?Initiative Berliner Sozialforum?. - Forschungsjournal Soziale ...
?Initiative Berliner Sozialforum?. - Forschungsjournal Soziale ...
?Initiative Berliner Sozialforum?. - Forschungsjournal Soziale ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
12<br />
schiedlichen ideologischen Positionen berufen.<br />
Wir erkennen also: Auch konservative und liberale<br />
Parteien legitimieren sich in erheblichem<br />
Maße durch soziale Gerechtigkeit; sie ist<br />
allerdings anders konturiert. Der Rekurs der<br />
SPD auf diese Grundrechte und den akademischen<br />
Gerechtigkeitsdiskurs garantiert keinesfalls<br />
die viel beschworene Anschlussfähigkeit<br />
des neuen Programms an die Traditionen und<br />
Identitäten der Partei.<br />
Es geht eben nicht um die Fortentwicklung<br />
des Gerechtigkeitsverständnisses an sich, sondern<br />
um die Fortschreibung der Gerechtigkeitsvorstellungen<br />
in der deutschen Sozialdemokratie<br />
in einer bestimmten historischen Situation.<br />
Man sollte also auch die ideengeschichtlichen<br />
Annäherungen an die Gerechtigkeit nutzen, die<br />
Gerechtigkeit im Zusammenhang mit komplexen,<br />
auf die Lebenswelt bezogenen Normengefügen<br />
für den Aufbau einer politischen Ordnung<br />
und für den Zusammenhalt von Teilpopulationen<br />
nutzen. Hier bietet sich vor allem der<br />
Rückgriff auf Theorien des ‚guten Lebens‘ und<br />
der Subsidiarität an. Theorien des ‚guten Lebens‘<br />
gehören zum Kernbestand der europäischen<br />
Geistesgeschichte. Sie setzen im Zeitalter<br />
der griechischen Polis ein und führen über das<br />
christliche Mittelalter bis in die Moderne, in der<br />
sie als Theorien über kleine und komplexe Gemeinwesen<br />
Verbindungen auch mit Gedanken<br />
des Gesellschaftsvertrags eingehen und sich<br />
dadurch von der Anbindung an ontologische<br />
und theologische Wertsysteme befreien. Gerechtigkeit<br />
erscheint in ihnen jeweils einem Kanon<br />
anderer Normen zugeordnet 9 und ist dabei<br />
zugleich auch immer mit dem in der gegenwärtigen<br />
Programmdebatte diskutierten Thema der<br />
Rechte und Pflichten des Einzelnen eng verknüpft.<br />
Ähnliches gilt für die Theorien zur Subsidiarität<br />
10 . Sie schärfen den Blick für Freiheitsund<br />
Verantwortungsspielräume von Teilbereichen,<br />
ermuntern zu einer konstruktiven Abgrenzung<br />
gegenüber anderen, potenziell konkurrierenden<br />
gesellschaftlichen Gruppen, und sie he-<br />
Gerd Mielke<br />
ben die Notwenigkeit aktiven Handelns hervor,<br />
ein Anliegen, das ja völlig zu Recht unter dem<br />
Stichwort der ‚Zivilgesellschaft‘ immer wieder<br />
auch die sozialdemokratischen Programmdiskussionen<br />
durchzieht. Beide Annäherungen<br />
machen übrigens auf eine Funktion des Programms<br />
aufmerksam, die bei den Programmdebatten<br />
der SPD in der Vergangenheit kaum eine<br />
Rolle spielte, nämlich die politische und kulturelle<br />
Integration der Gesellschaftsbereiche, für<br />
die überhaupt Politik gemacht werden soll. Hier<br />
konnte die SPD, wie auch andere Traditionsparteien<br />
in Deutschland, lange Zeit ein hohes<br />
Maß an sozio-kultureller Integration ihrer potenziellen<br />
Anhängerschaft voraussetzen, das sie<br />
für weite Bereiche der Programmatik – gewissermaßen<br />
selbstverständlich – empfänglich<br />
machte. Angesichts der Traditionslosigkeit vieler<br />
gegenwärtiger sozialer Gruppen und Milieus<br />
werden die programmatischen Debatten der<br />
Zukunft immer stärker auch die Funktion haben,<br />
die Anhängerschaft der SPD zu ‚erfinden‘<br />
11 . Insgesamt sollten also die theoretischen<br />
Annäherungen an die Gerechtigkeiten stärker<br />
als bisher ein breites Spektrum von Theorien<br />
als Steinbruch nutzen, die dem notwendigerweise<br />
partikularistischen Selbstverständnis der<br />
deutschen Sozialdemokratie Rechnung tragen.<br />
Dies bedeutet ausdrücklich nicht, eine Nationalisierung<br />
der Sozialdemokratie in einem Zeitalter<br />
der Globalisierung als Ziel der Debatte anzustreben;<br />
aber es wird entscheidend darauf ankommen,<br />
das neue Programm theoretisch<br />
zunächst an ‚principles‘(Walzer) und Erfahrungen<br />
anzuknüpfen, auf die sich die SPD, ihre<br />
Mitglieder und Anhänger – und dann auch die<br />
politischen Gegner – gemeinsam beziehen können.<br />
Neben den ideengeschichtlichen und theoretischen<br />
Annäherungen an die Gerechtigkeit,<br />
die sich auf die wissenschaftlichen Debatten der<br />
letzten Jahrzehnte beziehen, besteht ein wesentlicher<br />
Schritt bei der Erarbeitung eines neuen<br />
Gerechtigkeitsverständnisses für das kommen-