150 Jahre Stift Olsberg
150 Jahre Stift Olsberg
150 Jahre Stift Olsberg
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Die Sicht der Kulturhistorischen Schule<br />
auf Fragen der Erziehung<br />
Margarethe Liebrand<br />
Was ist die «Kulturhistorische Schule» (KHS)?<br />
In dieser Forschungsrichtung arbeiten Psychologen, Hirnforscher und Pädagogen<br />
gemeinsam u.a. an Fragen des Lernens und der Entwicklung von Kindern. Im Unterschied<br />
zu allen anderen psychologischen Schulen wird davon ausgegangen, dass Menschen<br />
ihre Fähigkeiten entfalten, indem sie lernen mit dem Kulturgut, das ihr Leben<br />
prägt, umzugehen und es sich zu eigen zu machen. Für die KHS sind Kulturgüter «Mittler».<br />
Damit sind nicht nur das Wissen und Können sowie die Überzeugungen der jeweiligen<br />
Zeit gemeint, in der Menschen aufwachsen, sondern auch die Menschen selbst,<br />
die das Aufwachsen begleiten. Insofern setzt sich die KHS ebenfalls damit auseinander,<br />
dass und warum Eltern Erziehungsverantwortung zu übernehmen haben.<br />
Woher kommt die KHS? Welche Bedeutung hat sie heute?<br />
Lev Vygotskij hat diese psychologische Schule zusammen mit seinen Schülern Aleksej<br />
N. Leont’ev und Aleksandr R. Lurija um 1930 in Russland begründet. Diese Gruppe hat<br />
ein für die damalige Zeit ungewöhnliches Anliegen verbunden. Im Mittelpunkt ihres Interesses<br />
stand weniger die Erforschung des Gemeinschaftlichen und Gesellschaftlichen<br />
von Entwicklungsprozessen, als die der Entwicklung des einzelnen Menschen in einer<br />
Gemeinschaft. Ihr Wissen wurde dem Westen teilweise erst mit dem Fall des Eisernen<br />
Vorhanges in den 90er <strong>Jahre</strong>n nach und nach zugänglich. Heute gibt es weltweit Fachleute,<br />
die sich in der Vereinigung «International Cultural-historical Human Sciences»<br />
zusammengeschlossen haben. Sie verfolgen die Ideen und Erkenntnisse der Begründer<br />
weiter und versuchen sie auf heutige Probleme anzuwenden. In Finnland wird vor<br />
allen Dingen an Schulfragen gearbeitet, in Deutschland an Fragen der Medienproblematik,<br />
in den USA an entwicklungspsychologischen Problemen. In diesem Sinn ist die<br />
KHS «alt» und jung oder modern und bedeutungsvoll zugleich.<br />
In unserer Zeit fühlen sich viele Experten berufen, Eltern Hinweise zur Erziehung zu<br />
geben. An Ratgebern mangelt es nicht und auch das Wissen darüber, wie Erziehung<br />
auf Kinder wirkt, nimmt stetig zu. Ist die KHS eine weitere Stimme im vielstimmigen<br />
Chor dieser unterschiedlichen Expertenmeinungen?<br />
Man hört und liest viel Widersprüchliches über Erziehung. Nicht nur Eltern, auch professionellen<br />
Erziehern fällt es oft schwer, sich in dem Wirrwarr von Expertenstimmen zurecht zu<br />
87