Wirtschaftswoche Ausgabe vom 13.10.2014 (Vorschau)
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
ILLUSTRATIONEN: CHRIS GASH<br />
das, was er (nicht) besitzt, immer auch von allen anderen (nicht)<br />
besessen wird. Der kontrollierte Bankrott wird dadurch gleichsam<br />
mitlaufend zur Institution der neuen Scheinwirtschaft, die aufgeschobene<br />
Insolvenz zu ihrer Grundlage – und die systematische<br />
Verschuldung zu ihrem Credo.<br />
DAS GELD UND SEINE VIELEN SPRÖSSLINGE...<br />
Keiner hat das früher und besser verstanden als Benjamin Franklin<br />
(1706–1790), das amerikanische Universalgenie. Für ihn ist<br />
Geld kein bond, der Geschäftsbeziehungen regelt, sondern<br />
bound for the future, immer unterwegs, um sich zu vervielfältigen.<br />
Geld, so Franklin, will im Kapitalismus angelegt sein und investiert<br />
werden, es will „arbeiten“ und sich vermehren; es ist eingesetzt<br />
oder nicht, verwendet oder verschwendet, nie das, was es ist,<br />
sondern immer sein mögliches Mehr: Produkt, Potenz und Projekt<br />
seiner selbst, zugleich Modus, Motor und Ziel des kapitalistischen<br />
Wirtschaftens. „Geld kann Geld erzeugen, und die Sprösslinge<br />
können noch mehr erzeugen<br />
und so fort“, schreibt Franklin. Ein<br />
Kapitalist hat es daher immer mit<br />
mobilisiertem Geld zu tun, mit seiner<br />
Anreicherung und seiner Wiederaufbereitung<br />
– mit der Folge, dass kapitalistisches<br />
Geld nicht nur laufend<br />
mehr Geld und Güter produziert,<br />
sondern gleichsam mitlaufend den<br />
Sachzwang, sich und die Güter im<br />
Dauermodus der Vermehrung bearbeiten,<br />
also immer mehr Geld und<br />
Güter produzieren zu müssen...<br />
Joseph Schumpeter hat die Marktharmonielehre<br />
und das Gleichgewichtsdenken<br />
der klassischen Nationalökonomie<br />
– Adam Smiths „unsichtbare<br />
Hand“ – daher schon vor<br />
mehr als 100 Jahren auf den Müllhaufen<br />
der Theoriegeschichte geworfen.<br />
Für Schumpeter war Kapitalismus ein<br />
dynamischer, unabschließbarer Prozess,<br />
der uns in eine Art dauernde Zukunft<br />
expediert, eine evolutionäre<br />
Entwicklung ohne Endpunkt, ein<br />
Fortschritt ohne Ziel. Er war von der<br />
unerschöpflichen Energie der „kapitalistischen<br />
Maschine“ überzeugt,<br />
<strong>vom</strong> „ewigen Sturm“ des wirtschaftlichen Wandels, von einer Welt,<br />
in der ständig was Neues wird und wächst und wuchert. Das Geld<br />
war für Schumpeter – neben dem Erfindergeist der Unternehmer –<br />
der Treibstoff dieses wirtschaftlichen Wandels – und natürlich hatte<br />
Schumpeter nichts dagegen, diesen Wandel mit leistungsfördernden<br />
Additiven zu versehen. Aber wie ließ sich der Prozess der<br />
„kreativen Zerstörung“ beschleunigen? Nun –<br />
ganz einfach dadurch, dass man ihn nicht mit<br />
akkumuliertem Vermögen (Kapital) befeuert<br />
wie in den frühen Tagen der Industriellen Revolution,<br />
sondern mit geschöpften Versprechen<br />
(Krediten). Kapitalismus, so Schumpeter, ist<br />
Kreditismus. Neue Firmen schaffen neue Werte<br />
mit neuem Geld – die nachindustrielle Revolution<br />
besteht darin, dass sie das Morgen immer<br />
{ }<br />
Im Kreditismus sind<br />
Schulden ein<br />
Rucksack voll Luft<br />
Auszug aus einem<br />
