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Wirtschaftswoche Ausgabe vom 13.10.2014 (Vorschau)

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ILLUSTRATIONEN: CHRIS GASH<br />

das, was er (nicht) besitzt, immer auch von allen anderen (nicht)<br />

besessen wird. Der kontrollierte Bankrott wird dadurch gleichsam<br />

mitlaufend zur Institution der neuen Scheinwirtschaft, die aufgeschobene<br />

Insolvenz zu ihrer Grundlage – und die systematische<br />

Verschuldung zu ihrem Credo.<br />

DAS GELD UND SEINE VIELEN SPRÖSSLINGE...<br />

Keiner hat das früher und besser verstanden als Benjamin Franklin<br />

(1706–1790), das amerikanische Universalgenie. Für ihn ist<br />

Geld kein bond, der Geschäftsbeziehungen regelt, sondern<br />

bound for the future, immer unterwegs, um sich zu vervielfältigen.<br />

Geld, so Franklin, will im Kapitalismus angelegt sein und investiert<br />

werden, es will „arbeiten“ und sich vermehren; es ist eingesetzt<br />

oder nicht, verwendet oder verschwendet, nie das, was es ist,<br />

sondern immer sein mögliches Mehr: Produkt, Potenz und Projekt<br />

seiner selbst, zugleich Modus, Motor und Ziel des kapitalistischen<br />

Wirtschaftens. „Geld kann Geld erzeugen, und die Sprösslinge<br />

können noch mehr erzeugen<br />

und so fort“, schreibt Franklin. Ein<br />

Kapitalist hat es daher immer mit<br />

mobilisiertem Geld zu tun, mit seiner<br />

Anreicherung und seiner Wiederaufbereitung<br />

– mit der Folge, dass kapitalistisches<br />

Geld nicht nur laufend<br />

mehr Geld und Güter produziert,<br />

sondern gleichsam mitlaufend den<br />

Sachzwang, sich und die Güter im<br />

Dauermodus der Vermehrung bearbeiten,<br />

also immer mehr Geld und<br />

Güter produzieren zu müssen...<br />

Joseph Schumpeter hat die Marktharmonielehre<br />

und das Gleichgewichtsdenken<br />

der klassischen Nationalökonomie<br />

– Adam Smiths „unsichtbare<br />

Hand“ – daher schon vor<br />

mehr als 100 Jahren auf den Müllhaufen<br />

der Theoriegeschichte geworfen.<br />

Für Schumpeter war Kapitalismus ein<br />

dynamischer, unabschließbarer Prozess,<br />

der uns in eine Art dauernde Zukunft<br />

expediert, eine evolutionäre<br />

Entwicklung ohne Endpunkt, ein<br />

Fortschritt ohne Ziel. Er war von der<br />

unerschöpflichen Energie der „kapitalistischen<br />

Maschine“ überzeugt,<br />

<strong>vom</strong> „ewigen Sturm“ des wirtschaftlichen Wandels, von einer Welt,<br />

