Wirtschaftswoche Ausgabe vom 13.10.2014 (Vorschau)
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
FOTOS: SAMMY HART, WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, BERLINPRESSPHOTO/HENNING SCHACHT<br />
PARIS | Die Regierung<br />
spart an der<br />
Kinderprämie –<br />
Eltern schlagen<br />
Alarm. Von Karin<br />
Finkenzeller<br />
Kindersegen<br />
auf der Kippe<br />
Frankreich, du hast es<br />
besser. Zumindest was<br />
die Geburtenrate angeht,<br />
schien das bisher zu stimmen.<br />
Mit 1,99 Kindern<br />
pro Frau liegt Frankreich<br />
weit vor Deutschland und gilt als leuchtendes<br />
Vorbild, was die Vereinbarung von<br />
Beruf und Familie angeht. Da wird zwar<br />
ausgeblendet, dass auch die Nachbarn<br />
ein Krippenplatzproblem haben und Kinder<br />
in ihren Horten häufig kein Fleckchen<br />
Grün sehen. Aber es ist schon richtig: Die<br />
Drei-Kind-Familie ist in Frankreich nicht<br />
ungewöhnlich. Doch jetzt fürchten die<br />
Nachbarn um ihre hohe Geburtenrate.<br />
Weil die Kassen leer sind, will die Regierung<br />
die Prämie ab dem zweiten Kind<br />
von derzeit 923 Euro um zwei Drittel senken<br />
– zumindest bei Familien, die sich<br />
das leisten können. Zudem soll die Erziehungszeit<br />
von derzeit drei Jahren auf 18<br />
Monate reduziert werden, wenn nur ein<br />
Elternteil die Auszeit nimmt. Offiziell soll<br />
dies Väter dazu animieren, sich ebenfalls<br />
ausgiebig mit dem Nachwuchs zu beschäftigen.<br />
Insgeheim aber hofft die<br />
Regierung darauf, dass dies nicht klappt<br />
und sie 300 bis 400 Millionen Euro pro<br />
Jahr einsparen kann. Schon empören<br />
sich Experten und Vorsitzende von Elternvereinigungen.<br />
Französische Paare könnten,<br />
so die einhellige Befürchtung, es<br />
sich künftig dreimal überlegen, Kinder zu<br />
kriegen oder den Zeitpunkt dafür weit<br />
nach hinten verschieben.<br />
Charles de Gaulle würde sich im Grab<br />
umdrehen. Der erste Präsident nach dem<br />
Zweiten Weltkrieg hatte die Geburtenförderprogramme<br />
doch eingeführt, damit<br />
viele, viele Franzosen nie wieder von den<br />
Deutschen überrannt würden.<br />
Karin Finkenzeller ist Frankreich-<br />
Korrespondentin der WirtschaftsWoche.<br />
BERLIN INTERN | Nicht Politik verdirbt den Charakter,<br />
sondern Charaktere verderben die Politik. Beim<br />
Journalismus ist es nicht anders. Von Henning Krumrey<br />
Kohle mit Kohl<br />
Der politische Kampf war sein<br />
Lebenselixier, nichts Menschliches<br />
war ihm hier fremd, etliche<br />
Intrigen hat er erlitten, mindestens<br />
genauso viele angezettelt. Auf seine<br />
alten Tage wird Helmut Kohl aber noch<br />
Hauptperson eines Eifersuchtsdramas.<br />
Als enttäuschter Liebhaber drängt der<br />
Journalist Heribert Schwan ins Rampenlicht,<br />
den Kohl als Geistschreiber für seine<br />
Memoiren angeheuert hatte. Zwischen<br />
2001 und 2002 trafen sich der abgewählte<br />
Geht doch Kanzlerin Merkel hat die Gabel<br />
– anders als Kohl damals klagte – im Griff<br />
Bundeskanzler und der auserwählte Autor<br />
zu 105 Sitzungen, meist im Hobbykeller<br />
des berühmten Oggersheimer Bungalows.<br />
Schwan zeichnete die Gespräche auf<br />
Tonkassetten auf. Danach ging’s an die<br />
