JOURNAL ASMAC No 3 - juin 2018

PERSPECTIVES
AUS DER «THERAPEUTISCHEN UMSCHAU»: ÜBERSICHTSARBEIT*
Pneumokokken-Impfungen
bei Kindern und Erwachsenen
Die Zahlen sind beachtlich: In den letzten 40 Jahren wurden weltweit mehr als 50 000 Lungentransplantationen
durchgeführt; 1992 erstmals auch in der Schweiz. Obwohl auf allen Gebieten grosse Fortschritte
erzielt werden konnten, gilt es nach wie vor Herausforderungen zu meistern. Der Bogen reicht
vom Mangel an Spenderorganen bis hin zu Problemen der langfristigen Immunsuppression.
Werner Albrich, Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St. Gallen
Bedeutung von
Pneu mokokken als
Krankheits erreger und
Risikofaktoren
Pneumokokken sind führende Erreger
von Pneumonien, akuter Otitis media,
Meningitis und Bakteriämien im Kindesalter.
Auch bei Erwachsenen verursachen
sie einen grossen Teil der Pneumonien
und Meningitiden mit hoher Morbidität
und Mortalität. Vor der Einführung der
Pneumokokkenimpfung im Kindesalter
zählte man alleine in den USA jährlich
schätzungsweise 3 000 Patienten mit Meningitis,
50 000 Patienten mit Bakteriämie,
500 000 Patienten mit Pneumonie
und 7 Millionen Kinder mit Otitis media
durch Pneumokokken [1]. Weltweit verursachten
Pneumokokkeninfektionen ca.
1,6 Millionen Todesfälle, v. a. bei Kindern
unter 5 Jahren [2].
Während die Kurve der Altersverteilung
von invasiven Pneumokokkenerkrankungen
(IPE; Meningitis, Bakteriämie, Sepsis,
Empyem) U-förmig verläuft mit den
höchsten Inzidenzen bei kleinen Kindern
und älteren Erwachsenen, weisen letztere
die höchste Mortalität auf. Die höchste
Krankheitslast bei Erwachsenen wird
durch in der Regel nicht bakteriämisch
verlaufende Pneumokokken-Pneumonien
hervorgerufen. Diese Risikofaktoren sind
ähnlich wie für andere bekapselte Bakterien
(s. Tabelle 1).
* Der Artikel erschien ursprünglich in der «Therapeutischen
Umschau» (2016; 73 (5): S. 235–240). MEDI-
SERVICE VSAO-Mitglieder können die «Therapeutische
Umschau» zu äusserst günstigen Konditionen abonnieren.
Details s. unter www.hogrefe.ch/downloads/vsao.
Impfstoffe und
Immunogenität
Seit mehr als 30 Jahren ist der 23-valente
Pneumokokken-Polysaccharidimpfstoff
(PPV23, Pneumovax®) erhältlich, der
gegen 23 der mehr als 90 Pneumokokken-
Serotypen gerichtet ist. Seine Wirksamkeit
ist vor allem gegen IPE bei immunkompetenten
Erwachsenen belegt und beträgt
gemäss einer Metaanalyse 74 %[3]. Gegen
nicht-bakteriämische Pneumokokken-
Pneumonien ist die Wirksamkeit weniger
klar, insbesondere ergaben Metaanalysen
keine Reduktion der Mortalität [3, 4].
Dazu kommt, dass die Schutzwirkung bei
Patienten mit zunehmendem Alter und
chronischen Erkrankungen deutlich vermindert
ist, obwohl genau diese Patientengruppe
das höchste Risiko für Pneumokokkeninfektionen
hat. Insgesamt
nimmt der Schutz bei Geimpften bereits
nach 2 Jahren deutlich ab [5]. Dieser
Impfstoff erzeugt keinen Herdenschutz
[5], kein immunologisches Gedächtnis
und es wurde gezeigt, dass nach wiederholter
Impfung die Impfantwort nachlässt
(«Hyporesponsiveness») [6]. Bei Kindern
unter 2 Jahren ist PPV23 aufgrund ihres
unreifen Immunsystems unwirksam.
Seit der Entwicklung der Pneumokokken-
Konjugatimpfstoffe (PCV) stehen nun
auch wirksame Impfstoffe für Kinder unter
2 Jahren zur Verfügung. Im Gegensatz
zu PPV23 erzeugen diese eine T-Zell-abhängige
Immunität. Sie reduzieren die
nasopharyngeale Kolonisation und damit
Zusammenfassung: Pneumokokken sind die wichtigsten bakteriellen Erreger
von Atemwegsinfektionen, Bakteriämien und Meningitis. Pneumokokken-Konjugatimpfstoffe
(PCV) bieten einen wirksamen und sicheren Schutz vor diesen Infektionen.
Nach PCV-Einführung kam es zu einer wesentlichen Reduktion von invasiven
Pneumokokkenerkrankungen (IPE), Pneumonie und Otitis media bei den geimpften
Altersgruppen sowie einer Abnahme von Antibiotikaresistenzen bei Pneumokokken.
Darüberhinaus wurde auch die nasopharyngeale Kolonisation und damit die Transmission
reduziert. Dies führte auch bei nicht-geimpften Altersgruppen, insbesondere
älteren Erwachsenen, zu einer massgeblichen Abnahme von IPE und Pneumonien
im Sinne eines Herdenschutzes. Kürzlich wurde gezeigt, dass der 13-valente PCV13
auch bei Erwachsenen wirksam und sicher ist. Er wird in der Schweiz altersunabhängig
für Patienten mit Risikofaktoren empfohlen.
Pneumococcal vaccination for children and adults
Abstract: Pneumococci are the leading bacterial causes of respiratory tract infections,
bacteremia and meningitis. Pneumococcal conjugate vaccines (PCV) are effective
and safe in young children. Their introduction led to significant reductions of invasive
pneumococcal disease (IPD), pneumonia, otitis media and antibiotic-resistant
pneumococcal infections. Beyond these effects in the vaccinated age groups, there
is a reduction in nasopharyngeal pneumococcal carriage and therefore in transmission.
This in turn led to marked reductions in IPD and pneumonia in non-vaccinated
age groups, particularly elderly adults as evidence of herd protection. Recently it
was shown that the 13-valent PCV13 is effective and safe in adults leading to the
age-independent recommendation of PCV13 in all persons with risk factors.
N o 3 juin 2018
VSAO JOURNAL ASMAC
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