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Wirtschaftswoche Ausgabe vom 13.10.2014 (Vorschau)

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Der Volkswirt<br />

DENKFABRIK | Die Kritik an den Anleihenkäufen der Europäischen Zentralbank ist<br />

unberechtigt. Die Ausfallrisiken der Papiere sind geringer als befürchtet. Zudem<br />

steigern die Zinseinnahmen daraus den Gewinn der Zentralbank. Davon profitieren<br />

auch die deutschen Steuerzahler. Von Holger Schmieding<br />

Das Märchen von der Schrottbank<br />

Oh, Kassandra. Im<br />

deutschen Elfenbeinturm<br />

hättest du dich<br />

wohlgefühlt. Dort<br />

reißt der Strom der Schauergeschichten<br />

nicht ab. Im Jahr<br />

2005 machte die düstere<br />

These die Runde, Deutschland<br />

würde zu einer Basar-Ökonomie<br />

verkommen. Stattdessen<br />

begann bei uns damals dank<br />

der Reformen des Jahres 2004<br />

eine industrielle Renaissance,<br />

um die uns die Welt bis heute<br />

beneidet. Und trotz schriller<br />

Warnungen deutscher Ökonomen<br />

der letzten fünf Jahre,<br />

dass die Politik der Europäischen<br />

Zentralbank (EZB) unweigerlich<br />

zu Inflation führen<br />

müsse, ist der Auftrieb der<br />

Verbraucherpreise heute so<br />

verhalten wie selten zuvor.<br />

ANFÄNGERFEHLER<br />

Jetzt hat sich auch Hans-Werner<br />

Sinn, Chef des ifo Instituts,<br />

dem Chor der Kritiker angeschlossen,<br />

die die EZB als „Bad<br />

Bank“ verunglimpfen (WirtschaftsWoche<br />

40/2014). Durch<br />

die avisierten Käufe fragwürdiger<br />

Anleihen würde sie Banken<br />

deren Bilanzschrott abnehmen<br />

und den Steuerzahlern unverantwortliche<br />

Risiken aufbürden.<br />

Genauso wie einst die Fehlprognose,<br />

die EZB führe uns in die<br />

Inflation, beruht die „Bad<br />

Bank“-Anklage auf einem volkswirtschaftlichen<br />

Anfängerfehler.<br />

Denn Einkommen und Wohlstand,<br />

Arbeitsplätze und<br />

Risiken sind keine fest vorgegebenen<br />

Größen, die nur umverteilt<br />

werden können, sei es zwischen<br />

Arm oder Reich oder<br />

zwischen Geschäfts- und Notenbanken.<br />

Nein, diese Größen<br />

werden entscheidend durch die<br />

Wirtschaftspolitik gestaltet. Eine<br />

falsche Geldpolitik erhöht die Risiken,<br />

eine angemessene Geldpolitik<br />

mindert die Risiken.<br />

Rezessionen sind teuer. Gemessen<br />

am Anstieg unserer Staatsschulden,<br />

hat die Mega-Rezession<br />

nach der Lehman-Pleite im Herbst<br />

2008 die deutschen Steuerzahler<br />

über 250 Milliarden Euro gekostet.<br />

Im Sommer 2012 stand Deutschland<br />

erneut am Rande einer Rezession.<br />

Erst mit seiner Ansage,<br />

der grassierenden Spekulation auf<br />

einen Zerfall des Euro notfalls<br />

energisch entgegenzutreten, hat<br />

EZB-Präsident Mario Draghi die<br />

Panik gestoppt. Er hat uns damit<br />

Rezessionskosten von mehreren<br />

»Die Geldpolitik<br />

der EZB ist angemessen,<br />

sie<br />

schmälert das<br />

Risiko einer<br />

Rezession«<br />

Milliarden Euro erspart. Seit Mai<br />

haben der russische Feldzug gegen<br />

die Ukraine und andere geopolitische<br />

Risiken die deutsche<br />

Konjunktur erneut aus dem Tritt<br />

gebracht. Der jüngste Einbruch<br />

der ifo-Geschäftserwartungen<br />

zeigt, dass eine Rezession nicht<br />

mehr auszuschließen ist. Die EZB<br />

hat die Aufgabe, den Preisauftrieb<br />

bei knapp zwei Prozent pro Jahr zu<br />

halten. Mit nur noch 0,3 Prozent<br />

