100 Tage Regierung - Österreich Journal
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ÖSTERREICH JOURNAL NR. 70 / 31. 03. 2009<br />
Wissenschaft & Technik<br />
50<br />
„Diese Entwicklungsimpulse sind wichtig<br />
für die spätere Teamfähigkeit des Kindes“,<br />
erklärt die Wissenschafterin: „Sie wirken<br />
jedoch erst ab dem 18. Lebensmonat,<br />
wenn das Kind sozialkognitiv auch in der<br />
Lage ist, eine wirkliche Beziehung zu den<br />
mitspielenden Kindern einzugehen.“ Bis<br />
dahin sollte das Kind eine 1:3-Betreuung erhalten,<br />
über deren Finanzierbarkeit jedoch<br />
noch immer gestritten wird, obwohl dies europaweit<br />
von den verantwortlichen Verbänden<br />
gefordert werde, so die Expertin.<br />
Mutter-Kind-Bindung<br />
Neben der außerfamiliären Betreuung<br />
befasst sich Lieselotte Ahnert vor allem mit<br />
der Mutter-Kind-Bindung – einem System,<br />
dem die Natur eine spezielle Rolle zugewiesen<br />
hat. „Doch die Natur hat dieses System<br />
sehr offen und flexibel angelegt, damit auch<br />
andere Personen eingebunden werden können,<br />
damit das Kind auch ohne Mutter überlebensfähig<br />
sein kann.“ Im Rahmen ihrer<br />
Forschung zieht Lieselotte Ahnert Vergleiche<br />
zur Vater-Kind-Bindung oder zur Bindung<br />
zwischen Erzieherin und Kind, wobei<br />
deutlich zu sehen ist, daß die Mutter nicht<br />
durch eine Erzieherin austauschbar ist, da die<br />
Mutter-Kind-Bindung ein sehr spezielles und<br />
biologisch unterstütztes Muster aufweist.<br />
Insgesamt besteht in der Forschung zur<br />
Frühentwicklung und zu den Entwicklungsimpulsen<br />
des Kindes noch viel Nachholbedarf.<br />
„Für eine qualitativ hochwertige<br />
außerfamiliäre Betreuung ist es vor allem<br />
wichtig, die gegenseitige Einflußnahme von<br />
außerfamiliären und familiären Faktoren zu<br />
verstehen – denn darüber wissen wir noch<br />
relativ wenig“, resümiert Ahnert.<br />
Ahnert verglich im Rahmen eines Forschungsprojektes<br />
in Deutschland den <strong>Tage</strong>sablauf<br />
von Kleinkindern, die entweder nur<br />
zuhause von ihren Müttern oder zusätzlich in<br />
einer Krippe betreut wurden. Damit wurde<br />
das Zusammenwirken beider Betreuungssituationen<br />
untersucht. Sie kam zu dem<br />
Schluß, daß eine Außer-Haus-Betreuung der<br />
Bindung zwischen Mutter und Kind nicht<br />
notwendigerweise schadet: Denn Mütter, die<br />
ihre Kinder nur zuhause aufzogen, kümmerten<br />
sich zwar intensiver als es den Pädagoginnen<br />
in den Krippen möglich war. Umso<br />
mehr bemühten sich jedoch die berufstätigen<br />
Mütter, wenn sie die Kinder abholten.<br />
Foto: http://www.bilderbox.biz<br />
Kleinkinder sind bei einer Außer-Haus-Betreuung vor allem anfangs durch die tägliche<br />
Trennung einer hohen Streßbelastung ausgesetzt.<br />
»<strong>Österreich</strong> <strong>Journal</strong>« – http://www.oesterreichjournal.at<br />
Anfängliche Trennung<br />
bedeutet Streß für Kleinkinder<br />
Kleinkinder sind bei einer Außer-Haus-<br />
Betreuung vor allem anfangs durch die tägliche<br />
Trennung einer hohen Streßbelastung<br />
ausgesetzt. Die Entwicklungspsychologin<br />
konnte dies mit ihrem Team bereits in mehreren<br />
Forschungsstudien nachweisen, indem<br />
sie das Streßhormon Cortisol aus dem Speichel<br />
der Kinder analysieren ließ. In der Trennungsphase<br />
steigt der Cortisol-Pegel bei den<br />
Kindern deutlich an. Die Situation kann teilweise<br />
verbessert werden, wenn die Eingewöhnungsphase<br />
durch die Eltern begleitet<br />
wird.<br />
Wie hingegen Pädagoginnen ihre kleinen<br />
Schützlinge in ihren anfänglichen Bewältigungstechniken<br />
unterstützen können, untersucht<br />
Entwicklungspsychologin Ahnert im<br />
Rahmen einer Forschungskooperation mit<br />
Wilfried Datler, Bildungswissenschafter der<br />
Universität Wien. Gearbeitet wird mit innovativen<br />
Methoden, da sich Kleinkinder noch<br />
nicht ausreichend selbst mitteilen können.<br />
Unmittelbar nach dem Weggehen der Mütter<br />
werden Speichel-Proben gesammelt. Darüber<br />
hinaus werden Video-Aufnahmen der<br />
Kleinkinder ausgewertet. Diese geben darüber<br />
Aufschluss, ob die Kinder in eine negative<br />
Stimmung abrutschen oder die neue<br />
Situation positiv annehmen. Auch wird aufgezeichnet,<br />
ob sie sich dabei den PädagogInnen<br />
anvertrauen oder sich lieber einem<br />
Kind zuwenden oder sich gänzlich mit dem<br />
eigenen Lieblingsspielzeug ablenken.<br />
Lieselotte Ahnert<br />
… kam in jungen Jahren aus Thüringen nach<br />
Berlin und studierte Psychologie an der<br />
Humboldt-Universität, an der sie auch promovierte.<br />
Sie leitete über viele Jahre das<br />
„Interdisziplinäres Zentrum für Angewandte<br />
Sozialisationsforschung“ in Berlin. Ab 1996<br />
führten sie mehrere Forschungsaufenthalte<br />
in die USA nach Washington, Maryland und<br />
Minnesota. Lieselotte Ahnert erhielt 2004<br />
die Professur für Entwicklungspsychologie<br />
der Hochschule Magdeburg-Stendal, von<br />
2006 bis 2008 war sie Professorin für Entwicklungsförderung<br />
und Diagnostik der<br />
Universität zu Köln. Seit Oktober 2008 leitet<br />
sie den Arbeitsbereich Entwicklungspsychologie<br />
der Fakultät für Psychologie der Universität<br />
Wien. In dieser Funktion hat die Entwicklungspsychologin<br />
bereits Kontakte mit<br />
dem Institut für Familienforschung, dem<br />
Charlotte-Bühler-Institut für praxisorientierte<br />
Kleinkindforschung und dem Niederösterreichischen<br />
Hilfswerk aufgenommen. •<br />
http://www.univie.ac.at