Geschichte des Schiller-Gymnasiums Köln 1899 - 2010
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1968 und die Folgen<br />
Das Jahr begann atypisch. Im Frühjahr gewann der sechzehnjährige L.Strohn, Schüler <strong>des</strong> <strong>Schiller</strong>-<br />
<strong>Gymnasiums</strong>, einen deutschlandweiten Aufsatzwettbewerb zu dem Thema „Auf welche Weise kann<br />
die NATO dazu beitragen, einen dauerhaften Frieden in der Welt zu sichern?“. Der Wettbewerb wurde<br />
von der Deutschen Atlantischen Gesellschaft in Zusammenarbeit mit dem „Oberkommando der<br />
Alliierten Streitkräfte in Europa“ durchgeführt. Im Unterricht wäre ein solches Thema ein Jahr später<br />
kaum noch denkbar gewesen, da die NATO von vielen sog. „68-ern“ bald als vom US-<br />
Monopolkapitalismus gesteuertes kriegslüstern-imperialistisches Militärbündnis im Kampf gegen den<br />
fortschrittlichen und friedlichen Sozialismus gesehen wurde.<br />
Das <strong>Schiller</strong>-Gymnasium hat die Auswirkungen der „68-er Bewegung“ in besonderer Weise erlebt; die<br />
Mythen vom „roten Sumpf“, der „roten Chaosschule“ usw. beleben auf wunderbare Weise je<strong>des</strong><br />
Ehemaligentreffen, um dann in der einhelligen Klage zu enden, dass „heute ja nichts mehr los“ sei.<br />
Die Vorzeichen <strong>des</strong> damals neuen Denkens der „Achtundsechziger“ entdeckt man in den Schülerzeitungen<br />
bereits zwei Jahre zuvor. Man findet in der bisher erfolgreichsten Schülerzeitung der Schule<br />
(„team“, insgesamt 26 Hefte von 1966-1975) Artikel wie „Ist die BRD wirklich frei?“ und „Dylan und<br />
Mc Guire“ und „LSD“; dann liest man Artikel über die Herabsetzung <strong>des</strong> Volljährigkeitsalters, die<br />
Macht der Großunternehmen, Vietnam, Hippies, Godards Filme, auch einen seit Alice Schwarzer unvorstellbaren<br />
Test: „Mädchen“! Schon 1967 hatte es erstmalig einen Vortrag der Schulärztin über<br />
Sexualerziehung vor Eltern der Unter- und Mittelstufe gegeben; logischerweise beklagte man alsbald<br />
das distanzierte Verhältnis zum EvT-Gymnasium und die Geschlechtertrennung:<br />
„Das perfekte Beispiel einer aufgeschlossenen Sexualerziehung an<br />
bun<strong>des</strong>republikanischen Gymnasien bildet der Chemieraum. Aus<br />
technischen Gründen muss er von beiden Schulen gemeinsam<br />
benutzt werden. Dass man dank eines narrensicheren Stundenplans<br />
nicht mehr von den vorher dagewesenen Mädchen sieht als<br />
vielleicht einmal ein langes blon<strong>des</strong> Haar... braucht kaum noch<br />
extra erwähnt zu werden. Um die Bun<strong>des</strong>republik vor einer vielleicht<br />
katastrophalen Überbevölkerung zu schützen, hat man die<br />
Reagenzgläser und sonstigen Geräte, die für den Gebrauch durch<br />
Personen männlichen Geschlechtes gedacht sind, sorgfältig getrennt<br />
von denen für den Gebrauch <strong>des</strong> weiblichen Geschlechts.<br />
Sie werden in verschiedenen Schränken aufbewahrt. Ähnlich<br />
ergeht es den Säuren, Laugen und chemischen Elementen. Die<br />
Salzsäure in der Flasche mit schwarzem Etikett ist männlich, die in<br />
der mit rotem Etikett beklebte Flasche weiblich....“ (team 5)<br />
Koedukation und Kooperation sollten aber noch bis in die siebziger Jahre auf sich warten lassen.<br />
Dennoch spürte man seit Mitte der sechziger Jahre „the winds of change“ und es bildeten sich Gewohnheiten<br />
aus, die damals revolutionär wirkten, die Schule aber bis heute prägen. Ein 1968 erschienener<br />
Artikel von H. Mück (damals 12. Klasse, heute Chefredakteur, promovierter Jurist und<br />
Mediziner) verdeutlicht die anhaltende Aktualität bestimmter Prozesse. H Mück beobachtet zunächst<br />
klarsichtig „zwei feindliche Fronten“ in der Lehrerschaft: einerseits den „alten Pauker, <strong>des</strong>sen Absonderlichkeiten<br />
gerne persifliert werden“, andererseits den „modernen, aufgeschlossenen Lehrer, der<br />
durch ein Unterrichtsgespräch (sic!) den Schüler zwingt, sich seine eigene Meinung zu bilden und<br />
diese zu vertreten.“ Dann beschreibt er in eindrucksvoller Weise, was sich in kurzer Zeit geändert<br />
hat:<br />
„Nehmen wir nur rein hypothetisch an, ein Abiturient <strong>des</strong> Jahres 1967 würde das <strong>Schiller</strong>-<br />
Gymnasium nach einem Jahr Anwesenheit wieder einmal besuchen. Welche Veränderung<br />
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