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100 Tage Regierung - Österreich Journal

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ÖSTERREICH JOURNAL NR. 70 / 31. 03. 2009<br />

Kultur<br />

69<br />

dem „Nigger Jew“ warnt, so könnten wohl<br />

die wenigsten Betrachter irgendetwas mit<br />

dieser Botschaft anfangen. Anders in den<br />

USA, wo weiße Suprematisten Juden und<br />

Farbige als kombinierte Gefahr diffamieren.<br />

Doch greifen wir auf unser Vorstellungsarsenal<br />

nicht nur zurück, wenn vom Anderen,<br />

vom Fremden die Rede ist. Traditionelle<br />

Bilder, Symbole und Metaphern spielen<br />

auch in der Eigenwahrnehmung eine feste<br />

Rolle. Die selbstdefinitorischen Bilder müssen<br />

den von außen zugeschriebenen Stereotypen<br />

nicht unbedingt widersprechen, vor<br />

allem natürlich dort nicht, wo sie vorgeblich<br />

positive Stereotype sind. Doch auch negative<br />

Stereotype finden sich in den Binnenperspektiven<br />

wieder, sei es, weil sie unreflektiert<br />

in den eigenen Bilderkanon übernommen<br />

oder weil sie als Stereotype erkannt und<br />

bearbeitet werden sollen. Deshalb werden in<br />

der Ausstellung auch antisemitische Fremddarstellungen<br />

stereotypen Darstellungen von<br />

Juden für Juden gegenübergestellt. Eigenund<br />

Fremdstereotypien beziehen sich auf<br />

Nationen, Ethnien, soziale Gruppen, Religionsgemeinschaften<br />

etc. und fungieren als<br />

Identifikationsangebote, „gleich“ bzw. „anders“<br />

zu sein. Stereotype können dabei gesellschaftliche<br />

Aggression ebenso befördern<br />

wie den prosozialen Zusammenhalt von<br />

Gruppen unterschiedlicher Art und Größe:<br />

von der Familie zur Heimatstadt, von der<br />

Nation zum übernationalen Verbund.<br />

Da rassistische Theorien und Thesen von<br />

pseudowissenschaftlichen, aber auch von<br />

ernst genommenen Wissenschaftlern immer<br />

unterstützt wurden, geht die Ausstellung im<br />

besonderen auch auf anthropologische und<br />

biologistische Stereotype ein. Viele dieser<br />

Stereotype wurzeln in kolonialem Bemächtigungsstreben,<br />

das die Welt nicht nur politisch,<br />

wirtschaftlich und strategisch, sondern<br />

auch kulturell und „zivilisatorisch“ in den<br />

Griff bekommen wollte. Andere dienten zur<br />

Legitimierung der Sklaverei oder gehen darauf<br />

zurück, daß „vor allem von weißen Männern<br />

die reine körperliche Überlegenheit von<br />

Rassen, die allgemein als minderwertig galten,<br />

als psychische Kränkung empfunden<br />

und deshalb verdrängt und überkompensiert“<br />

wurde. Rassistisch-biologistischer<br />

Forscherdrang mündete schließlich im hemmungslosen<br />

Sammeln von Daten und Materialien,<br />

wie dies beispielsweise der damalige<br />

Leiter der anthropologischen Abteilung<br />

des Naturhistorischen Museums Wien, Josef<br />

Wastl, betrieb. Er sammelte die in der Ausstellung<br />

virtuell präsentierten Haare jüdischer<br />

Inhaftierter und Kriegsgefangener ebenso<br />

Foto: Jens Ziehe<br />

leidenschaftlich wie anatomisch präparierte<br />

„Judenschädel“ ermordeter KZ-Häftlinge.<br />

Dass das Erkenntnisziel, welches der Beleg<br />

für die stereotype Idee sein sollte, die Erkenntnismittel<br />

heiligte, spielte ebenso wenig<br />

eine Rolle wie das Forschungsergebnis: Es<br />

gab keines. Daran hat sich auch in der Zeit<br />

nach dem Nationalsozialismus wenig geändert.<br />

Das Sammeln und Beforschen biologischer<br />

und genetischer Daten wird mehr denn<br />

Historisches Werbeplakat, BPK, Corbis, DHM, AKG<br />

Buchstütze Marcel Reich-Ranicki<br />

Gerd Bauer, Rudi Sopper, Deutschland,<br />

vor 1999, Hersteller: Engelskinder<br />

Gummi-Mischung, Acrylfarbe<br />

»<strong>Österreich</strong> <strong>Journal</strong>« – http://www.oesterreichjournal.at<br />

je betrieben, verteidigt von jenen, die glauben,<br />

der menschlichen Gesundheit und dem<br />

menschlichen Fortschritt damit zu dienen –<br />

mißtrauisch verfolgt von jenen, die neue<br />

Varianten biologistischer Ausdifferenzierungen<br />

zwecks Erhärtung unserer stereotypen<br />

Vorurteile vermuten.<br />

„typisch! Klischees von Juden und Anderen“<br />

soll zum genauen Hinschauen und zum<br />

Nachdenken über Klischees vom Eigenen<br />

und vom Anderen anregen, über unsere Annahme<br />

von diesen Klischees und über unser<br />

aller Weitergabe von unseren eigenen Vorurteilen.<br />

Dabei zielt die Ausstellung keinesfalls<br />

auf die Nivellierung nationaler, religiöser,<br />

ethnischer oder kultureller Unterschiede<br />

ab. Sie wendet sich gegen das falsche Abbilden<br />

und das falsche Ansehen des Anderen.<br />

„typisch! Klischees von Juden und Anderen“<br />

ist von 1. April bis 11. Oktober 2009<br />

im Jüdischen Museum Wien (A-1010 Wien,<br />

Dorotheergasse 11) zu sehen. Das zu den Kulturbetrieben<br />

der Wien Holding zählende Museum<br />

ist von Sonntag bis Freitag von 10 bis<br />

18 Uhr geöffnet. Eintritt: € 6,50 / € 4,– ermässigt.<br />

Schulklassen haben freien Eintritt, Führungen<br />

und pädagogische Programme:<br />

kids.school@jmw.at. Die Ausstellung wird<br />

von einem umfangreichen, reich illustrierten<br />

Katalog (ISBN: 978-3-89479-479-8) begleitet,<br />

der im Nicolai Verlag erschienen und<br />

zum Preis von € 24,90 erhältlich ist. •<br />

http://www.jmw.at

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