?Initiative Berliner Sozialforum?. - Forschungsjournal Soziale ...
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8<br />
macht, die in der Bundesrepublik über lange<br />
Jahrzehnte gewachsenen politischen Maßstäbe<br />
einer wohlfahrtsstaatlich abgesicherten, ‚sozialdemokratisierten‘<br />
Gesellschaft systematisch zu<br />
diffamieren und im Gegenzug das Leistungsund<br />
Wettbewerbsethos einer möglichst ungebremsten,<br />
individualisierten Marktgesellschaft<br />
zu popularisieren 5 . Dass die Bundesregierung<br />
diese überaus wuchtige sozialethische Flurbereinigung<br />
hin zu einem neuen ‚Reformschwung‘,<br />
die vor allem zunächst die wirtschafts-<br />
und sozialpolitischen Spielräume der<br />
Unternehmer erweitern wie auch die strategischen<br />
Wahlchancen eines dermaßen ‚ökonomisierten‘<br />
Bündnisses aus CDU/CSU und FDP<br />
erhöhen sollte, zur Absicherung der Agenda–<br />
Politik gegenüber traditionellen sozialdemokratischen<br />
Kritikern instrumentalisierte, gehört zu<br />
den ebenso skurrilen wie tragischen Aspekten<br />
der Regierungspolitik seit 1999.<br />
Schließlich erschwerte die Vetomacht der<br />
Opposition einen kritischen Diskurs der Reformpolitik<br />
unter Schröder und Müntefering im<br />
sozialdemokratischen Umfeld. Wesentliche Teile<br />
dieser Politik konnten nur durch intensive Mitwirkung<br />
der Unionsparteien im Bundesrat die<br />
parlamentarischen Hürden nehmen. Dabei wuchsen<br />
paradoxerweise die Einflussmöglichkeiten<br />
der Union in dem Maße, in dem die Agenda–<br />
Politik der SPD bei der eigenen Anhängerschaft<br />
auf Skepsis und Ablehnung stieß und zu Wahlniederlagen<br />
führte. So trat die neue sozialdemokratische<br />
Sicht auf die gesellschaftspolitischen<br />
Kernfragen gar nicht in Reinkultur zu Tage, sondern<br />
manifestierte sich stets nur mit erheblichen<br />
Beimischungen aus dem Arsenal der Opposition;<br />
diese Melange wurde aber dennoch als der<br />
gesellschaftspolitischen Weisheit letzter Schluss<br />
präsentiert und öffentlich tabuisiert.<br />
Mithin erfolgte die Transformation der deutschen<br />
Sozialdemokratie im Vergleich zu ihren<br />
europäischen Schwesterparteien nicht nur verspätet,<br />
sie ist überdies in Formen, unter Begleitumständen<br />
und mit politischen Festlegungen<br />
verlaufen, die der Partei flächendeckend Mehrheitspositionen<br />
in der Wählerschaft entzogen<br />
haben und vielen Mitgliedern und Aktivisten<br />
den von oben verfügten Kurswechsel als<br />
Marsch in den Abgrund erscheinen lassen. Vor<br />
diesem Hintergrund wird die ursprüngliche Vorstellung<br />
von einer Programmarbeit, die sich auf<br />
die Nachlieferung eines programmatischen bzw.<br />
theoretischen Rahmens für die Agenda–Politik<br />
beschränkt, schwerlich durchzuhalten sein. Sie<br />
gliche dem Auftrag zu einem Hochglanzprospekt<br />
für ein Fahrzeug, das sich bereits als fahruntauglich<br />
erwiesen hat. Damit wird jedoch die<br />
Arbeit an einem neuen Grundsatzprogramm<br />
potenziell aufgewertet. Sie kann sich nun ohne<br />
Vorgabenzwang der Frage widmen, wie denn<br />
eine sinnvolle Transformation der deutschen<br />
Sozialdemokratie ohne die Gefahren der Selbstzerstörung<br />
durch die bisherige Reformpolitik<br />
beschaffen sein müsste. Diese prinzipielle Option<br />
wieder eröffnet zu haben, ist das eigentliche<br />
Verdienst der Müntefering-Rede vom 13.<br />
April 2005. Dass dabei die Rede des SPD-Parteivorsitzenden<br />
– nolens volens – neben allen<br />
anderen denkbaren taktischen Kalkülen de facto<br />
eine deutliche kritische Spitze gegen die bisherige<br />
politische Linie der Bundesregierung<br />
enthielt, verweist auf die unterschiedlichen Handlungshorizonte<br />
von Müntefering und dem Bundeskanzler.<br />
Für den Parteivorsitzenden hat bei<br />
aller Loyalität zur sozialdemokratisch geführten<br />
Bundesregierung die Devise Vorrang: Es<br />
muss ein Leben auch nach 2006 geben 6 .<br />
3<br />
Gerd Mielke<br />
Die Erarbeitung eines tragfähigen Grundsatzprogramms<br />
ist sowohl vom Inhalt als auch vom<br />
Ablauf her ein äußerst komplizierter Prozess;<br />
ihn hier vorweg skizzieren zu wollen, wäre deshalb<br />
anmaßend. Allerdings lassen sich aus den<br />
bisherigen Diskussionsansätzen einige kritische<br />
Problemfelder benennen, auf die bei der weiteren<br />
Programmdebatte einzugehen sein wird.