100 Tage Regierung - Österreich Journal
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ÖSTERREICH JOURNAL NR. 70 / 31. 03. 2009<br />
Kultur<br />
typisch! Klischees<br />
von Juden und Anderen.<br />
Ausstellung im Jüdischen Museum Wien von 1. April bis 11. Oktober 2009<br />
66<br />
»Dummes Zeug kann man viel reden, / Kann es auch schreiben, / Wird weder Leib noch<br />
Seele töten, / Es wird alles beim Alten bleiben. / Dummes aber, vors Auge gestellt, / Hat<br />
ein magisches Recht: / Weil es die Sinne gefesselt hält, / Bleibt der Geist ein Knecht.«<br />
Johann Wolfgang von Goethe, Zahme Xenien, II<br />
Von 1. April bis 11. Oktober 2009 zeigt<br />
das Jüdische Museum Wien die Ausstellung<br />
„typisch! Klischees von Juden und<br />
Anderen“, die gemeinsam mit dem Jüdischen<br />
Museum Berlin erarbeitet wurde. Dabei wird<br />
der Besucher mit den verschiedensten Klischees<br />
und Stereotypen des Alltags konfrontiert.<br />
„typisch! Klischees von Juden und<br />
Anderen“ ist eine Ausstellung über das Sehen,<br />
die Wahrnehmung, Ordnung und Zuordnung<br />
von Bildern und Dingen vom Fremden<br />
und vom Eigenen. Sie zeigt Gegenstände,<br />
Bilder, Fotografien und audiovisuelle Objekte,<br />
die Menschen darstellen oder etwas über<br />
Menschen aussagen sollen. Das heißt, sie beschäftigt<br />
sich mit Stereotypen. Stereotype<br />
entstehen im allgemeinen aus der Unkenntnis<br />
und der Angst vor dem Anderen, aus Unvorstellbarkeiten,<br />
Unerklärlichkeiten, Unverständlichkeiten,<br />
kurz: aus Furcht vor dem<br />
Nicht-Eigenen und in Abgrenzung zum<br />
Nicht-Eigenen. Stereotype helfen, die Welt<br />
zu ordnen, sich selbst zu verorten, den Anderen<br />
einzuordnen. Positiv genutzt sind sie<br />
Hilfsmittel zur Charakterisierung des Anderen<br />
im Prozess der Positionierung des Selbst.<br />
Negativ genutzt sind sie Hilfsmittel zur Dämonisierung<br />
des Anderen im Prozeß der<br />
Überhöhung des Selbst. Vor diesem Hintergrund<br />
stellt die Ausstellung „typisch!“ zur<br />
Diskussion, wie sich Darstellungen typisierender<br />
Motive aus der bildenden Kunst zu<br />
Objekten aus der Trivialkunst verhalten und<br />
konfrontiert sie mit Arbeiten, die durch das<br />
Herausarbeiten von Paradoxien oder mit kritischer<br />
Ironie das Klischee in Frage stellen.<br />
Stereotype bewegen sich in der Ambivalenz<br />
zwischen der Notwendigkeit zur Klassifizierung<br />
und Einordnung von Eindrücken<br />
aus der Umwelt und dem Bedürfnis urteilender<br />
Kontrolle. Die Ausstellung will auch Auswege<br />
zeigen, Möglichkeiten, die Klassifikation<br />
und Zuschreibung ins Gegenteil zu<br />
verkehren. Denn so wie das Stereotyp nicht<br />
nur ein oktroyiertes, eine von außen wie<br />
auch immer gestaltete oder formulierte<br />
Foto: Jens Ziehe<br />
»<strong>Österreich</strong> <strong>Journal</strong>« – http://www.oesterreichjournal.at<br />
Klassifizierung ist, so ist das Stereotyp auch<br />
eine Eigendefinition, ein Binnenbild vom<br />
Selbst, entstanden um sich seiner als prägnant<br />
angenommenen Charakteristika selbst<br />
zu versichern oder aber auch als Reaktion<br />
auf das Fremdbild. Und beide Stereotype,<br />
das von außen sowie das von innen geprägte,<br />
werden in zunehmendem Maße immer<br />
wieder von Mitgliedern der Gruppe hinterfragt.<br />
Diese Hinterfragung erfolgt auf subversive<br />
Weise, indem das jeweilige Stereotyp<br />
radikal überzogen oder durch ein Gegenstereotyp<br />
konterkariert wird. In vielen Fällen<br />
kann sich aber auch die Subversion nicht<br />
vom Vorwurf der Überlieferung von Stereotypen<br />
freisprechen; sie verhilft lediglich, den<br />
Sachverhalt anders zu bewerten.<br />
Wie der Titel schon verrät, beschäftigt<br />
sich die Ausstellung „typisch! Klischees von<br />
Juden und Anderen“ nicht nur mit antisemitischen<br />
Vorurteilen. Da Antisemitismus und<br />
Philosemitismus nur eine Facette von Ras-<br />
Der Giftpilz: ein Stürmerbuch für Jung und Alt; Ernst Ludwig Hiemer (1900-1974),<br />
Verlag Der Stürmer, Nürnberg, 1938, Jüdisches Museum Wien, Sammlung Schlaff