Der Arztvertrag, insbesondere die Haftung des Arztes

102 WOLFGANG WIEGAND: Der Arztvertrag, insbesondere die Haftung des Arztes
geschuldete und gebotene Sorgfalt ist nach objektiven Massstäben zu beurteilen;
es geht mit anderen Worten nicht um die dem individuellen Arzt zumutbare
Sorgfalt, die ich als Problem des Verschuldens später behandeln werde.
Diese Differenzierung ist ausserordentlich wesentlich, man kann sie auch mit
anderen Begriffen umschreiben, etwa indem man von abstraktem und konkretem
oder objektivem und subjektivem Sorgfaltsmassstab spricht. Indessen
hat gerade die letzte Unterscheidung zu Verwirrungen geführt, und es wäre
sachdienlich, wenn man sich auf die hier vorgeschlagene Bezeichnung verständigen
würde. Jedenfalls aber ist zwischen der geschuldeten und gebotenen
Sorgfalt einerseits und der zumutbaren und konkret möglichen Sorgfalt
andererseits scharf zu unterscheiden. Diese Unterscheidung fällt aus Gründen,
auf die ich nochmals zurückkommen werde, nicht leicht, aber sie ist sowohl
für den Tatbestand der Verletzung selbst wie für die gewichtige Frage
der Beweislastverteilung von zentraler Bedeutung.
Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass eine Vertragsverletzung des
Arztes vorliegt, wenn er die gebotene und geschuldete Sorgfalt nicht beachtet.
Ein solcher Sorgfaltsverstoss kann sich auf zwei Pflichtenkreise beziehen, die
bei der Ermittlung des Vertragsinhalts bereits herausgearbeitet wurden 37 .
Einmal kann der Arzt unsorgfältig vorgehen wie jeder andere Schuldner
auch, indem er etwa aus Nachlässigkeit ein Gerät falsch bedient oder aus
Unachtsamkeit fehlerhafte Notizen in der Krankengeschichte anfertigt. Führt
er etwa die Krankengeschichte unvollkommen, so handelt es sich ebenfalls
noch um eine Pflichtverletzung, die sich auf die allgemeinen Pflichten eines
Schuldners bezieht, denn ihn trifft - wie oben dargelegt - eine Aufzeichnungspflicht
gemäss Art. 400 OR. Diese Pflichtverletzung liegt nun aber
schon an der Grenze zu der eigentlichen Problematik der Arzthaftung, nämlich
der Frage, wann der Arzt seine Pflicht durch medizinisch unsorgfältiges
Vorgehen und Verhalten verletzt.
b) Die Frage nach dem medizinisch «Richtigen»
Erst an diesem Punkt stellt sich die zentrale Frage, ob der Arzt in der gegebenen
Situation das medizinisch «Richtige» getan hat. Es liegt auf der Hand,
dass der Jurist mit dieser Fragestellung überfordert ist. Er kann nur die Massstäbe
umreissen, die zur Beantwortung der Frage herangezogen werden sollen,
während er die Antwort selbst dem sachverständigen Gutachter überlassen
muss. Das Bundesgericht hat in einer vielfach als richtungsweisend empfundenen
Entscheidung 38 diese Massstäbe folgendermassen zu konkretisieren
versucht: «Als Beauftragter haftet der Arzt für die gleiche Sorgfalt wie
J 'Siehe oben S.86f.
"Zitat aus Pra 1980 Nr. 135 = BGE 105 II 284ff.