in der ständig was Neues wird und wächst und wuchert. Das Geld<br />

war für Schumpeter – neben dem Erfindergeist der Unternehmer –<br />

der Treibstoff dieses wirtschaftlichen Wandels – und natürlich hatte<br />

Schumpeter nichts dagegen, diesen Wandel mit leistungsfördernden<br />

Additiven zu versehen. Aber wie ließ sich der Prozess der<br />

„kreativen Zerstörung“ beschleunigen? Nun –<br />

ganz einfach dadurch, dass man ihn nicht mit<br />

akkumuliertem Vermögen (Kapital) befeuert<br />

wie in den frühen Tagen der Industriellen Revolution,<br />

sondern mit geschöpften Versprechen<br />

(Krediten). Kapitalismus, so Schumpeter, ist<br />

Kreditismus. Neue Firmen schaffen neue Werte<br />

mit neuem Geld – die nachindustrielle Revolution<br />

besteht darin, dass sie das Morgen immer<br />

{ }<br />

Im Kreditismus sind<br />

Schulden ein<br />

Rucksack voll Luft<br />

Auszug aus einem<br />

Beitrag für den<br />

Sammelband<br />

„Bonds“, Herausgeber<br />

Thomas<br />

Macho, Verlag<br />

Wilhelm Fink,<br />

49,90 Euro.<br />

schon heute mit Geld erreicht, das sie der Zukunft entlehnt. Der<br />

Unternehmer schafft Produkte, der Bankier produziert Kaufkraft,<br />

so ist die Arbeitsteilung – und beide zusammen schaffen Dynamik,<br />

Instabilität, fortschreitende Umwälzung, dauernde Innovation.<br />

Von welchem Geld also sprechen wir heute, im Kreditismus der<br />

Moderne? Offenbar nicht von Shylocks Geld, das verantwortlich<br />

bearbeitet, sondern von Geld, das destilliert wird aus der heißen<br />

Luft einer Schuldverschreibung. Es ist Geld, mit dem der Staat und<br />

die Banken die strahlende Zukunft der Menschheit mitten hinein<br />

in die Gegenwart zaubern, um exakt die Progression des Sozialprodukts,<br />

der Einkommen und der Geschäftsgewinne herbeizuführen,<br />

die zur beizeitigen Begleichung der Schulden einmal erforderlich<br />

sein werden. Daran ist zunächst nichts auszusetzen: Kreditgeld<br />

ist ein Wachstumsbeschleuniger und Wohlstandsmotor – und<br />

solange es einen angemessenen Preis hat, stärkt es nicht nur das<br />

vertragliche Band zwischen Gläubiger und Schuldner, sondern<br />

kann auch die Prosperität einer Gesellschaft mehren. Im Unterschied<br />

zum Kapital, das die Geldquellen<br />

der Gegenwart anzapft, lassen<br />

Kredite Kaufkraft aus einer imaginierten<br />

Zukunft fließen. Mit der<br />

Investition von Geld, das sie noch<br />

nicht besitzt und erst morgen zurückzahlen<br />

wird, begrünt die<br />

Menschheit das Hier und Heute –<br />

das ist Schumpeters Gedanke.<br />

Doch sein Kreditismus ist nur so<br />

lange fruchtbar, wie die Emission<br />

des Geldes gedeckt ist – und Darlehen<br />

nicht nur eine verheißungsvolle<br />

Zukunft versprechen, sondern<br />

auch das Versprechen der Schuldner<br />

einschließen, die vergegenwärtigte<br />

Zukunft mit der Tilgung der<br />

Schuld beizeiten wieder einzuholen.<br />

Davon kann keine Rede mehr<br />

sein. Seit die Notenbanken den Geschäftsbanken<br />

unbegrenzt viel Anti-Geld<br />

zur Verfügung stellen und<br />

Geschäftsbanken immer weniger<br />

Eigenkapital vorhalten müssen, um<br />

ihrerseits frisches Anti-Geld zu<br />

schöpfen, dreht sich die Schuldenspirale<br />

mit beängstigender<br />

Zwangsläufigkeit ins Unendliche.<br />

Entsprechend besteht moderne Regierungskunst heute nicht<br />

mehr auf der Abtragung von Schulden, sondern auf ihrer permanenten<br />

Verzeitlichung, auf der Vermehrung ins Unendliche verlängerbarer<br />

Schulden – und auf der zunehmend heiklen Stabilisierung<br />

dieses Schuldzusammenhangs. Anders gesagt: Das Geld<br />

des modernen Kreditismus ist der exakte Ausdruck dessen, der<br />

Staaten und Banken zu nichts mehr verpflichtet.<br />

Es symbolisiert keinen Vertrag und<br />

entbindet auch keine Kräfte mehr. Stattdessen<br />

stottert es nur noch eine Gegenwart ab,<br />

die ihre künftigen Potenziale schon verbracht<br />

hat – wenigstens so lange, bis es sich<br />

in das auflösen wird, was es seiner Herkunft<br />

nach ist: Luft.<br />

n<br />

dieter.schnaas@wiwo.de | Berlin<br />

WirtschaftsWoche <strong>13.10.2014</strong> Nr. 42 125<br />

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