Produktion der ersten drei Bände; ab 2004<br />
verzichtete Schwan auf Hausbesuche, um<br />
Kohls neuer Partnerin Maike Richter aus<br />
dem Weg zu gehen. 2009 erhielt er Hausverbot,<br />
just als er mit der ersten Hälfte des<br />
vierten Bandes aufwarten wollte.<br />
Wut und Rache müssen Schwan treiben,<br />
wenn er die bösesten Kommentare und klaren<br />
Einordnungen des Einheitskanzlers veröffentlicht<br />
– ohne Absprache. Gleichwohl<br />
sieht sich Schwan berechtigt, die besonders<br />
klingenden Sprüche in ebensolche Münze<br />
umzuwandeln. „Ich bin der, der das Vermächtnis<br />
verwalten kann, so habe ich mich<br />
empfunden.“ Diese Rolle beansprucht inzwischen<br />
freilich auch Maike Kohl-Richter.<br />
Schwans Partner in der Aufbereitung und<br />
Vermarktung der Kohl’schen Tiraden ist der<br />
Autor und Filmemacher Tilman Jens. Ihm<br />
gelingt das Kunststück, bereits zum dritten<br />
Mal mit dem (Ab-)Leben eines Menschen<br />
ein Geschäft zu machen. Als „Stern“-Reporter<br />
war er nach dem Tod des Schriftstellers<br />
Uwe Johnson in dessen Haus in England<br />
eingedrungen, um Material zu sammeln.<br />
Nach der illegalen Recherche endete seine<br />
Karriere bei der Illustrierten. Zwischen 2008<br />
und 2010 konnte er aus der Alzheimer-<br />
Erkrankung seines Vaters, des Germanisten,<br />
Moralphilosophen und -apostels Walter<br />
Jens, Aufsehen und Kapital schlagen. Und<br />
nun also Kohls „Vermächtnis“. Gemein haben<br />
alle drei Objekte von Jens’ Neugier, dass<br />
sie sich nicht mehr selbst wehren können.<br />
Kein Zweifel: Kohl wird all die süffigen<br />
Beschimpfungen so gesagt haben. Sie decken<br />
sich mit vielen, die er bei vertraulichen<br />
Gesprächen im Büro, am Vorabend von<br />
Parteitagen, in kleiner Runde oder bei arrangierten<br />
Abendessen in der pfälzischen<br />
Heimat mit Wonne unter die Journalisten<br />
brachte. Kein Geheimnis beispielsweise ist,<br />
dass der frühere Fraktionsvorsitzende<br />
Friedrich Merz sich <strong>vom</strong> CDU-Patriarchen<br />
wie ein dummer Junge behandelt fühlte<br />
und sich Kohls gönnerhaft-herablassendes<br />
DuSie („Merz, gib mal ...“) verbat. Ihn beschimpft<br />
der Senior als „politisches Kleinkind“.<br />
Den späteren Minister- und Bundespräsidenten<br />
Christian Wulff hatte er vor<br />
dessen Aufstieg so oft und vernehmbar als<br />
Niete charakterisiert, dass Wulff sich am<br />
Abend seines niedersächsischen Wahlsieges<br />
im Frühjahr 2003 kurz nach 18 Uhr bei<br />
Kohl telefonisch mit den Worten meldete:<br />
„Hier spricht der Loser aus Hannover.“<br />
Als wollte er die Brisanz seines Vertrauensbruchs<br />
herunterspielen, sagt Schwan:<br />
„Wer Kohl ein bisschen kennt, für den bietet<br />
das Buch nichts Neues.“ Da hat er recht.<br />
Schwan behauptet, Kohl würde ihm auf<br />
die Schulter klopfen und ausrufen: „Volksschriftsteller,<br />
Gratulation!“ Doch wer Kohl<br />
kennt, der ahnt, dass er Schwans Verhalten<br />
zwar eindeutig, aber anders werten würde.<br />
Er würde einfach den einen Vokal in dessen<br />
Namen durch zwei andere ersetzen.<br />
WirtschaftsWoche <strong>13.10.2014</strong> Nr. 42 39<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.