100 Tage Regierung - Österreich Journal
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ÖSTERREICH JOURNAL NR. 70 / 31. 03. 2009<br />
Kultur<br />
57<br />
Die weitere Entwicklung der Bibliothek<br />
seit dem 19. Jahrhundert ist gekennzeichnet<br />
durch die Gründung der einzelnen Sammlungen,<br />
um die bessere Verwaltung und wissenschaftliche<br />
Bearbeitung einzelner Bestandsgruppen<br />
wie Papyri, Handschriften,<br />
Karten, Musikalien, Porträts und Drucken zu<br />
gewährleisten.<br />
1848 | Zeit der Lektüre<br />
Die im Lauf der Geschichte sich verändernde<br />
Bedeutung von Bibliotheken steht<br />
stets in engem Zusammenhang mit der gesellschaftlichen<br />
und politischen Entwicklung<br />
eines Landes. Dies gilt natürlich insbesondere<br />
für das Revolutionsjahr 1848. Als<br />
Windischgrätz am 31. Oktober 1848 mit den<br />
kaiserlichen Truppen die Beschießung der<br />
Stadt begann, brannte die Hofburg und die<br />
Bibliothek befand sich in höchster Gefahr.<br />
Zahlreiche Bände mußten von jenen Hofbibliotheksindividuen,<br />
die in Wien geblieben<br />
waren, verlagert werden, um unersetzliche<br />
Verluste zu vermeiden.<br />
Nach der Niederschlagung der Revolution<br />
und der Thronbesteigung Kaiser Franz<br />
Josephs I. am 2. Dezember 1848 war die<br />
Wiedereröffnung des Lesebetriebs in der Hofbibliothek<br />
eine politische Notwendigkeit.<br />
Mit Joseph von Karabacek, Orientalist,<br />
Papyrologe und Numismatiker, der über 18<br />
Jahre bahnbrechende Neuerungen durchsetzen<br />
konnte, gelang 1899 der Erwerb der bedeutenden<br />
Papyrussammlung Erzherzog<br />
Rainers, die den Grundstein für das heute<br />
weltweit renommierte Papyrusmuseum und<br />
die Papyrussammlung der <strong>Österreich</strong>ischen<br />
Nationalbibliothek bildete.<br />
1920 | Die Hofbibliothek<br />
wird Nationalbibliothek<br />
Durch die Kriegswirren des Ersten Weltkrieges<br />
wurden die Arbeiten an der Hofbibliothek<br />
empfindlich erschwert, die Lesesäle<br />
mußten zeitweise geschlossen werden,<br />
Ankäufe konnten nicht mehr getätigt werden,<br />
Personal fehlte, da es zum Militärdienst<br />
einberufen worden war. Trotzdem konnte<br />
Direktor Karabacek wichtige bauliche und<br />
strukturelle Maßnahmen umsetzen, neue<br />
Magazine schaffen und mitten im Krieg, im<br />
April 1916, sogar noch eine große Prunksaal-Ausstellung<br />
zum Thema Buchkunst<br />
eröffnen.<br />
1918 ging mit dem alten <strong>Österreich</strong> auch<br />
ein Teil europäischer Geschichte zu Ende,<br />
und während man auf den Pariser Friedenskonferenzen<br />
versuchte, die politischen Grundlagen<br />
für ein „Neues Europa“ zu schaffen,<br />
Foto: <strong>Österreich</strong> <strong>Journal</strong>/Michael Mössmer<br />
Insgesamt werden im Prunksaal etwa 200.000 Bücher, datierend vom 16. bis zum<br />
19. Jahrhundert, aufbewahrt.<br />
ging es in Wien um die Neuordnung der<br />
staatlichen Sammlungen und im höheren<br />
Sinne und jenseits aller rechtlichen Fragen,<br />
die einer Klärung bedurften, um die demokratische<br />
Aneignung des kulturellen Erbes.<br />
Die Hofbibliothek führte seit 1920 den Namen<br />
„Nationalbibliothek“, dies sollte ihrem<br />
„Wesen“ und „Charakter“ am besten entsprechen,<br />
wobei „andererseits durch diesen<br />
Namen jeder staatsrechtliche Hinweis vermieden<br />
und lediglich die Zugehörigkeit zur<br />
Allgemeinheit ausgedrückt“ werden sollte.<br />
Nach dem Ende der Monarchie suchte<br />
man die nationale Identität nicht in <strong>Österreich</strong>,<br />
sondern in Deutschland. Es ist bezeichnend,<br />
daß man in der Sammlungspolitik<br />
mit den mittel- und osteuropäischen<br />
Ländern sich in der Zwischenkriegszeit auf<br />
die deutschen Publikationen konzentrieren<br />
»<strong>Österreich</strong> <strong>Journal</strong>« – http://www.oesterreichjournal.at<br />
wollte und damit im Grunde vollkommen<br />
gegen die Tradition und die Bestände der<br />
Nationalbibliothek des Kaisertums agierte.<br />
1938 | Die Nationalbibliothek<br />
in der NS-Zeit<br />
Mit dem Anschluß <strong>Österreich</strong>s an Hitler-<br />
Deutschland am 12. März 1938 beginnt eines<br />
der dunkelsten und unrühmlichsten Kapitel<br />
in der Geschichte der <strong>Österreich</strong>schen Nationalbibliothek.<br />
Paul Heigl, ein überzeugter<br />
Nationalsozialist der ersten Stunde und SS-<br />
Mitglied höheren Ranges, wurde bereits am<br />
16. März 1938 vom Reichsstatthalter mit der<br />
kommissarischen Leitung der Nationalbibliothek<br />
(NB) beauftragt, sein Vorgänger<br />
Josef Bick gleichzeitig inhaftiert. Heigl leitete<br />
das Haus bis zu seinem Selbstmord im<br />
April 1945. Seine guten Beziehungen zu