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100 Tage Regierung - Österreich Journal

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ÖSTERREICH JOURNAL NR. 70 / 31. 03. 2009<br />

Kultur<br />

68<br />

© Mizuma Art Gallery<br />

durcheinandergebracht. Darstellungen und<br />

Geschichten, die einmal als schlechter oder<br />

sei es auch nur als harmloser Witz empfunden<br />

wurden, scheinen heute durch die Brille<br />

der Gegenwart vielen als Wegweiser oder<br />

gar als Wegbereiter der Katastrophe des<br />

größten Genozids in der Geschichte. Die Tatsache,<br />

daß wir verständlicherweise Geschichte<br />

durch den Spiegel der Schoa sehen und<br />

interpretieren, erschwert oft die korrekte<br />

Analyse der Geschichte „davor“. Es macht<br />

anscheinend auch ein „wertfreies“ Nachdenken<br />

über Mentalitäten, Gruppeneigenschaften<br />

und Typologien unmöglich. Stereotypische<br />

Darstellungen sind Kommunikationsmittel.<br />

Mit ihnen kann man sich an bestimmte<br />

Gruppen wenden, die das Stereotyp<br />

dekodieren und die mitgeteilte Botschaft<br />

verstehen. Positiv gesehen sind sie Kommunikationsmittel,<br />

die das Eigenbild der Gruppe<br />

stärken. Negativ gewertet sind sie Kommunikationsmittel,<br />

die andere Gruppen als<br />

Andere stigmatisieren. Gleich, in welche<br />

Stoßrichtung das Stereotyp geht, gleich, welches<br />

Erkenntnisziel es hat, es muß leicht<br />

dechiffrierbar sein, um zu funktionieren.<br />

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen,<br />

daß Stereotype regional und zeitlich gebunden<br />

sein können, daß bestimmte klischeehafte<br />

Vorstellungen nur in bestimmten Gesellschaften<br />

funktionieren können. Sie beruhen<br />

auf einem gesellschaftlichen Konsens, der in<br />

anderen Gesellschaften möglicherweise nicht<br />

gegeben ist. Wenn heute in Europa ein Plakat<br />

zu sehen wäre, das in Bild und Text vor<br />

Harakiri School Girls; Makoto Aida, Tokio, 2007, Druck auf Transparentfolie, Acryl,<br />

Leihgabe des Künstlers<br />

beibringen, die – bei genauem, „wertfreiem“<br />

Betrachten – deutlich machen, daß wir weniger<br />

sehen, was wir sehen, sondern daß wir<br />

vielmehr sehen, was wir sehen wollen, was<br />

wir zu kennen und daher auch wiederzuerkennen<br />

glauben. Denn bei der Interpretation<br />

dessen, was wir sehen, greifen wir auf einen<br />

bewußten wie auch unbewußten Wissensfundus<br />

zurück, der das Erkennen des Bildes<br />

oder des Objektes erst ermöglicht.<br />

So ist bei vielen Objekten und Darstellungen<br />

ihre Einordnung in eine Antisemitica-Sammlung<br />

wie die Sammlung Schlaff<br />

des Jüdischen Museums Wien mehr als fragwürdig,<br />

bilden diese doch oft ganz wertfrei<br />

Juden ab: Karikaturen von bekannten Persönlichkeiten,<br />

Portraits und Genre-Darstellungen,<br />

teils einfach nur albern, oft verletzend<br />

überzeichnet, oft aber auch ganz „neutral“,<br />

manchmal selbstironisch den stereotypen<br />

jüdischen Witz über sich selbst visualisierend.<br />

Die Frage nach der Urheberschaft<br />

der Kennzeichnung als „antisemitisch“ in<br />

einem solchen Sammlungsbestand führt zur<br />

Frage, wer diese Zuschreibungen vergibt.<br />

Sind es nicht letztlich wir selbst, d.h. die<br />

BetrachterInnen, die SammlerInnen, die MuseumskuratorInnen?<br />

Die Erfahrung der Schoa<br />

hat das ethische Koordinatensystem bezüglich<br />

der gegenwärtigen oder historischen<br />

Bewertung alles „Jüdischen“, alles für, von<br />

und über Juden Hervorgebrachten völlig<br />

Tollarno Galleries, Melbuourne<br />

Sexy and Dangerous, Brook Andrew,<br />

Sydney, 1996, Digitales Foto auf Duraclear,<br />

Acryl, Leihgabe des Künstlers<br />

»<strong>Österreich</strong> <strong>Journal</strong>« – http://www.oesterreichjournal.at

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