100 Tage Regierung - Österreich Journal
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ÖSTERREICH JOURNAL NR. 70 / 31. 03. 2009<br />
Kultur<br />
67<br />
sismus als „Konstruktion des Anderen nach<br />
eigenen Wünschen und Vorstellungen“ sind,<br />
wie es der Afrikanist Walter Schicho formulierte,<br />
werden in der Ausstellung durchwegs<br />
Parallelen aufgezeigt. So kommen auch Stereotype<br />
von Native Americans, African<br />
Americans, Aborigines etc. vor. Diese weder<br />
systematisch erfaßten noch umfassenden<br />
Parallelen sollen sowohl zeigen, dass jüdische<br />
und antijüdische Stereotype keine Ausnahmeerscheinungen<br />
sind, als auch den Besucher<br />
für das Thema Stereotyp, Fremdbild<br />
und Vorurteil in einem globaleren Sinne sensibilisieren.<br />
Besonders mit der Einbeziehung<br />
antiislamischer Stereotype wird auf die<br />
Aktualität allen Klischeedenkens verwiesen<br />
und einmal mehr verdeutlicht, inwieweit wir<br />
sowohl in historisch gewachsenen als auch<br />
in tagespolitisch motivierten Vorurteilen gefangen<br />
sind.<br />
Stereotype als Thema<br />
einer Ausstellung<br />
Wie kann man Objekte, die den Anderen<br />
eindeutig stereotypisieren, ausstellen, ohne<br />
Gefahr zu laufen, damit bereits vorhandene<br />
Vorurteile zu bestätigen? Dem ist mit differenzierten<br />
Gegenfragen zu begegnen: Wer<br />
Foto: David Peters<br />
Keramik-Spardose (England, ca.<br />
1870), Jüdisches Museum Wien,<br />
Sammlung Schlaff<br />
definiert ein Objekt, auf dem in irgendeiner<br />
Form ein Mensch zu sehen ist, als antisemitisch,<br />
weil dieser Mensch vielleicht eine<br />
große Nase hat? Doch nur derjenige, der<br />
meint zu wissen, daß alle Juden große Nasen<br />
hätten. Und wer definiert ein Objekt, das<br />
einen Menschen mit einem Bauchladen<br />
zeigt, als antisemitisch? Doch nur derjenige,<br />
der meint zu wissen, daß alle Juden Hausierer<br />
seien. Und wer definiert ein Objekt,<br />
das einen Menschen mit einem Geldbeutel<br />
zeigt, als antisemitisch? Doch nur derjenige,<br />
der meint zu wissen, daß alle Juden Wucherer<br />
seien. Und wer definiert ein Objekt, das<br />
einen oder mehrere übergewichtige, dicke<br />
Zigarren rauchende Menschen darstellt, die<br />
miteinander flüstern, als antisemitisch?<br />
Doch nur derjenige, der meint zu wissen,<br />
daß alle Juden Kapitalisten seien. Die Fragen<br />
lassen sich fortführen mit den stereotypen<br />
Vorstellungen von jüdischen Kommunisten,<br />
Weltverschwörern, Mädchenverführern<br />
etc., etc. Der Vorrat an Vorurteilen ist<br />
nahezu unerschöpflich, beinhaltet er doch<br />
nicht nur ideologische Stereotype, sondern<br />
auch solche, die sich auf Charakter, Mentalität<br />
und Körper beziehen. Doch für all die<br />
angeführten Beispiele lassen sich Objekte<br />
Foto: Jens Ziehe<br />
Hatschi Bratschis Luftballon. Eine Dichtung für Kinder. Franz Karl Ginzkey, Erwin Tintner (1885-1957), Rikola Verlag Wien 1922<br />
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