Nr. 58 I Mai - Deutsches Down-Syndrom InfoCenter
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doppelten Erstspracherwerb, und die, die<br />
bei einem Zweitspracherwerb vorhanden<br />
sind, sind unterschiedlich und dürfen in einer<br />
Untersuchung zum Spracherwerb nicht<br />
gleichgesetzt werden.<br />
In der Untersuchung von Kay-Raining<br />
Bird wurden Gesten u.a. bei der Auswertung<br />
der MLU als Wörter mitgezählt. Diese<br />
Vorgehensweise ist bei Kindern mit <strong>Down</strong>-<br />
<strong>Syndrom</strong>, die viel mit Gesten kommunizieren,<br />
nachvollziehbar. Sie muss aber dann in<br />
ihren beiden Sprachen erfolgen, nicht nur<br />
in der einen.<br />
Trotz dieser Schwächen sind beide Untersuchungen<br />
für die vorliegende Arbeit<br />
wichtig, da sie die Fähigkeit der Menschen<br />
mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong>, zwei Sprachen zu beherrschen,<br />
nicht absprechen. Lindboms Arbeit<br />
weist zudem auf die Problematik der<br />
niedrigen Erwartungshaltung hin.<br />
Der von Lindbom betonte Kontrast zwischen<br />
Unwissen und Skepsis der Fachleute<br />
auf der einen Seite und dem Erfolg einer<br />
zweisprachigen Erziehung auf der anderen<br />
wird in einer deutschen Arbeit bestätigt.<br />
Wilken (2000a) hat Erfahrungsberichte<br />
von Eltern gesammelt und in ihrem Buch<br />
„Sprachförderung bei Kindern mit <strong>Down</strong>-<br />
<strong>Syndrom</strong>“ wiedergegeben.<br />
Aus den Berichten geht hervor, dass vielen<br />
Eltern nahegelegt wurde, nur in Deutsch<br />
mit ihrem behinderten Kind zu sprechen.<br />
Auf die möglichen negativen Auswirkungen<br />
dieses Vorgehens wurde schon eingegangen.<br />
Aus diesem Grund befürwortet auch<br />
Wilken eine zweisprachige Erziehung. Anders<br />
als Lindbom empfi ehlt sie, dass Kinder<br />
von nicht-deutschsprachigen Eltern zuerst<br />
die Familiensprache lernen sollen, danach<br />
Deutsch. „So lernen Kinder türkischer Eltern<br />
als erste Sprache Türkisch; [...]“ (Wilken).<br />
In mehrsprachigen Familien fi ndet sie<br />
es dagegen wichtig, dass „Mutter und Vater<br />
ermutigt werden, mit ihrem Baby in ihrer<br />
Sprache zu sprechen. Gerade die frühe<br />
Kommunikation hat eine ganz wesentliche<br />
emotionale Bedeutung, und Zärtlichkeit<br />
und Zuwendung gelingen in der eigenen<br />
Muttersprache viel leichter“ (Wilken).<br />
Aus den von Wilken gesammelten Berichten<br />
wird deutlich, dass Kinder mit <strong>Down</strong>-<br />
<strong>Syndrom</strong> die Fähigkeit besitzen, mehr als<br />
eine Sprache zu beherrschen, wobei das erreichte<br />
Niveau sehr unterschiedlich ist. Einige<br />
Kinder konnten ihre beiden Sprachen<br />
nur verstehen, ohne sich in diesen ausdrücken<br />
zu können. Wiederum gab es Kinder,<br />
die „[...] beide Sprachen besser sprechen als<br />
andere Kinder, die nur eine Sprache beherrschen“<br />
(Wilken).<br />
32 Leben mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> <strong>Nr</strong>. <strong>58</strong> I <strong>Mai</strong> 2008<br />
Neben diesen und weiteren Arbeiten und<br />
Berichten über Zweisprachigkeit und<br />
<strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> gibt es verschiedene Arbeiten<br />
zu Zweisprachigkeit und Behinderungen,<br />
in denen das <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> erwähnt<br />
wird.<br />
Die Arbeiten stammen hauptsächlich<br />
aus dem erziehungswissenschaft lichen bzw.<br />
sonderpädagogischen Fachbereich. Es handelt<br />
sich dabei überwiegend um Erfahrungsberichte;<br />
empirisch fundierte Untersuchungen<br />
bilden die Ausnahme. Für die<br />
vorliegende Arbeit fungieren die Erfahrungsberichte<br />
als wichtige Grundlage, da,<br />
entgegen erwähnter Bedenken bezüglich<br />
der zweisprachigen Erziehung bei Kindern<br />
mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong>, keiner der Texte einen<br />
negativen Einfl uss der Mehrsprachigkeit auf<br />
die Sprachentwicklung dokumentiert.<br />
Wissenschaft lich fundierte linguistische<br />
Untersuchungen fehlen jedoch auf diesem<br />
Gebiet. Aus diesem Grund füllt die vorliegende<br />