Beitrag für den<br />
Sammelband<br />
„Bonds“, Herausgeber<br />
Thomas<br />
Macho, Verlag<br />
Wilhelm Fink,<br />
49,90 Euro.<br />
schon heute mit Geld erreicht, das sie der Zukunft entlehnt. Der<br />
Unternehmer schafft Produkte, der Bankier produziert Kaufkraft,<br />
so ist die Arbeitsteilung – und beide zusammen schaffen Dynamik,<br />
Instabilität, fortschreitende Umwälzung, dauernde Innovation.<br />
Von welchem Geld also sprechen wir heute, im Kreditismus der<br />
Moderne? Offenbar nicht von Shylocks Geld, das verantwortlich<br />
bearbeitet, sondern von Geld, das destilliert wird aus der heißen<br />
Luft einer Schuldverschreibung. Es ist Geld, mit dem der Staat und<br />
die Banken die strahlende Zukunft der Menschheit mitten hinein<br />
in die Gegenwart zaubern, um exakt die Progression des Sozialprodukts,<br />
der Einkommen und der Geschäftsgewinne herbeizuführen,<br />
die zur beizeitigen Begleichung der Schulden einmal erforderlich<br />
sein werden. Daran ist zunächst nichts auszusetzen: Kreditgeld<br />
ist ein Wachstumsbeschleuniger und Wohlstandsmotor – und<br />
solange es einen angemessenen Preis hat, stärkt es nicht nur das<br />
vertragliche Band zwischen Gläubiger und Schuldner, sondern<br />
kann auch die Prosperität einer Gesellschaft mehren. Im Unterschied<br />
zum Kapital, das die Geldquellen<br />
der Gegenwart anzapft, lassen<br />
Kredite Kaufkraft aus einer imaginierten<br />
Zukunft fließen. Mit der<br />
Investition von Geld, das sie noch<br />
nicht besitzt und erst morgen zurückzahlen<br />
wird, begrünt die<br />
Menschheit das Hier und Heute –<br />
das ist Schumpeters Gedanke.<br />
Doch sein Kreditismus ist nur so<br />
lange fruchtbar, wie die Emission<br />
des Geldes gedeckt ist – und Darlehen<br />
nicht nur eine verheißungsvolle<br />
Zukunft versprechen, sondern<br />
auch das Versprechen der Schuldner<br />
einschließen, die vergegenwärtigte<br />
Zukunft mit der Tilgung der<br />
Schuld beizeiten wieder einzuholen.<br />
Davon kann keine Rede mehr<br />
sein. Seit die Notenbanken den Geschäftsbanken<br />
unbegrenzt viel Anti-Geld<br />
zur Verfügung stellen und<br />
Geschäftsbanken immer weniger<br />
Eigenkapital vorhalten müssen, um<br />
ihrerseits frisches Anti-Geld zu<br />
schöpfen, dreht sich die Schuldenspirale<br />
mit beängstigender<br />
Zwangsläufigkeit ins Unendliche.<br />
Entsprechend besteht moderne Regierungskunst heute nicht<br />
mehr auf der Abtragung von Schulden, sondern auf ihrer permanenten<br />
Verzeitlichung, auf der Vermehrung ins Unendliche verlängerbarer<br />
Schulden – und auf der zunehmend heiklen Stabilisierung<br />
dieses Schuldzusammenhangs. Anders gesagt: Das Geld<br />
des modernen Kreditismus ist der exakte Ausdruck dessen, der<br />
Staaten und Banken zu nichts mehr verpflichtet.<br />
Es symbolisiert keinen Vertrag und<br />
entbindet auch keine Kräfte mehr. Stattdessen<br />
stottert es nur noch eine Gegenwart ab,<br />
die ihre künftigen Potenziale schon verbracht<br />
hat – wenigstens so lange, bis es sich<br />
in das auflösen wird, was es seiner Herkunft<br />
nach ist: Luft.<br />
n<br />
dieter.schnaas@wiwo.de | Berlin<br />
WirtschaftsWoche <strong>13.10.2014</strong> Nr. 42 125<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.