuch sehr gut an. Bald konnte<br />
sie vor allem die Tiere bezeichnen<br />
Öfter liest man Kommentare, dass in<br />
der Zeitschrift „Leben mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong>“<br />
nur die ganz „fi tten“ Kinder beschrieben<br />
würden.<br />
Mit diesem Artikel möchte ich<br />
zum Ausdruck bringen, dass auch unsere<br />
Kinder mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong>-Plus<br />
ihre Begabungen entwickeln können.<br />
Man braucht nur einen langen Atem,<br />
eine ganze Menge Vorschussvertrauen<br />
und viel Humor.<br />
Barbara Schilling<br />
( „Wau – wau“, „Miau“, „I- aah“ etc.).<br />
Viele Monate lang sprach ich den gleichen<br />
Kindervers in ihre Hand:<br />
„Hier hast , n Taler,<br />
geh , auf den Markt,<br />
kauf dir , ne Kuh,<br />
Kälbchen dazu!<br />
Kälbchen hat , n Schwänzchen,<br />
Didl – didl – Dänzchen!“<br />
Eines Tages kam ein schwaches „Didl –<br />
didl“. Das war der Durchbruch!<br />
Ruth hatte eine Riesenfreude an solchen<br />
rhythmischen Kinderverschen, Liedern und<br />
Fingerverschen. Bald lernte sie viele von ihnen<br />
auswendig. Ihr Wortschatz wuchs dadurch<br />
beträchtlich. Bald hatten die Tiere<br />
alle ihre richtigen Namen.<br />
Auch die Satzbildung wurde durch Verse<br />
und Lieder angeregt: Oft mals benutzte Ruth<br />
einen solchen fertig auswendig gelernten<br />
Satz, um etwas, was sie sagen wollte, auszudrücken.<br />
Wann macht man das denn alles? Es gibt<br />
ja auch noch Haushalt, Geschwister ... und<br />
noch so vieles anderes zu tun!<br />
Sprachförderung in den Alltag<br />
integrieren<br />
Ich selbst kombinierte die Sprachförderung<br />
mit der Sauberkeitserziehung. Saß Ruth auf<br />
dem Töpfchen, so hatten wir gemeinsamen<br />
Spaß an Fingerverschen und rhythmischen<br />
Liedchen. War das Töpfchen nachher voll,<br />
so gab es ein großes Lob, war nichts drin,<br />
so machte es auch nichts, die Zeit war ja<br />
sinnvoll verbracht worden. So war ich wegen<br />
der etwas lange dauernden Sauberkeitserziehung<br />
nie frustriert und konnte die natürliche<br />
Entwicklung abwarten. Auch Ruth<br />
wurde sauber, erst tagsüber und mit einiger<br />
Verspätung auch nachts mit fünfdreiviertel<br />
Jahren.