verfehlt sie dieses Ziel derzeit erheblich.<br />

Die aktuelle Schwäche<br />

gerade auch der deutschen Konjunktur<br />

spricht gegen ein spürbares<br />

Anziehen der Euro-Inflation in<br />

den kommenden Jahren. Das ein-<br />

deutige Mandat der EZB verpflichtet<br />

sie zum Gegensteuern. Da sie<br />

die Leitzinsen nicht mehr senken<br />

kann und den Spielraum für konventionelle<br />

Refinanzierungsangebote<br />

bereits ausgereizt hat, ist der<br />

Ankauf von Anleihen der nächste<br />

naheliegende Schritt. Die EZB wird<br />

Zinstitel in Form von Pfandbriefen<br />

und verbrieften Kreditbündeln<br />

kaufen. Sie tut dies im Tausch gegen<br />

Zentralbankgeld, das sie nahezu<br />

kostenlos schöpfen kann. Die<br />

zusätzlichen Zinseinnahmen erhöhen<br />

ihren Gewinn. Diesen Zusatzgewinn<br />

reicht sie anteilig an den<br />

deutschen Steuerzahler weiter,<br />

der über die Bundesbank zu 27<br />

Prozent Eigentümer der EZB ist.<br />

Natürlich könnten dem Zusatzgewinn<br />

auch Verluste gegenüberstehen,<br />

wenn die gekauften Titel<br />

ausfallen. Aber wie groß ist dieses<br />

Risiko? Die Ausfallrate für die Gesamtheit<br />

der Papiere, die die EZB<br />

kaufen will, lag von Mitte 2007<br />

bis Herbst 2013 bei 1,5 Prozent.<br />

Trotz der Weltfinanzkrise und der<br />

Euro-Krise, die in diese Zeit fielen,<br />

war die Ausfallrate sehr gering.<br />

Denn die europäischen Papiere<br />

sind von anderer Qualität als<br />

amerikanische ABS-Anleihen einschließlich<br />

der berüchtigten „Subprime-Papiere“,<br />

deren Ausfallrate<br />

in jener Zeit bei 18,4 Prozent lag.<br />

Die EZB will sich bei ihren Käufen<br />

auf die hochwertigen Segmente<br />

des Marktes konzentrieren. Für<br />

diese Segmente lagen die Ausfallraten<br />

selbst in der Finanzund<br />

Euro-Krise vielfach nur bei<br />

0,1 Prozent oder darunter. Die<br />

Wahrscheinlichkeit ist gering,<br />

dass Einzelverluste der EZB aus<br />

solchen Papieren ihre zusätzlichen<br />

Zinsgewinne aufzehren.<br />

RISKANTES NICHTSTUN<br />

Noch wichtiger aber ist, dass<br />

die EZB mit einer angemessenen<br />

Geldpolitik das Risiko<br />

einer Rezession schmälert.<br />

Damit verringert sie die Ausfallgefahr<br />

für Wertpapiere innerhalb<br />

und außerhalb ihrer<br />

Bilanz. In einem banalen Sinn<br />

haben die Kritiker natürlich<br />

recht: Menschliches Handeln<br />

birgt immer Chancen und Risiken.<br />

Aber Nichtstun wäre weit<br />

riskanter. Eine Zentralbank,<br />

die keine Geldpolitik betriebe,<br />

könnte mit einer Minibilanz<br />

weder einen Gewinn machen<br />

noch ein Risiko eingehen. Aber<br />

der Schaden, den sie durch<br />

den Verzicht auf Geldpolitik<br />

anrichtete, wäre katastrophal.<br />

Die Welle von Insolvenzen,<br />

Arbeitsplatzverlusten sowie<br />

Steuer- und Kreditausfällen<br />

würde nahezu alle Bürger teuer<br />

zu stehen kommen. Nur<br />

auf hypothetische Risiken zu<br />

schauen greift zu kurz. Die Notenbank<br />

muss eine angemessene<br />

Geldpolitik betreiben.<br />

Indem sie dies tut, mindert sie<br />

die Risiken für alle Beteiligten,<br />

auch für die deutschen Steuerzahler.<br />

Schmieding ist Chefvolkswirt<br />

der Berenberg Bank in London.<br />

Zuvor hat er unter anderem für<br />

Merrill Lynch gearbeitet.<br />

FOTOS: PR, WESTEND61/MARTIN MOXTER<br />

44 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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