Arbeit eine entscheidende Forschungslücke.<br />
Zur Anlage der Untersuchung<br />
Der empirische Teil der Arbeit besteht aus<br />
zwei Abschnitten: einer Langzeitfallstudie<br />
mit zwei Kindern und einer Umfrage.<br />
Der Hauptteil der Arbeit ist die Fallstudie.<br />
Dieser ist jedoch zu umfangreich, um<br />
ihn hier im Rahmen eines Artikels zu veröff<br />
entlichen.<br />
Die Ergebnisse des Fragebogens, die als<br />
Vergleichsgrundlage/Hintergrundinformation<br />
der Fallstudie dienen und die Fallstudie<br />
in einen größeren Kontext stellen (vgl.<br />
Mayring), möchten wir den Lesern nicht<br />
vorenthalten.<br />
Die Befragung<br />
Der Fragebogen wurde entwickelt, um einen<br />
Eindruck davon zu gewinnen, ob die<br />
Erfahrungen der Familien in der Fallstudie<br />
zur mehrsprachigen Erziehung als repräsentativ<br />
gelten können. Bei Analysen von<br />
Fallstudien soll, wie schon von Mayring<br />
eingefordert, nach zusätzlichen Daten außerhalb<br />
der Fallstudie gesucht werden, um<br />
die Gültigkeit der Ergebnisse abzusichern.<br />
Es ist zu unterstreichen, dass es sich bei der<br />
Fragebogenuntersuchung um eine subjektive<br />
Einschätzung der Eltern eines Kindes<br />
mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> handelt.<br />
Die Ergebnisse der Fallstudie und der<br />
Umfrage befi nden sich daher auf verschiedenen<br />
Ebenen, was bei der Auswertung berücksichtigt<br />
wird. Der Vergleich ist dennoch<br />
statthaft , da er die Fallstudien in einen<br />
größeren Kontext setzt.<br />
Zur Methodik der Befragung<br />
Der Fragebogen wurde in Anlehnung an<br />
früher durchgeführte Befragungen zu<br />
Mehrsprachigkeit, <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> und zu<br />
Mehrsprachigkeit mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> erstellt.<br />
Vor der Erstellung eines Fragebogens<br />
sollte nach Albert/Koster eine off ene Befragung<br />
von Betroff enengruppen und Experten<br />
durchgeführt werden, um abzuklären,<br />
„welche Th emenbereiche angesprochen<br />
werden könnten und welche Arten von<br />
Antworten gegeben werden“. Für die vorliegende<br />
Arbeit wurden derartige Gespräche<br />
mit zweisprachigen Familien durchgeführt,<br />
in denen ein Kind mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong><br />
aufwächst, sowie mit Fachleuten wie Kinderärzten,<br />
Erziehungswissenschaft lern und<br />
Logopäden. Aus diesen Gesprächen haben<br />
sich einige Hinweise ergeben, die für den<br />
Fragebogen sowie für die ganze Arbeit eine<br />
wichtige Rolle spielen.<br />
So gibt es anscheinend eine große Diskrepanz<br />
zwischen dem, was Fachleute<br />
einem Kind mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> zutrauen,<br />
und dem subjektiven Leistungsvermögen<br />
der Kinder nach Einschätzung der Eltern.<br />
Ohne diese Vorgespräche bzw. off enen Befragungen<br />
wäre dieser sehr wichtige Aspekt<br />
nicht so deutlich in Erscheinung getreten.<br />
Mit den Ergebnissen aus diesen Befragungen<br />
sowie mit den Fachkenntnissen<br />
zum Th ema als Hintergrund werden Leitfragen<br />
formuliert. Die Antworten auf diese<br />
Leitfragen bilden das Haupterkenntnisinteresse.<br />
Die Leitfragen beschäft igen sich allgemein<br />
mit der Situation der Familien, die<br />
ihr Kind mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> zweisprachig<br />
erziehen wollen.<br />
Leitfragen:<br />
1. Warum entscheiden sich die Familien<br />
für eine zweisprachige Erziehung ihres<br />
Kindes?<br />
2. Welche Ratschläge erhalten zweisprachige<br />
Familien, die ihr Kind mit <strong>Down</strong>-<br />
<strong>Syndrom</strong> zweisprachig erziehen wollen?<br />
3. Welche Probleme und welche Vorteile<br />
bringt die zweisprachige Erziehung mit<br />
sich?<br />
4. Welchen Einfl uss, wenn überhaupt, haben<br />
die äußeren Lebensumstände des<br />
Kindes?<br />
Nach Festlegung des Erkenntnisziels werden<br />
die relevanten Fragen in Form eines<br />
Fragebogens erstellt.<br />
Der Fragebogen wurde an 32 Adressen<br />
im skandinavischen und deutschsprachigen